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Kritik - Aribert Reimanns "Medea" in Berlin Emotionsbündel mit Furor

Die Uraufführung in Wien 2010 geriet zum Triumph für den Berliner Komponisten Aribert Reimann. Seine Oper "Medea" stellt die Hauptfigur als Geflüchtete und Opfer ihrer Not in der Fremde dar. Am 21. Mai war das Werk erstmals in Berlin zu erleben - an der Komischen Oper. Sowohl musikalisch als auch szenisch ließ die Produktion keine Wünsche offen, das Publikum reagierte gleichermaßen erschüttert und begeistert.

Szenenfoto: Nicole Chevalier (Medea), Nadine Wissmann (Gora), Anna Bernacka (Kreusa), Günter Papendell (Jason) | Bildquelle: Monika Rittershaus

Bildquelle: Monika Rittershaus

Sie hat es immer schwer in der Literatur und auf der Bühne: Medea. Sie wird vom Geliebten Jason verraten, aus Korinth verbannt und ermordet ihre Kinder. Warum? Ist sie eine rächende Mörderin? Eine verzweifelte Liebende? Eine kalte Intrigantin? Oder alles zusammen? Fest steht: Es ist eine entsetzliche Tat, die von Euripides, Ovid und Seneca bis Hanns Henny Jahnn, Anouilh oder Christa Wolf die Dichter beschäftigte und die auch die Opern- Komponisten wie Darius Milhaud, Theodorakis oder Aribert Reimann inspirierte. Reimanns Medea entstand aus der klaren Sprache der 1819 von Franz Grillparzer verfassten Trilogie "Das Goldene Vlies" und ist als Operndrama ein Glücksfall des modernen Musiktheaters. Wenn sie klug inszeniert und dramatisch dirigiert ist, erbebt das Opernhaus in einer zweieinhalbstündigen nie nachlassenden Spannung. Dazu braucht es ein schlüssiges Konzept, ein starkes Bühnenbild, ein Reimann begreifendes Orchester und eine herausragend spielende Sopranistin mit adäquatem Ensemble.

Gräber im Torfboden

All dies ist der Komischen Oper gelungen - mit der Inszenierung des Australiers Benedict Andrews. Er stellt die Verstoßene, die Fremde, den Flüchtling Medea in das Zentrum seiner Idee. Medea ist nicht willkommen im Reich des Kreon. Sie ist eine Barbarin, eine Frau, die mit ihrem Wissen und ihrer Kraft ängstigt. Medea gräbt auf dem Torfboden unter dem fahl-kalten Licht eines halben Mondes Gräber. Ihr eigenes und das für ihre Kinder. Und das für's Goldene Vlies. Jenes Vlies, das nach Delphi gehört, und das sie zum Schluss dorthin zurück bringt. Medea singt und spielt die in Chicago geborene Nicole Chevalier, Urenkelin von Maurice Chevalier und seit Jahren gefeiertes Ensemblemitglied der Komischen Oper. Sie entblößt sich für diese Rolle vollkommen.

Horrorvision einer Travestie

Szenenfoto: Nicole Chevalier (Medea) | Bildquelle: Monika Rittershaus Szenenfoto: Nicole Chevalier als Medea | Bildquelle: Monika Rittershaus Nicole Chevaliers Medea ahnt vom ersten Moment an, dass niemand in der Fremde ihr wohl gesonnen ist. Daher steigt sie bereits mit einem hohen Erregungspotenzial in die Rolle ein, gräbt wild im Boden, rast und rennt und weint und schreit und droht. Barfuß, im kniekurzen simplen weißen Seidenkleid, durchmisst sie den virtuellen Hausraum des Bühnenbildners Johannes Schütz, dessen Gebäude nur von hauchdünnen Schnüren markiert ist. Ihre Kinder sitzen als bunt gekleidete Puppen auf grauen Mauern oder an der nackten Bühnenhinterwand. Jason, der Verräter, der Ungetreue, der Kreons Tochter Kreusa heiraten soll, ist diesem Emotionsbündel, dieser Verzweiflung und diesem Furor Medeas gefühlsmäßig nicht gewachsen. Stimmlich ist es der schlanke, attraktive Günter Papendell aber durchaus. Grandios: der Herold, der Götterbote mit seinem Votum. Eric Jurenas im Discoglitzerkleid und mit Glatze ist die Horrorvision einer Travestie, ein fürchterlich-wissender Verkünder. 

Komponist im Glück

Steven Sloane dirigiert das riesige Orchester der Komischen Oper kongenial. Die erste Reihe musste für Schlagzeug und die vielen Streichergruppen ausgebaut werden. Und so erleben wir zum Schluss einen Komponisten im Glück. Der 81-jährige Aribert Reimann, im Berliner Grunewald zu Hause, hat mehrere Proben seines Werkes im Haus an der Behrenstrasse besucht. Und er ist - wie das Publikum - erschüttert und begeistert. Er herzt und umarmt beim Applaus alle sechs Sänger, den Dirigenten und das gesamte Team. Doch die Worte Medeas hallen noch lange in der warmen Berliner Sommernacht nach: "Erarmt bin ich an Macht. Der Erde Glück? Ein Schatten. Der Menschen Ruhm? Ein Traum".

Sendung: "Leporello" am 22. Mai 2017, 16.05 Uhr auf BR-KLASSIK

"Medea" in Berlin

Aribert Reimann: "Medea"
Komische Oper Berlin

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