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Heinz-Jörn Moriske zur Aerosolstudie "Eine Schlüsselstudie für die Politik"

Zu den Ansteckungsgefahren durch Aerosole in Konzert- und Opernhäusern wird mittlerweile eifrig geforscht. Neue und durchaus positive Erkenntnisse liefert jetzt Dr. Heinz-Jörn Moriske, Direktor des Umweltbundesamts, der Untersuchungen für das Konzerthaus Dortmund angestellt hat. Im Interview mit BR-KLASSIK verrät er, was an dieser Studie neu und anders ist.

Dr.-Ing. Heinz-Jörn Moriske | Bildquelle: Dr.-Ing. Heinz-Jörn Moriske

Bildquelle: Dr.-Ing. Heinz-Jörn Moriske

BR-KLASSIK: Herr Moriske, es sind in letzter Zeit diverse Studien gemacht worden zum Ausstoß von Aerosolen durch Musikerinnen und Musiker oder Sänger auf der Bühne. Auch eine Studie zum Infektionsrisiko im Parkett an der Bayerischen Staatsoper gibt es. Was ist das Besondere an dieser Studie aus dem Dortmunder Konzerthaus?

Heinz-Jörn Moriske: Das Besondere an dieser Studie ist, dass man dort Dummies reingesetzt hat. Diese Puppen kennt man ja auch aus dem Verkehrsgeschehen bei Unfall-Crashtests. Die fungieren als Spreader, die virenbeladene Tröpfchen abgeben. Und dann hat man die Verteilung dieser Tröpfchen und Aerosole im Raum untersucht. Sehr erfreulich waren dabei die Ergebnisse, dass Tröpfchen beim Ausatmen bereits ohne Maske den direkt vor einem Sitzenden kaum erreichen. Vielmehr werden sie durch eine lüftungstechnische Anlage vertikal nach oben geführt und direkt zur Abluft an die Decke abtransportiert. Einziges Problem war, wenn man kurz zur Seite schaut oder mit dem Nachbarn direkt spricht. Mit Maske war das natürlich insgesamt noch deutlich besser.

Konzertsäle sind 'einfacher' zu händeln als zum Beispiel Gaststätten.
Heinz-Jörn Moriske, Direktor des Bundesumweltamts

BR-KLASSIK: Sind Ihnen Studien bekannt, die den nun gewonnenen Erkenntnissen widersprechen, die im Grunde aussagen: Ein Konzertbesuch ist gesundheitsgefährdend, weil er ein hohes Ansteckungsrisiko birgt?

Heinz-Jörn Moriske: Nein, solche Studien gibt es schlichtweg nicht. Die momentane Zurückhaltung ist eher aus der Not heraus geboren. Niemand weiß so recht, woher die rund 80 Prozent der Infektionsherde herkommen. Deshalb wird versucht, alle möglichen Örtlichkeiten als Ursache ins Spiel zu bringen. Da kommen neben Schulen auch Theater, Kinos und Konzerthäuser ins Gespräch. Aber Untersuchungen, dass diese als große Quelle für die Verbreitung von SARS-CoV-2 gelten, gibt es nicht. Man muss immer unterscheiden: Konzertsäle sind sogar "einfacher" zu händeln als zum Beispiel Gaststätten, wo Leute in direkten Kontakt miteinander treten. In Konzerthäusern sitzen die Leute dagegen brav in ihren Reihen und schauen sich die Veranstaltung vorne an. Das ist im Hinblick auf den Infektionsschutz ein ganz entscheidendes Kriterium, das für die Konzerteinrichtungen spricht. Denn nur so kann man Lüftungskonzepte und Hygienekonzepte erarbeiten – wenn die Leute sich daran halten.

Risiko bei mutiertem Virus wohl nicht erhöht

BR-KLASSIK: Ist die Konzentration von Aerosolen in diesen neuen Messungen so gering gewesen, dass man auch unter Berücksichtigung der neuen Virus-Variante, die ja um einiges ansteckender ist, dieselben Empfehlungen aussprechen kann? Kann also der Saal zu 50 Prozent belegt sein – beziehungsweise zu 100 Prozent mit Maske?

Heinz-Jörn Moriske: Das gilt per se auch für die mutierte Version.

Die Ergebnisse aus Dortmund sind übertragbar auf Einrichtungen, die ein ähnlich großes Raumvolumen haben.
Heinz-Jörn Moriske, Direktor des Bundesumweltamts

Akustikelemente unter Umständen kritisch

BR-KLASSIK: Der Konzertsaal in Dortmund hat eine sehr moderne Lüftungsanlage. Sind die gewonnenen Erkenntnisse auch übertragbar auf andere Häuser und Säle? Oder müsste jeder Saal seine eigene Studie beauftragen?

Heinz-Jörn Moriske: Nein, es muss mit Sicherheit nicht jede Kultureinrichtung eine eigene Studie beauftragen. Es wäre viel zu teuer und würde nicht unbedingt neue Erkenntnisse bringen. Die Ergebnisse aus Dortmund sind übertragbar auf Einrichtungen, die ein ähnlich großes Raumvolumen haben, die eine ähnlich große Anzahl von Personen haben, die sich in diesem Konzertsaal aufhalten, und die eine ähnliche Verteilung haben. Im Grunde ist die Empfehlung dieses schachbrettartige Sitzen. Und ganz entscheidend ist, dass diese Säle eine Raumlufttechnik haben, die in ähnlicher Weise funktioniert. Das ist natürlich in der Tat nicht in jedem Konzerthaus der Fall. Diese Parameter treffen für einige große Konzerthäuser wie Philharmonien nicht eins zu eins zu, denn dort haben wir mehr Probleme – beispielsweise durch abgehängte Deckenteile, Wandeinbauten, Sicken oder Ähnliches, die im gesamten Raum verbaut sind, um dort eine bessere Akustik zu erzielen. In Hinblick auf die Luftführung und den Abtransport von Aerosolen sind diese Elemente natürlich eher hinderlich. Das heißt, man sollte das in solchen Einrichtungen vor Ort jeweils nochmal durch strömungstechnische Untersuchungen absichern. Alle anderen Parameter bleiben aber so wie in Dortmund auch.

Politik trifft die Entscheidungen

BR-KLASSIK: Welche Art von Entscheidungspositionen hat das Umweltbundesamt? Welches Gewicht hat das Ergebnis der Studie für politische Entscheidungen?

Heinz-Jörn Moriske: Das Umweltbundesamt steht in engem Kontakt auch mit der Kulturbeauftragten der Bundesregierung, mit verschiedenen Ministerien, die sich um dieses Thema kümmern, weil man durchaus wartet und darauf hofft, dass wir jetzt ein Instrumentarium erarbeiten, das dann auch in die Politik zurückkommuniziert wird, mit dem diese allmähliche Wiedereröffnung beginnen kann. Ob das politisch dann immer eins zu eins umgesetzt wird, das ist eine andere Frage. Das kann das Umweltbundesamt natürlich nicht beeinflussen.

Ob das politisch dann immer eins zu eins umgesetzt wird, das ist eine andere Frage.
Heinz-Jörn Moriske, Direktor des Bundesumweltamts

BR-KLASSIK: Das heißt also, wir können hoffen, dass die Ergebnisse nicht in der Luft verpuffen? Und kann man sagen, dass das eine Schlüsselstudie zur möglichen Wiedereröffnung der Kultur ist?

Heinz-Jörn Moriske: Mit Dortmund und weiteren Untersuchungen haben wir in der Tat jetzt Schlüsselstudien, auf denen wir erstmal bei unseren Empfehlungen aufbauen können – und auf denen dann die Politik weiter aufbauen soll. Das ist die Intention.

Sendung: "Leporello" am 13. Januar 2021 ab 16:05 Uhr auf BR-KLASSIK

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