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Kritik - Krieg und Frieden in Nürnberg Gelungenes Mammutprojekt

Krieg und Frieden, nach dem berühmten Roman von Tolstoi, ist ein großes Opern-Drama, das Sergej Prokofjew unter dem Eindruck des deutschen Überfalls auf Russland im Zweiten Weltkrieg schrieb und das den russischen Widerstand und Sieg glorifiziert. In gekürzter Fassung immer noch gute dreieinhalb Stunden Spieldauer, 72 Sänger werden benötigt. Eine echte Herausforderung, mit der der neue Intendant des Staatstheaters Nürnberg, Jens-Daniel Herzog, in seine Amtszeit startet – und er führt auch gleich selbst Regie. Detlef Krenge war bei der Premiere gestern Abend in Nürnberg für BR-KLASSIK dabei.

Szenenbild der Prokofjew-Oper "Krieg und Frieden" - Taras Girininkas(Dolochow) und Tadeusz Szlenkier (AnatolKuragin) | Bildquelle: © Ludwig Olah

Bildquelle: © Ludwig Olah

Die Kritik zum Anhören

Ein wahrlich grandioser Theatermoment: Völlig unerwartet durchbrechen die russischen Volksmassen die hintere Bühnenwand, arbeiten sich vor bis an die Rampe und besingen den ebenso unerwarteten Einfall Napoleons in Russland. Dann fällt der Vorhang am Ende der ersten Hälfte. Es scheint, als lebe die Inszenierung vom neuen Theaterchef Jens-Daniel Herzog im ersten Teil nur für diesen Augenblick. Bis hierher entspinnt sich die Liebesgeschichte um Natascha, die mit ihrem jugendlichen Sissi-Charme alle in den Bann schlägt. Sehr überzeugend dargestellt von Eleonore Marguerre mit schöner und klarer Stimme.

Stimmlich herausragend: Jochen Kupfer

Szenenbild der Prokofjew-Oper "Krieg und Frieden" | Bildquelle: © Ludwig Olah Eleonore Marguerre (Natascha Rostowa) und KS Jochen Kupfer (Bolkonski) | Bildquelle: © Ludwig Olah Die dekadente Upper-Class Russlands wird gezeigt mit ihren Intrigen, ein Spiel mit Menschen und Gefühlen, eine große Tragödie in einem pro-europäischen, speziell französisch geprägten Milieu. Leidtragender ist neben Natascha vor allem ihr Bräutigam Fürst Andrej. Stimmlich herausragend hier Jochen Kupfer, der aber etwas steif agiert. An die kommenden Kriegsschrecken gemahnen nur die unwirtlich schwarzgefärbten, die ganze Szene düster beherrschenden Stellwände.

Nach der Pause herrscht Krieg

Der Krieg ist dann das Thema der zweiten Hälfte. Ausführlich und martialisch werden alle Gräuel ausgebreitet – freilich stets aus russischer Sicht. Die Franzosen werden lächerlich gemacht und das Vaterland gepriesen. Die Regie interpretiert nicht, sie stellt nur dar. Das wirkt in Zeiten des weltweit erstarkenden Populismus auf eine erschreckende Weise ganz aus sich selbst heraus. Es wird aber auch eine Chance vertan, hier Stellung zu beziehen. Den etwas unbedarften Typus des gut situierten, europäisch geprägten Intellektuellen auf der Sinnsuche verkörpert Zurab Zurabishvili sehr sinnfällig als Pierre Besuchow mit seinem leicht stählernen Tenor.

Die Inszenierung in Bildern

Joana Mallwitz pflegt ein detailreiches Klangbild

Der wahre Star des Abends ist die neue Generalmusikdirektorin. Joana Mallwitz bringt ihr Orchester bei den für die Vergnügungswelt stehenden Walzern charmant zum Swingen. Sie lässt es an den richtigen Stellen krachen und pflegt insgesamt ein detailreiches, präzises Klangbild, das den großen Bogen nicht aus den Augen verliert.

Gelungenes Mammutprojekt

Ebenfalls stechen wieder einmal die ausgezeichneten Chöre hervor, einstudiert von Tarmo Vaask. Tolle Stimmen bis in die zahlreichen Nebenrollen hinein, ein tolles Orchester, schöne Kostüme, eine eindrucksvolle Bühne, eine stimmige Regie. Was für eine Leistung bei so einem Mammutwerk.

Der Abend zeigt die ganze kompositionstechnische Souveränität und Finesse der Partitur von Sergej Prokofjew. Der große Wermutstropfen aber bleibt der langatmige Plot, der einem einiges an Durchhaltevermögen abverlangt. Begeisterter und langanhaltender Applaus für diesen gelungenen Einstand des neuen Teams am Staatstheater Nürnberg.

Sendung: "Allegro" am 1. Oktober 2018 ab 6:05 Uhr auf BR-KLASSIK.

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