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Interview mit Julia Lezhneva "Die Stimme ist der Klang der Seele"

Julia Lezhneva ist erst 25 Jahre alt, gehört aber bereits zu den gefeierten Barockmusik-Interpreten. Erst kürzlich machte die russische Sopranistin mit ihrer neuen Händel-CD Furore. Aufgewachsen ist sie im hintersten Zipfel Russlands, hat ihre Heimat aber schon früh verlassen. Wie das Leben die Entwicklung der Stimme beeinflusst, verrät sie BR-KLASSIK.

Julia Lezhneva | Bildquelle: Decca / © Uli Weber

Bildquelle: Decca / © Uli Weber

BR-KLASSIK: Julia Lezhneva, auf Ihrer neuen CD sind Händel-Arien aus verschiedenen Opern und auch geistlichen Werken. Sie haben Arien ausgewählt, die Händel komponiert hat, als er ungefähr so alt war wie Sie jetzt sind. Wie stellen Sie sich Händel vor? Was verbindet sie denn mit diesem Komponisten?

Julia Lezhneva: Ich kann mich gut in die Gefühle eines jungen Mannes hineinversetzen, der zum ersten Mal seine Heimat verlässt, um in ein völlig fremdes Land zu gehen – ein Land mit einer ganz anderen Mentalität. Damit ändert sich das Leben total. Als ich von zu Hause fortging, war ich 18 Jahre. Ich lebte ganz alleine in England. Zuerst war ich sehr verängstigt, ich konnte ja mit niemandem reden. Ich fühlte mich einsam und traurig. Aber auf einmal beginnt dann etwas Neues. Man findet zu sich selbst. Man entdeckt so vieles, was man vorher nicht bemerkt hat. Gegen Ende meines Studiums wurde ich als Mensch und als Musikerin unabhängig. Das bedeutet, in jeder Hinsicht frei zu sein. Und zwar nicht nur im materiellen Sinne – also, dass man für sich selbst sorgen und eigene Entscheidungen treffen kann. Es geht auch um die ideelle Freiheit. Verstehen Sie? Es ist so erstaunlich! Immerhin bin ich erst 25, genauso alt wie Händel, als er Italien wieder verließ.

BR-KLASSIK: Sie haben schon gesagt, Sie sind sehr früh von zu Hause weggegangen. Sie sind auf Sachalin geboren, das ist ja selbst für Russen am anderen Ende des Landes. Wie muss man sich Ihre Kindheit auf dieser Insel vorstellen?

Julia Lezhneva: Auch mir kommt es inzwischen wie ein Traum vor. Meine Eltern und ich haben Sachalin verlassen, als ich sieben Jahre alt war. Seitdem bin ich nie mehr dort gewesen. Die ersten Jahre in Moskau waren sehr schwer, weil diese Insel einfach meine Heimat war. Dort bin ich geboren, das ist mein Heimatland – das habe ich so stark gefühlt. Aber ich konnte leider nicht dorthin zurück. Meine Kindheit war absolut wunderbar. Natürlich habe ich keine Vergleichsmöglichkeiten, aber ich fühle mich als absolut glücklicher Mensch. Ich hatte sehr viele Freunde dort. Die Natur ist dort wirklich ganz besonders. Ich liebe den Schnee und den Winter. Ich bin ja auch im Dezember geboren. Wenn man in Sachalin aufwächst, hat man großes Glück, denn dort gibt es sehr viel Schnee. Manchmal reicht er bis zum zweiten Stock der Häuser. Ich habe fantastische Erinnerungen an meine Kindheit. Ich hoffe, dass es mir mein Terminkalender irgendwann mal erlaubt, für eine oder zwei Wochen in meine Heimat zurückzukehren.

BR-KLASSIK: Ist das Timbre der Stimme etwas, was man einfach so hinnehmen muss, wie es ist? Oder kann man da doch auch daran arbeiten, dass es genau die Formvollendung, dieses Runde und Warme bekommt?

Julia Lezhneva: Ich glaube, beides trifft zu. Man wird mit einem gewissen Talent oder einer gewissen Stimme geboren. Einige Klangfarben sind schon vorgegeben. Als ich im Alter von fünf Jahren im Chor gesungen habe, klang es schon sehr klar und natürlich. Meine Lehrerin war mit meiner Stimme immer sehr zufrieden. Mit elf Jahren habe ich dann mit privatem Gesangsunterricht angefangen. Auch meine Gesangslehrerin fand meine Stimme gut. Im Laufe der Zeit habe ich aber gemerkt, dass man besser werden kann, dass man sich den Klang, den man mit seiner Stimme erzeugen möchte, selbst erarbeiten kann. Ich glaube, dass das Timbre sehr viele Fragen beantworten kann, die sich das Publikum vielleicht stellt. Es ist sozusagen der Klang der Persönlichkeit.

Julia Lezhneva | Bildquelle: picture-alliance/dpa Julia Lezhneva 2015 in einer Aufführung der Barockoper 'Siroe, Re di Persia' von Johann Adolph Hasse | Bildquelle: picture-alliance/dpa Wenn man seine Persönlichkeit entwickelt, kann man zugleich den Klang der Stimme verbessern. Ich glaube das jedenfalls. Man kann sowohl die Sprechstimme wie die Singstimme entwickeln, wenn man sich genau überlegt, wohin die Reise gehen soll. Wenn man im Leben etwas nicht machen möchte, sollte man es auch nicht tun. Wenn man aber unbedingt etwas Bestimmtes erreichen will, dann findet man den richtigen Weg. Man wird damit Erfolg haben, weil man es wirklich will. Das habe ich gelernt, als ich meiner eigenen Stimme zuhörte. Das ist für jeden Sänger erstmal schwer. Aber man muss das machen, sonst kann man nicht einschätzen, wie das Publikum einen erlebt. Mir hat es geholfen, dass ich gelernt habe, mir selbst zu zuhören. So kann ich das, was mir nicht gefällt, korrigieren. Man hört sich selbst als Außenstehende zu.

BR-KLASSIK: Sie können auf der einen Seite langsame Sachen unglaublich schön singen, auf der anderen Seite aber auch brillanteste Koloraturen. Sind Sie eher der ausgeglichene Typ oder darf es für Sie auch mal ein bisschen wild sein?

Julia Lezhneva: Beides ist schön. Ich bin wohl eine sehr konträre Persönlichkeit. Ich finde es sehr interessant, zu beobachten, wie meine Seele und mein Körper mit unterschiedlichsten Lebenssituationen fertig werden. Die Stimme ist der Klang der Seele, mit ihr kann man verschiedene Erfahrungen ausdrücken. Mit der Stimme ist das sogar leichter als mit einem anderen Instrument. Alles, was man im Leben mitgemacht hat, schlägt sich in der eigenen Stimme nieder. Man kann es an winzigen klanglichen Nuancen hören.

BR-KLASSIK: Sie singen sehr viel Barockmusik, das ist Ihr Spezialgebiet. Werden wir in Zukunft vielleicht auch ein bisschen mehr russisches Repertoire, Lieder oder Oper, von Ihnen hören?

Julia Lezhneva: Ich würde mich sehr gerne als Lied-Sängerin weiterentwickeln. Es gibt so viel großartige, tiefgehende und gefühlvolle Vokalmusik von Tschaikowsky und Rachmaninow, den berühmtesten Komponisten russischer Lieder. Ehrlich gestanden habe ich bisher noch nicht so viel russische Musik gesungen, weil ich schon seit meiner Jugend ein Fan von Barockmusik bin. Ich habe immer davon geträumt, viel über Barockmusik zu erfahren und sie zu singen. Diesen Traum habe ich mir erfüllt. Vielleicht werde ich in Zukunft ganz langsam mit den russischen Romanzen beginnen. Ich finde, dass man dafür schon einige Lebenserfahrung gesammelt haben sollte. Vor allem, wenn man in seiner eigenen Muttersprache singt, ist einem die Gefühlswelt so vertraut – und da ich so selbstkritisch bin, muss ich erst wirklich dafür bereit sein.

Konzerttipps

Am Mittwoch startet Julia Lezhneva ihre Konzerttournee in Deutschland. Alle Termine dazu finden Sie hier.

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