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"Iwan Sussanin" in Frankfurt Buh-Rufe für russischen Hurra-Patriotismus

Schon nach dem zweiten Akt gab es wütende Proteste aus dem Publikum in der Frankfurter Oper. Am Ende gingen die Meinungen über "Iwan Sussanin", besser bekannt unter dem Titel "Ein Leben für den Zaren", sehr auseinander.

Der Komponist Michail Glinka wollte sich mit seinem fünfstündigen Riesenwerk 1832 bei Hofe beliebt machen, was ihm auch gelang: Der Zar schenkte ihm nach der Uraufführung einen Brillantenring im Wert von 4000 Rubel. Doch Regisseur Harry Kupfer interessierte sich weder für den Zaren, noch für die ursprüngliche, sehr altertümliche Handlung: Dass Russland im Jahr 1613 die Polen besiegte, mag in Moskau bis heute unvergessen sein und mit Glinkas Nationaloper regelmäßig gefeiert werden, kann deutschen Zuschauern von heute aber einerlei sein. Deshalb verlegte Harry Kupfer das Ganze in den Zweiten Weltkrieg, aus den kriegslüsternen polnischen Eroberern des Originals wurden bei ihm deutsche Soldaten, die über Partisanen herfallen. Das sorgte zeitweise für Aufregung und Buh-Rufe. 

Die inzwischen 80-jährige Regie-Legende Harry Kupfer und sein 70-jähriger Ausstatter Hans Schavernoch bekennen sich zum "Poetischen Realismus" und sind mit diesem Stil zumindest optisch etwas aus der Zeit gefallen. Auf der Bühne ist eine halb im Boden versunkene Kirchenruine zu sehen, davor zerborstene Glocken, alles sehr naturalistisch anzuschauen. Der Blick verliert sich in einem sehr wolkenverhangenen Himmel, und um die malerische Schwermut noch zu steigern, ragen ein paar Baumstümpfe in die Luft. Später geht ein unheilvolles Schneegestöber über dem sumpfigen Dickicht der russischen Taiga nieder, alles sehr effektvoll anzuschauen, und der russische Triumph über die deutschen Aggressoren wird natürlich auf dem Roten Platz vor dem Lenin-Mausoleum gefeiert.

Martialisches Ballett und zottelige Pelzmäntel

Der holländische Bühnenbildner Yan Tax steuerte dazu naturalistische Kostüme bei: Die Nazis feiern in Uniform und Abendkleid, ihre polnischen Untertanen tanzen dazu ein martialisches Ballett, die sowjetischen Partisanen kämpfen sich unterdessen in zotteligen Pelzmänteln und groben Stiefeln zum Ruhm. Das sieht hier und da ironisch aus, auch mal unfreiwillig komisch, ist aber poetisch, also anrührend, einfühlsam gemeint. Mag sein, dass auch diese Bildsprache so manchen irritierte, denn russischer Patriotismus, der auch noch typisch russisch verpackt, also gefühlsgeladen, daher kommt und auf den ersten Blick nicht weiter hinterfragt wird, ist in den Zeiten von Putins neuem Selbstbewusstsein nicht jedermanns Sache.

Insofern war es trotz der pittoresken Ausstattung ein hochaktueller Opernabend zum Stand der deutsch-russischen Beziehungen. Erstaunlich, wie empfindlich hierzulande der eine oder andere immer noch auf den ehemals sowjetischen Nationalstolz reagiert - möglicherweise ist das ein Grund für die derzeitigen außenpolitischen Missverständnisse bis hin zur völlig unterschiedlichen Bewertung der Ukraine-Krise. Wie auch immer, musikalisch war es ein sehr überzeugender Abend.

Lohnenswerter Opernabend

Dirigent Sebastian Weigle ließ das Orchester toben und tosen, auch mal sentimental schluchzen - Komponist und Patriot Glinka hatte keine Scheu vor Pomp, was auch dem viel beschäftigten und hochmotivierten Chor zugutekam. Unter den Solisten überzeugte vor allem Bass-Urgestein John Tomlinson in der Titelrolle des Iwan Sussanin, der sich für Mütterchen Russland opfert und von den deutschen Soldaten zu Tode gefoltert wird. Umjubelt wurde auch Katharina Magiera in der Hosenrolle des jungen Wanja, der die Partisanen rechtzeitig warnt, sowie Sopranistin Kateryna Kasper als heiratswillige Tochter Antonida. Der russische Tenor Anton Rositskiy wirkte dagegen nervös und stimmlich unausgeglichen. Ein insgesamt umstrittener, aber umso lohnenswerterer Opernabend.

Infos und Termine

oper-frankfurt.de

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