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Kritik – Herreweghe macht Mozart mit den Münchner Philharmonikern Einfach aus dem Handgelenk

Mozart ist schön, aber schwierig. Auch die renommiertesten Pultstars scheitern an ihm. Nicht so Philippe Herreweghe. Zusammen mit den Münchner Philharmonikern bringt er Mozart in der Isarphilharmonie zum Schweben. Und zeigt mal wieder, dass er viel mehr ist als ein Originalklang-Spezialist.

Philipp Herreweghe mit den Münchner Philharmonikern am 12. Februar 2022. | Bildquelle: Tobias Hase

Bildquelle: Tobias Hase

Kollegengespräch – Kritik

Philippe Herreweghe dirigiert die Münchner Philharmoniker

Man mag sich über vieles streiten in der Klassikwelt. Aber über eines herrscht doch relativ große Einigkeit: dass Mozarts Werke ein Höhepunkt der Musik-, wenn nicht sogar der Menschheitsgeschichte sind. Umso unbefriedigender ist, dass ausgerechnet dieser Mozart einige der berühmtesten, teuersten und – dem Anspruch nach – besten Orchester in eine nicht überhörbare Verlegenheit bringt. Gerade die Chefdirigenten und -dirigentinnen scheuen ihn oft. Und dies in vielen Fällen aus so triftigem wie traurigem Grund: Kaum ein Jetset-Dirigent kann Mozart.

Dirigentinnen und Dirigenten scheuen Mozart oft – und oft zu Recht

Den nötigen Ruhm, um auf dem internationalen Karussell der glanzvollen Chefposten mitfahren zu können, erwirbt man eben mit dem romantischen und spätromantischen Repertoire des 19. und frühen 20. Jahrhunderts. Wer bei Bruckner, Mahler und Strauss abliefert, ist bei den Chefpositionen im Rennen. Mozart läuft da eher so nebenher. Zumal die Deutungshoheit hier ja ohnehin schon seit Jahrzehnten von den großen Philharmonie-Tankern auf die kleinen Spezialensembles mit historischen Instrumenten übergegangen ist.

Nun gilt aber ausgerechnet das Mozart-Requiem dummerweise als "Chefstück". Deshalb versuchen (oder versuchten) sich regelmäßig auch Stardirigenten wie Mariss Jansons, Zubin Mehta oder Christian Thielemann daran. Das Glück war und ist diesen Versuchen selten hold. Die voluminöse, großflächige Klangästhetik der Spätromantik verträgt sich nicht mit der Agilität von Mozarts Musik. Sie steht der beweglichen Artikulation der gesprochenen Sprache viel näher als Richard Wagners "unendlicher Melodie". Und so wird diese empfindliche Musik oft ausgerechnet von den teuersten Dirigenten so rat- wie lieblos als Pflichtübung absolviert. Dann klingt’s im Prinzip immer noch glatt und zähflüssig wie beim seligen Karajan, nur etwas verschämter und weniger opulent.

Mehr als ein Originalklang-Guru: Philippe Herreweghe

Umso dankbarer muss man den Münchner Philharmonikern sein, dass sie das Mozart-Requiem nicht als "Chefstück" vom Hausherrn Valery Gergiev dirigieren lassen, sondern sich einen Dirigenten aus der Alte-Musik-Bewegung als Gast geholt haben. Wobei Philippe Herreweghe, der flämische Großmeister der historischen Aufführungspraxis, einen weiten Horizont hat. Herreweghe ist ein universaler Musiker, kein Spezialist. Mit seinem Collegium Vocale Gent hat er einige der schönsten Aufnahmen der frühbarocken Musik eines Heinrich Schütz vorgelegt, aber auch Bachs Passionen und, mit seinem Orchestre des Champs-Élysées, auch die Musik des 19. Jahrhunderts bis hin zu Bruckner auf Originalinstrumenten eingespielt.

Schon bei Mozarts Prager Symphonie, die in der ersten Programmhälfte den Auftakt macht, spürt man die Dankbarkeit der Musikerinnen und Musiker, dass da endlich mal jemand gute Ideen hat, wie man diese allzu oft allzu harmonisch und harmlos dahinplätschernde Musik nicht nur klangschön, sondern auch sinnerfüllt spielen kann. In der düsteren, an den Don Giovanni erinnernden langsamen Einleitung merkt man noch, dass Herreweghe zum ersten Mal am Pult der Münchner Philharmoniker steht. Ohne Stab dirigiert er, mit kleinen Gesten aus dem Handgelenk – und in den ersten Takten klappert es gelegentlich. Aber schnell finden sie zueinander, die Philharmoniker und der Originalklang-Star, der in seiner bescheidenen und freundlichen Art so gar kein Guru ist.

Wunderbar natürlich: Herreweghes Mozart-Interpretation

Glückliches Aufeinandertreffen: Philipp Herreweghe mit den Münchner Philharmonikern | Bildquelle: Tobias Hase Glückliches Aufeinandertreffen: Philipp Herreweghe mit den Münchner Philharmonikern | Bildquelle: Tobias Hase So viel muss man ja gar nicht anders machen: Man setzt sich nun mal nicht fett auf das Ende einer Phrase drauf, sondern nimmt sie zurück. Man folgt in der Dynamik den Spannungsverläufen der Harmonik. Man legt das Gegeneinander der Stimmen in einem lebendigen Frage- und Antwort-Spiel offen: Und schon blüht Mozart auf! Herreweghes Mozart ist – anders als die zappelig manieristische Harnoncourt-Nachfolge eines Currentzis – wunderbar natürlich. Die Details funkeln, das Tempo atmet, aber den Ausschlag gibt immer die Großform, nicht das Klein-Klein der Einzelheiten. Den Philharmonikern macht das hör- und sichtbar großes Vergnügen.

Dieser Ansatz kommt auch dem Requiem zugute. Schon in den ersten Takten gibt die Bassgruppe eine Linie vor, die dem Schreiten des imaginären Trauerzugs einen Pfad bahnt – mit Ziel und Richtung und gegliedertem Verlauf. In den Chor-Fugen öffnen und schließen sich die Bögen, das Ganze ist immer viel mehr als die Summe der Details. Die Tempi sind rasch, aber nie sportlich, motorisch oder effekthascherisch schnell. Im exzellenten Solisten-Quartett überzeugt besonders der profunde Bass von Tareq Nazmi. Das schnelle Vibrato der ansonsten sehr souveränen Sopranistin Hanna-Elisabeth Müller wirkt in diesem Kontext etwas gewöhnungsbedürftig. Rundum überzeugend auch Tenor Mauro Peter und Mezzosopran Eva Zaïcik.

Erfreulich: Relativ junges Publikum in der Isarphilharmonie

Während die Philharmoniker schon ziemlich wach und geübt darin sind, die Ideen der historischen Aufführungspraxis auch auf ihren modernen Instrumenten umzusetzen, klingt der Philharmonische Chor in seiner Riesenbesetzung noch vergleichsweise traditionsbeladen. Aber klangschön und dynamisch sehr differenziert.

Die 400 Karten, die die Philharmoniker wegen Söders plötzlicher Umkehr vom überstrengen Kultur-Verhinderer zum generösen Saal-Füller in letzter Minute noch auf den Markt werfen konnten, ließen sich offenbar fast restlos verkaufen. Und wenn der Augenschein nicht täuscht, dann ist das Publikum in der coolen Isarphilharmonie deutlich jünger als noch kürzlich im alten Gasteig. Ein sehr erfreulicher Abend.

Sendung: "Allegro" am 14. Februar ab 6:05 Uhr auf BR-KLASSIK

Kommentare (1)

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Montag, 14.Februar, 10:06 Uhr

W. Viereck...

Und schon wieder...

... kommt eine Konzertkritik nicht ohne Seitenhiebe auf andere Dirigenten aus. So etwas gehört nicht in einen sachlichen Artikel - jedenfalls nicht mit namentlicher Nennung! Auch wenn man die Interpretationen bestimmter Dirigenten nicht mag, muss man das nicht bei jeder Gelegenheit raushängen lassen. Zumal sich aus den im Hintergrund der Kritik eingespielten Musikausschnitten nicht wirklich ein eigener Eindruck über das Konzert gewinnen lässt.

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