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"Hoffmanns Erzählungen" in Stuttgart Vergebliche Liebe als Kunstausstellung

Unvollendet, hochkomplex und zugleich voller musikalischer Perlen - das ist Jacques Offenbachs einzige Oper "Hoffmanns Erzählungen". Vor zwei Jahren entstand am Teatro Real mit dem Dirigenten Sylvain Cambreling und dem Künstlerpaar Christoph Marthaler und Anna Viebrock in Madrid eine Neuproduktion, die eine spannende neue Sicht auf das schwierige Werk wirft. Nun ist diese Produktion an der Oper Stuttgart zu erleben.

"Hoffmanns Erzählungen" an der Oper Stuttgart | Bildquelle: A.T. Schaefer

Bildquelle: A.T. Schaefer

Premierenkritik

"Hoffmanns Erzählungen" in Stuttgart

Sie ist schon vertrackt, diese Oper, die da vier Plots aus dem tiefenpsychologischen Erzählwerk des dämonischen Romantikers E.T.A. Hoffmann zu einer komischen Künstlertragödie verschmolzen hat, in der das larmoyante Universalgenie sich im Spiegel von drei Liebesgeschichten zu unerreichbaren oder unmöglichen Frauen durch die eigene Schaffenskrise erzählt. Sie sind schon vertrackt, diese "Hoffmanns Erzählungen": Entmenschlichte Diven, zerstörte Künstlerseelen, die Sehnsucht nach Liebe und die letzte Ausfahrt Kunst. Es ist, als setzte sich diese Oper wie ein Kaleidoskop zusammen, auch wenn sie vermeintlich dem roten Faden folgt, nämlich den vergeblichen Lieben - zur Automatin, zur Künstlerin und zur Kurtisane.

Dass die Kunst per se das eigentliche Sujet dieser Oper ist, liegt bei dem Universalgenie E.T.A. Hoffmann nahe, und Christoph Marthaler macht in seiner Inszenierung daraus auch keinen Hehl. Der von Anna Viebrock entworfene Bühnenraum ist inspiriert vom "Circulo de Bellas Artes" in Madrid, mit dessen Teatro Real dieses Offenbach-Projekt koproduziert ist. Aus der bürgerlichen Prachtarchitektur der privaten Kulturinstitution hat sich Viebrock die tatsächlich existierenden Billard- oder Zeichensäle, den Theaterraum oder die Bar in eine riesige Halle zusammenfantasiert, durch die Touristen wie durch eine Kunstausstellung geführt werden, in der Aktmodelle posieren und Nebenbuhler durch Billardtische krachen. Es ist, als hätte man hier im wahrsten Sinne des Wortes einen "Kunstraum" geschaffen. Jenseits von Realität und Zeit. Die Uhr zumindest, die über allem hängt, hat keine Zeiger. Zugleich haben Marthaler und Viebrock mit einem Zeitsprung die Handlung aus der romantischen Ferne in jene Kunstszene der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts versetzt, in der die Surrealisten Kunst und Realität auf neue und bizarre Art verschmolzen. Und so sehen einige der Figuren, die da nun die Bühne bevölkern, aus, als seien sie Wiedergänger eines Artaud oder eines Breton, während die gaffende Menge mit ihren Damen mit Rauschebart und den Herren in Kleidern direkt einer surrealen Phantasie entsprungen scheint.

Souveräne musikalische Leistung

Sie war schon in Madrid dabei und begeisterte als erbarmungswürdig zugerichtete Puppe Olympia mit glasklarer Koloratur das Publikum: die mazedonische Sopranistin Ana Durlovski. Und auch jetzt wieder wurde sie gefeiert, wie überhaupt das großartige Ensemble der Stuttgarter Staatsoper, in dessen Mittelpunkt sich Alex Esposito mit seinem berückenden Bassbariton durch sämtliche Bösewichter sang, während der belgische Tenor Marc Laho sich als Hoffmann seine Lorbeeren eher durch Expressivität als durch Wohlklang erstritt. Daneben zeigte sich das Staatsorchester  unter Leitung von Sylvain Cambreling dem Schmiss der Offenbach'schen Partitur mehr als gewachsen. Und so sind diese vertrackten "Hoffmanns Erzählungen" nun in Stuttgart beides: kulinarischer Genuss und "kunstvolle" Herausforderung.

Link-Tipp

Alle Aufführungstermine sowie weitere Informationen zur Neuproduktion von Jacque Offenbachs "Hoffmanns Erzählungen" finden Sie auf der Website der Oper Stuttgart.

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