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Interview mit DOV-Geschäftsführer Gerald Mertens Hörschäden im Orchester – Ein Restrisiko bleibt

Der Beruf des Orchestermusikers birgt von Haus aus ein gewisses Risiko für die Gesundheit des Gehörs: Zu den großen symphonischen Werken gehören eben auch die lauten, schmetternden Stellen. In England hat ein Bratschist einen Prozess gegen seinen Arbeitgeber gewonnen: Er bekommt Schadenseratz. Wie sieht es in Deutschland aus?

Gerald Mertens | Bildquelle: picture-alliance/dpa

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BR-KLASSIK: In England hat der Bratschist Christopher Goldscheider einen Prozess gegen das Royal Opera House gewonnen. Er bekommt nach einem Gehörschaden 865.000 Euro Schadensersatz. Wissen Sie von einer vergleichbaren Klage hier in Deutschland?

Gerald Mertens: In Deutschland haben wir derartige Schadensersatzprozesse von Musikern bislang nicht. Das hängt aber auch mit der spezifischen Gesetzeslage in Deutschland zusammen. Das britische Recht ist ein sehr starkes Case Law, also ein Fallrecht. Da entscheiden halt Gerichte immer Einzelfälle. Aus dieser Vielzahl von Gerichtsurteilen bildet sich dann eine Rechtsprechung heraus und damit auch die Frage, für welche Fälle man Schadensersatz beanspruchen kann.

BR-KLASSIK: Wie ist denn in Deutschland die rechtliche Situation? Wer würde im Ernstfall haften müssen?

Gerald Mertens: Die Verantwortung für den Gesundheitsschutz im Orchester ist grundsätzlich Sache des Arbeitgebers. Das heißt, der Arbeitgeber, der ein Orchester oder ein Opernhaus betreibt, ist dafür verantwortlich, dass die Musiker im Orchestergraben nicht durch übermäßige Lautstärken geschädigt werden. Dafür gibt es dann die Umsetzung der europäischen Lautstärkenrichtlinie. Sie heißt eigentlich Lärmschutzrichtlinie, aber wir reden im musikalischen Bereich ungern von Lärm.

Kollektiver Schutz geht vor individuellem Schutz
Gerald Mertens

Musiker mit Blasinstrumenten bereiten sich am 12.12.2008 im Orchestergraben des Stadttheaters in Bremerhaven auf einen Ballettabend vor.  | Bildquelle: picture-alliance/dpa Im Orchestergraben | Bildquelle: picture-alliance/dpa Diese Richtlinie gibt bestimmte Vorgaben, und da geht kollektiver Schutz vor individuellem Schutz. Das heißt, ich muss in einem Orchestergraben erst einmal schauen: Kann ich durch den Aufbau des Orchesters, durch bestimmte Schallschutzwände die Lärmexposition an bestimmten Arbeitsplätzen vermindern? Erst wenn das nicht mehr funktioniert, kann der Arbeitgeber sagen: "Lieber Musiker, nimm dir an bestimmten lauten Stellen einen individuell angepassten Gehörschutz." Es kann dann immer noch passieren, dass es beispielsweise an einer sehr lauten Stelle in einer Oper oder auch bei einem Schuss von der Bühne zu einer Lärmschädigung kommt. Da ist dann die Frage: Ist das Ereignis (also beispielsweise der laute Schuss) wirklich kausal für die erlittene Gehörverletzung? Das ist dann auch einem Gerichtsverfahren immer schwierig zu beweisen.

BR-KLASSIK: Wird es jetzt Konsequenzen für deutsche Orchester geben oder gibt es zumindest eine Diskussion darüber?

Gerald Mertens: Die Sensibilisierung bei den Orchestermanagern und bei den Arbeitgebern ist da. Die war in der Vergangenheit auch schon da, als die europäische Lärmschutzrichtlinie in nationales Recht umgesetzt worden ist. Das ist jetzt gut drei, vier Jahre her. Da hat es auch Umbauten in Opernhäusern gegeben. Wenn also Renovierungen anstanden, hat man Orchestergräben vergrößert oder auch die Überbauungen vom Orchestergraben (also den Teil der Bühne, der über den Orchestergraben gebaut war) teilweise zurückgebaut. Man hat also schon eine ganze Menge von Maßnahmen eingeleitet, um hier die Lautstärkeentwicklung in den Griff zu bekommen. Es gibt aber auch denkmalgeschützte Räume, die man so nicht umbauen kann. Die Sensibilisierung insgesamt ist aber da. Ob es in Deutschland auch so einen vergleichbaren Schadenersatzprozess geben kann, kann man nicht ganz ausschließen.

BR-KLASSIK: Würden Sie anregen, dass Musiker verpflichtend Gehörschutz tragen müssen?

Gerald Mertens: Eine allgemeine Verpflichtung zum Tragen von Gehörschutz ist kontraproduktiv. Normalerweise ist es so, dass Musiker bei leisen Stellen den individuellen Gehörschutz deaktivieren oder herausnehmen und nur kurz vor einer lauten Stelle (zum Beispiel in einer Mahler-Symphonie) aufsetzen. Man versucht also, flexibel damit umzugehen. Ich glaube, das ist auch der richtige Weg. Was wir aber empfehlen: Musiker sollten sich regelmäßig alle zwei bis drei Jahre auch am Gehör untersuchen lassen, damit sie im Zweifelsfall auch dokumentieren können, dass sie ein normales Hörvermögen hatten.

BR-KLASSIK: Gibt es nicht ein gewisses Restrisiko, das einfach da ist für Musiker?

Gerald Mertens: Es gibt ein Restrisiko. Das Problem ist, dass das Bewusstsein für die Schonung des Gehörs eigentlich schon in der Ausbildung einer Musikschule oder im Einzelunterricht einsetzen muss. Ein Mensch hat ungefähr zwei Millionen Sehzellen aber nur 12.000 Hörzellen. Das heißt, das Ohr kann durch einen einmaligen Schlag oder Schuss dauerhaft geschädigt werden und insofern ist auch schon jungen Musikern in der Ausbildung zu empfehlen, wirklich auf ihr Gehör acht zu geben.

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