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Jiří Bělohlávek im Interview "Das Zurückkommen war nicht leicht"

Ab Sonntag geht die Tschechische Philharmonie unter der Leitung ihres Chefdirigenten Jiří Bělohlávek auf eine kleine Deutschland-Tournee. Im Interview erzählt Bělohlávek über das Musikleben in Tschechien, sein Verhältnis zum Orchester und über ein ganz persönliches musikalisches Projekt.

Dirigent Jiří Bělohlávek | Bildquelle: picture alliance / Rene Fluger/CTK/dpa

Bildquelle: picture alliance / Rene Fluger/CTK/dpa

BR-KLASSIK: Herr Bělohlávek, beim ersten Konzert der Tschechischen Philharmonie 1896 stand Antonín Dvořák am Pult; jetzt kann man bei der Saisoneröffnung zum 120. Geburtstag der Tschechischen Philharmonie seinen Enkel unter den Zuschauern ausmachen. Familie Dvořák nimmt immer noch teil am Leben der Tschechischen Philharmonie.

Jiří Bělohlávek: Wir mögen Herrn Antonín Dvořák den Dritten sehr, der uns sehr oft besucht, und der das Erbe seines Großvaters mit großer Sorgfalt pflegt. Aber viel wichtiger ist die Tatsache, dass Dvořáks Werke bei uns zu Hause sind und dass wir sein Werk einfach sehr fleißig und in seiner Vielfalt aufführen.

BR-KLASSIK: Hat es auch damit zu tun, dass Tschechien ein relativ kleines Land ist, dass man also schauen muss, seine eigenen Leute zu pflegen?

Jiří Bělohlávek: Es ist unsere Freude und unsere Pflicht, das zu machen. Und es ist natürlich auch die Hauptaufgabe der Tschechischen Philharmonie: das Kernrepertoire der tschechischen Musik auf bestem Niveau zu präsentieren.

Ein Puzzle von Interessen und Plänen

BR-KLASSIK: Sie stehen gleichzeitig für die Öffnung der Tschechischen Philharmonie auch für andere Komponisten …

Jiří Bělohlávek: Natürlich. Ich habe immer gesagt, dass wir nicht nur ein Museum sein wollen, sondern eine lebendige Organisation, die wahrnimmt, was in der Musikgeschichte und in der Musikgegenwart geschieht. Natürlich haben wir in jeder Saison nur eine gewisse Zahl von Programmen. Wie in einem Puzzle versuchen wir, die verschiedenen Interessen und Pläne unter einen Hut zu bringen.

BR-KLASSIK: Sie haben bis 1989 die Prager Sinfoniker gleitet; ab 1990 haben Sie bereits schon einmal die Tschechische Philharmonie übernommen. Das ging allerdings nur zwei Jahre gut - was war damals los? Wieso sind Sie gegangen?

Jiří Bělohlávek: Es war die Zeit des Umbruchs. Im Orchester hatte man (nach der Öffnung des Eisernen Vorhangs) viele Erwartungen und Hoffnungen. Man wollte sich sofort dem Westen öffnen und glaubte, mit einem nicht tschechischen Dirigenten mehr Kontakte und mehr Möglichkeiten im Ausland zu bekommen. Ich hatte ja mit dem Orchester schon seit 1981 regelmäßig gearbeitet. Ich war also sehr gut bekannt, und dem zufolge keine Überraschung für das Orchester. Und die Musiker  wollten, ganz klar, einen neuen Wind.

Vom grossen Orchester zum Kammerensemble

BR-KLASSIK: Und gleichzeitig haben Sie auch ein bisschen Abstand gewonnen und konnten andere Sachen machen …

Dirigent Jiri Belohlavek | Bildquelle: picture-alliance/dpa Jiří Bělohlávek | Bildquelle: picture-alliance/dpa Jiří Bělohlávek: Dazu komme ich gleich. Diese Atmosphäre der Erwartung des Neuen hat jedenfalls auch mitgespielt. Und nachdem Herr Albrecht (der Dirigent Gerd Albrecht) sich für die Stelle interessiert hatte und verschiedene neue Projekte mit dem Orchester plante, wollte eine Mehrzahl der Musiker ihn als meinen Nachfolger haben. Natürlich war das alles ein bisschen abrupt und nicht ganz in Gentleman-Manier gemacht. Als ich das beobachtet habe, habe ich einfach gekündigt. Ich habe noch alle meine Verpflichtungen erfüllt, wollte aber nicht weiter als Chef wirken. Und da ich frei war, konnte ich sofort meine verschiedenen Kontakte im Ausland auffrischen. Außerdem kam 1994 ein wichtiges Angebot dazu: ein neues Orchester aus jungen Leuten zu bilden, ein Laboratorium, in dem ich mich verwirklichen konnte. Es war ein kammermusikalisches Ensemble, mit dem ich schnell wunderbare Projekte realisiert  habe. Wir haben auch Konzerte im Ausland gegeben. Prager Kammerphilharmonie hieß das Ensemble zu Beginn. Heute heißt es Prague Philharmonia, PKF, und ist nach zwei Jahren schon in der Spitzengalerie der Kammerensembles angekommen. Es ist ein wunderbares Ensemble, das die Prager Saison regelmäßig bereichert und auch im Ausland schon einen sehr guten Namen hat.

Geben und Nehmen als Prinzip

BR-KLASSIK: Jetzt sind Sie seit vier Jahren wieder Chef der Tschechischen Philharmonie. Wie fühlt sich das an?

Jiří Bělohlávek: Das Zurückkommen war nicht leicht. Ich wusste, wenn ich zurückkommen soll, müssten wir ein neues Kapitel aufschlagen. Das sollte nicht nur ein Wechsel an der Spitze sein, um dann in denselben Gleisen weiterzufahren. Ich habe als Bedingungen verschiedene Sachen verlangt, inklusive der finanziellen Unterstützung des Orchesters, da die Differenz zwischen den Spitzenorchestern in unserem Land und zum Beispiel in Deutschland immer noch sehr groß ist. Damals, vor vier Jahren, war sie absolut katastrophal. Ich sagte, dass ich das innere Leben des Orchesters ändern würde - im Sinne einer viel intensiveren Orchesterarbeit. Wir würden von den Spielern viel mehr verlangen, aber dafür müssten wir auch etwas bieten. Dieses Geben und Nehmen war das Prinzip, das ich als Bedingung meiner Rückkehr gestellt habe. Und dieses Prinzip wurde damals mit Hilfe des Kultusministers und des Finanzministers durchgesetzt. Und wir haben regelmäßig und fleißig zu arbeiten begonnen.

BR-KLASSIK: Und auch sehr erfolgreich …

Jiří Bělohlávek: Ja, das kann man sagen.

Die Fragen stellte Michael Atzinger für BR-KLASSIK

Informationen zur Tournee der Tschechischen Philharmonie

Sonntag, 27. November, 20.00 Uhr:
Köln, Philharmonie
Montag, 28. November, 20.00 Uhr:
München, Philharmonie im Gasteig
Dienstag, 29. November, 19.30 Uhr:
Hamburg, Laeiszhalle
Mittwoch, 30. November, 20.00 Uhr:
Düsseldorf, Tonhalle
Donnerstag, 1. Dezember, 19.30 Uhr:
Hannover, Congress Centrum

Programm in München:
Antonín Dvořák:
"Othello",  Ouvertüre op. 93
Robert Schumann:
Konzert für Klavier und Orchester a-Moll op. 54
Solistin: Khatia Buniatishvili
Antonín Dvořák:
Symphonie Nr. 7 d-Moll op. 70

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