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Janaceks "Totenhaus" in Nürnberg Hinter den Kulissen der Produktion

Dostojewskis "Aufzeichnungen aus einem Totenhaus" liefert die brutalen Gefängnismotive für Leoš Janáčeks Oper im Nürnberger Staatstheater. Am 12. März 2016 feierte die Neuproduktion Premiere. Regisseur Calixto Bieito, Dirigent Marcus Bosch und weitere Mitwirkende schildern die Herausforderungen der Inszenierung.

Szenenbilder "Aus einem Totenhaus" von Leoš Janáček am Nürnberger Staatstheater, 2016 | Bildquelle: Ludwig Olah

Bildquelle: Ludwig Olah

MARCUS BOSCH, Musikalischer Leiter

Szenenbilder "Aus einem Totenhaus" von Leoš Janáček am Nürnberger Staatstheater, 2016 | Bildquelle: Ludwig Olah Gewalt unter Gefangenen: "Aus einem Totenhaus" in der Inszenierung von Calixto Bieito | Bildquelle: Ludwig Olah "Ein Chor im Gefängnis ist kein Chor, sondern diese vierzig Menschen sind auch alle Einzelverbrecher. Der eine ist Kindsmörder, der andere hat "nur" geklaut, der andere ist politischer Gefangener. Insofern tauchen sie nicht als Figuren auf. Das ist für das Publikum spannend: Zu beobachten und zu fragen, wer wohl was auf dem Kerbholz hat. Und trotzdem agiert diese Masse und entwickelt natürlich barbarische Kräfte gegen Einzelne. Ob das nun im Spiel oder im Ernst ist. In diesen Gefängnissen, wir erleben das ja bis heute, gibt es teilweise noch mehr Gewalt als draußen, ob's in sexueller Hinsicht ist, das wird thematisiert. Auch die beiden Rollen, die man als Frauenrollen besetzen kann, Aljeja und die Dirne, sind bei uns ebenfalls Männer. Insofern ist das von Regisseur Calixto Bieito nochmal fokussierter und noch stärker auf männliche sexuelle Gewalt fokussiert worden."

CALIXTO BIEITO, Regisseur

"Ein Thema meiner Arbeit ist immer der innere Vorgang bei den Menschen. Ihre Reue, ihre Hoffnung, Liebe, Schwäche. Ich bin besessen danach, diese Dinge hervorzuholen. Die Oper "Aus einem Totenhaus" ist so besonders, weil sie Janaceks letzte Oper ist. Jemand hat sie für ihn beendet. Ein sehr emotionales Werk."

PETER THEILER, Staatsintendant

Szenenbild aus der Oper "Aus einem Totenhaus" am Staatstheater Nürnberg | Bildquelle: Ludwig Olah Eine "Antonow" aus der Nachkriegszeit als Bühnenbild: Mit Motor könnte sie sogar fliegen. | Bildquelle: Ludwig Olah "Calixto Bieito ist einer der spannendsten Regisseure unserer Zeit und ich denke, er darf hier auf unserem Nürnberger Spielplan nicht fehlen. Und ich habe die Produktion, die er für Basel erarbeitet hat, gesehen und ich war begeistert von der Bildsprache und seinem Ansatz, mit diesem Werk umzugehen. Es ist eine zutiefst humanistische Sichtweise auf dieses Stück, das ja letzten Endes auch von Strafgefangenen und von gegenseitiger Gewalt spricht. Diese sehr menschlichen Ansätze hat ja auch der Komponist so gesehen, die hat auch Dostojewski so gesehen, der die Textvorlage geliefert hat. Das Bühnenbild besteht im Wesentlichen aus einem Flugzeug, aus einer alten Antonow. Die haben wir in Ostdeutschland gefunden und dort gekauft. Unsere Technik hat die dann in Teile zerlegt, gereinigt, den Motor ausgebaut, und sie musste entsprechend auch um Gewicht erleichtert werden. Es ist das größte Doppeldecker-Flugzeug, dass in der Nachkriegszeit gebaut wurde und er ist eigentlich flugtauglich. Man müsste den Motor nur einbauen. In Russland wird die Antonow übrigens heute noch für Transporte und Fallschirmspringer eingesetzt."

JOHANN CASIMIR EULE, Dramaturg

"Der Stoff war zu Janaceks Zeit komplett neu. Er ist überhaupt nicht opernkompatibel im klassischen Sinne. Es gibt keine klassische Handlung, sondern alles passiert in einem geschlossenen Raum. Dort sind über den ganzen Abend 70 Männer versammelt, die durchgängig agieren. Aber dem Geschehen zu folgen ist schwierig, weil eben nur auf einzelne Schicksale das Geschehen fokussiert wird. Es werden Erzählungen darüber gegeben, was in der Vergangenheit passiert ist. Die Leute werden unterbrochen, es gibt Zwischenspiele, Theateraufführungen – es ist wirklich wie aus dem Leben heraus gegriffen, vordergründig und nicht im klassischen Sinne strukturiert. Calixto Bieito hat dieses Stück sehr intensiv inszeniert. Jede Figur spielt die ganzen 100 Minuten durch, egal ob sie singt oder nicht. Wir hören Büchsengeklapper, wir hören das Rascheln von Plastiksäcken, es wird mit Wasser gearbeitet, es sind ganz viele auch gewalttätige Aktionen, die sich wie eine zweite Tonspur mit dem Gesang und dem Orchesterklang vermischen."

Die Gespräche führte Dorothea Hußlein für BR-KLASSIK.

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