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Zugabe: Liebeserklärung an ein Instrument im Schatten Warum Bratscher glückliche Menschen sind

Die Bratsche steht im Schatten. Berühmte Pianisten sind Superstars, berühmte Geigerinnen sind Stars, berühmte Cellisten sind immerhin unter Klassikfans bekannt. Und Bratscher? Können froh sein, wenn alle 20 Jahre mal das Bratschenkonzert von Bartók auf dem Programm steht. Ansonsten versteckt sich das Instrument möglichst unauffällig im Tutti zwischen Geigen und Celli. BR-KLASSIK-Redakteur Bernhard Neuhoff ist Hobby-Bratscher – und sein Instrument ist seine große Liebe. Hier sagt er, warum Sie diese Liebe teilen sollten.

Zugabe – Bratsche: Barbara Buntrock, Viola | Bildquelle: BR/Fabian Stürz | Collage: BR-KLASSIK

Bildquelle: BR/Fabian Stürz | Collage: BR-KLASSIK

In Bayern gibt es wenige Menschen, die aus Ostfriesland kommen. Dafür eine Menge Blondinen. Ein paar Bratscherinnen und Bratscher gibt es auch. Ich bin einer. Und ein bisschen fühle ich mich ihnen verbunden, den Ostfriesen und den Blondinen. Ich weiß, wie sich das anfühlt, wenn alle Witze machen.

Kein Problem damit, ehrlich! Nur… Können Sie sich vorstellen, wie das ist, wenn mal wieder ein komödiantisch ambitionierter Mitmensch behauptet, er kenne einen echt guten, ganz neuen Bratschenwitz? Und dann kommt doch wieder sowas Ausgelutschtes wie: Zeitungsinserat, Bratsche zu verkaufen, ab zweiter Lage neuwertig, haha.

Witz, komm raus ...

Doch, wir Bratscher haben Humor, aber bitte, gebt euch doch etwas Mühe, wenn ihr meint, ausgerechnet uns Bratschenwitze erzählen zu müssen. Wir kennen nämlich alle. Und solange wir nicht so uralte erzählt bekommen wie den z.B: Was haben Waschmaschinen und Bratscher gemeinsam? Nix. Waschmaschinen kommen erst ganz am Schluss ins Schleudern und was rauskommt ist sauber, haha. Also: Solange es wirklich mal neue und womöglich sogar witzige Bratschenwitze sind, lachen wir auch am lautesten.

Dabei ist die Sache ernst. Es gibt sogar Dissertationen über den Bratschenwitz: Zur Scherzkommunikation unter Orchestermusikern, Tübingen 1991. Da kann man nachlesen, woher das alles kommt. Schon Johann Joachim Quantz schrieb in einem Standardwerk der Barockzeit: "Die Bratsche wird in der Musik mehrenteils für etwas geringes angesehen." Und der Romantiker Hector Berlioz klagte in seiner Instrumentationslehre: "War ein Musiker unfähig, den Violinposten genügend zu bekleiden, so wurde er zur Viola versetzt. Daher kam es, daß die Bratschisten weder Violine noch Viola spielen konnten." Das, meinte Berlioz hellsichtig, sei ein Missstand. Das müsse sich ändern.

Willkommen im heute: Bratschenvirtuosen mit Top-Instrumenten

Und das hat sich geändert: Im 20. Jahrhundert begann die Bratsche eine rasante Aufholjagd. Plötzlich schrieben große Komponisten großartige Bratschenkonzerte. Eine neue Spezies wurde gesichtet: der reisende Bratschenvirtuose. Und die Bratschen selbst wurden größer, lauter, sonorer. Früher hatte man Bratschen nämlich etwas lieblos gebaut. Wer eh nur begleitet, kann ruhig leise vor sich hin näseln. Die Wissenschaft hat dazu festgestellt, dass bei zu klein gebauten, näselnden Bratschen derselbe Frequenzbereich dominiert wie beim menschlichen Vokal "Ä".

Das, äh, ist aber noch lange kein Grund für schlechte Witze! Erstens klingen neugebaute Meisterinstrumente wunderbar warm. Für mich gibt es nichts schöneres als den samtigen Ton einer leeren Bratschen-C-Saite. Und zweitens kommt es auch auf menschliche Qualitäten an. Wir Bratschistinnen und Bratschisten drängeln uns nicht in den Vordergrund. Als Mittelstimmen sorgen wir für Ausgleich, helfen im Bass aus, haben aber auch kein Problem, kurz die Melodie zu übernehmen, wenn die gestressten, immer leicht neurotischen Geigen sich mal ausruhen müssen.

Die allergrößten Komponisten waren ... Bratscher!

Es kann auch kein Zufall sein, dass die allerallergrößten Komponisten Bratscher waren. Bach saß im Orchester an der Bratsche, Beethoven auch, Mozart spielte Bratsche im Quartett. Kein Wunder, dass diese Komponisten wunderschöne Bratschenstimmen geschrieben haben, die wir möglichst unauffällig genießen. So führen wir im Windschatten unseres Loser-Images ein unverschämt angenehmes Leben.

Im Schulorchester meines Sohnes gibt es 18 Celli, 27 Geigen und 4 Bratschen. Und da der Markt einiges regelt, können Sie sich leicht ausrechnen, dass man als mittelfitter Bratscher einen roten Teppich ausgerollt bekommt, während sehr viel fittere Geiger um ihren Platz an den vorderen Pulten kämpfen müssen. Angebot und Nachfrage, struggle for life. Niemand muss Alphatier-Instrumente wie Cello oder Geige spielen. Ihr wolltet es so. Ihr hättet auch Bratsche lernen können.

Für Bratschen-Fans und solche, die es werden wollen: 1. Internationaler Hindemith Violawettbewerb vom 14. bis 20. Oktober 2021 an der Hochschule für Musik und Theater München

Sendung: "Allegro" am 15. Oktober 2021 ab 6:05 Uhr auf BR-KLASSIK

Kommentare (1)

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Donnerstag, 21.Oktober, 11:37 Uhr

Achim Bubenzer

Bratscher

Lieber Herr Neuhoff, das ist eine wirklich geniale, humorvolle und liebevolle Hommage an die Bratsche. Meine Bratsche und ich haben uns über 50 Jahre die Treue gehalten, gegen allen Zeitmangel und Frustrationen wegen zu wenig Üben. Als Klimakämpfer würde ich sagen "Bratscher for Future"! Gerade das Unaufgeregte, Ausgleichende, nicht Egozentrische der Bratscher, das braucht es nicht zuletzt in unserer aktuellen Politik - ganz zu schweigen vom Streichquartett...

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