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Kritik - "Don Giovanni" beim Opernfestival Gut Immling Dem Blender hoffnungslos verfallen

Selbstbezogener Weiberheld? Skrupelloser Verführer? Oder unkonventioneller Libertin, der die Moral seiner Zeit in Frage stellt? Wer ist dieser Don Giovanni? Verena von Kerssenbrocks Inszenierung der "Oper aller Opern" beim Immling Festival beantwortet zuallererst eine andere Frage: Warum ist dieser Don Giovanni so, wie er ist? Am Freitag, 19. Juli war Premiere.

Mozarts "Don Giovanni" Gut Immling | Bildquelle: Verena von Kerssenbrock

Bildquelle: Verena von Kerssenbrock

Mitten auf der Bühne des Festspielhauses steht ein roter Stuhl als einziges Requisit. Auf den setzt sich während der Ouvertüre eine ältere Frau in schwarzem Witwenhabit. Unser Titelheld kommt hinzu, setzt sich zu ihren Füßen, sucht ihre Nähe, legt seinen Kopf auf ihren Schoß. Sie stößt ihn weg, zieht ihn wieder zu sich her, weist ihn abermals ab. Ein liebesunfähiges Muttertier. Sie steht auf, geht ab, er krümmt sich am Boden. Da ist einer schon am Ende. Und dann beginnt die Geschichte - mit einem Mord am Vater von Don Giovannis jüngster Eroberung: Donna Anna.

Mozarts "Don Giovanni" Gut Immling | Bildquelle: Verena von Kerssenbrock Szene aus "Don Giovanni" beim Opernfestival Gut Immling 2019 | Bildquelle: Verena von Kerssenbrock

Und obwohl sie schwarz trägt, trauert sie nicht in erster Linie über den Tod ihres Vaters, sondern wohl darüber, dass Don Giovanni ihren Don Ottavio nicht auch noch erschossen hat. Den gibt Jenish Ysmanov als vor Angst zitternden, handlungsunfähigen Langweiler in Beige und Hellblau. Seine Tenorpower mag dazu gar nicht so recht passen.
Mozarts "Don Giovanni" ist ein dramma giocoso, und den Witz der Vorlage nimmt die Regisseurin Verena von Kerssenbrock beim Wort. Zerlina ist hier nicht nur Verführte, sondern Verführerin - und Donna Elvira kommt gleich in weißer Spitzenrobe, die sie später desillusioniert und wütend mit der Schere bearbeitet. Die Iranerin Forooz Razavi wirft sich mit viel Selbstironie und dunkel glühendem Sopran in die Rolle dieser ehrlich und naiv liebenden Frau, für die es keine erotische Erfüllung gibt.

In dieser Welt regiert der Schein

Diese überzeugend gearbeitete Inszenierung braucht keine tragische Fallhöhe. Die Tragik zeigt sich ganz subtil im Detail: Menschen verfallen einem Blender, der sich schon längst zugrunde gerichtet hat. Es reicht gerade noch für ein paar Posen mit nacktem Oberkörper - und beim Abendessen für einen letzten Schluck Prosecco und ein paar Würstchen. In dieser Welt regiert der Schein. Das Haben-Wollen, das Begehren. Da segelt für Zerlina - wie im Märchen - das Brautkleid vom Himmel. Ganz nah und doch unerreichbar. In Don Giovannis Ständchen tanzen weiß beschuhte Damenfüße - und verschwinden, bevor er sie greifen kann, hinter den sich schließenden Türen. Und Leporello enthüllt in seiner Registerarie als Metapher von Don Giovannis Eroberungen eine imposante Wand mit Hunderten von Damenschuhen. Dekorative Trophäen einer großen Eroberervergangenheit.

Die musikalische Umsetzung überzeugt

Mozarts "Don Giovanni" Gut Immling | Bildquelle: Verena von Kerssenbrock Szene aus "Don Giovanni" beim Opernfestival Gut Immling 2019 | Bildquelle: Verena von Kerssenbrock

Dieser Produktion fehlen die überwältigenden dramatischen Effekte, die Abgründe, der Grusel bei der Höllenfahrt. Das kann man bedauern, doch die Sichtweise ist schlüssig. Und dank der musikalischen Umsetzung entwickelt die Geschichte schon in den eineinhalb Stunden bis zur Pause einen gewaltigen Sog. Herausragend in dem packend singenden Ensemble sind Herr und Diener: Modestas Sedlevicius als aalglatt-eleganter und doch schmieriger Don Giovanni mit Pelzkragen und rotem Schuhwerk - und der zurecht umjubelte Leporello des Ilya Lapich, ein auf den Punkt präziser Komödiant mit herrlichem Bariton. Cornelia von Kerssenbrock leitet ein furios und mitreißend aufspielendes Immlinger Festivalorchester. Immling liefert hier pralles, saftiges, erotisch aufgeladenes Musiktheater.

Mozarts "Don Giovanni" beim Opernfestival Gut Immling

Musikalische Leitung: Cornelia von Kerssenbrock
Inszenierung und Bühnenbild: Verena von Kerssenbrock

Premiere: 19.07.2019
Weitere Vorstellungen: 27.07.2019, 02.08.2019, 09.08.2019

Sendung: "Allegro" am 22. Juli 2019 ab 06:05 Uhr auf BR-KLASSIK

Kommentare (1)

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Samstag, 20.Juli, 16:38 Uhr

karin böhm

kritik

stimme ihnen voll und ganz zu! ein fulminanter abend mit wunderbaren stimmen und einer peppigen, zeitgeistigen inszenierung!
liebe grüße
karin böhm (die vom martin)

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