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Kritik – "Die Frau ohne Schatten" bei den Osterfestspielen Baden-Baden Menschen, Geister, Sensationen!

Die Osterfestspiele in Baden-Baden beginnen mit "Die Frau ohne Schatten" von Richard Strauss. Und in der ersten Pause fragt ein renommierter Kritiker den langgedienten Pressesprecher des Baden-Badener Festspielhauses, wie denn bitte all die Betten sich so oft und elegant über die Bühne bewegten. Tja, sagt Rüdiger Beermann, das sei eben die Magie des Theaters! Und in der Tat gibt es sehr viel Theatermagie und Bühnenzauber an diesem viereinhalbstündigen Abend.

Szene aus "Die Frau ohne Schatten", Baden-Baden April 2023 | Bildquelle: Martin Sigmund

Bildquelle: Martin Sigmund

Dass das technische Personal sich einen Extraapplaus abholt, geht also voll in Ordnung! Das Regieteam wiederum bekommt neben viel Jubel auch ein paar heftige Buhs – interessanterweise erst beim zweiten Erscheinen. Soll das bedeuten, na gut, lassen wir Regisseurin Lydia Steier und ihre Mitstreiter leben, aber wenn sie sich nochmal vor den Vorhang wagen, dann setzt es was?!

Ausgangspunkt Jugendwohnheim

Szene aus "Die Frau ohne Schatten", Baden-Baden April 2023 | Bildquelle: Martin Sigmund Bildquelle: Martin Sigmund Steier reanimierte unlängst bei den Salzburger Festspielen ihre schon etwas ältere "Zauberflöte" und liefert seit Jahren zuverlässig mal starke, dann wieder durchaus flaue Arbeiten ab. Die "Frau ohne Schatten" bewegt sich überwiegend auf der tollen Seite. Wobei "toll" auch wortwörtlich zu nehmen ist. Ausgangspunkt ist ein (christliches) Jugendwohnheim. Oft sieht man die bereits erwähnten Betten samt ihren eher ruhigen Bewohnerinnen umherfahren. Ein junges Mädchen wirkt allerdings arg nervös und zeigt Auffälligkeiten, sie träumt, imaginiert, erinnert sich an eine sehr verrückte Geschichte mit lauter realen sowie irrealen, surrealen Figuren.

Panoptikum seltsamer Charaktere und Szenen

Richard Strauss und sein Librettist Hugo von Hofmannsthal zeigen in ihrer 1919 uraufgeführten Oper ein wahres Panoptikum, man könnte auch sagen Pandämonium, seltsamer Charaktere und Szenen. Der Kern ist eher simpel: des Kaisers Gattin hat keinen Schatten und kann darob keine Kinder bekommen. Ein armes Färberpaar kommt ins Spiel, der Färberin soll ihr Schatten abgeluchst werden. Die Handlung springt hin und her und her und hin, ein symbolträchtiger Falke taucht immer mal wieder auf, letztendlich geht alles gut aus.

Bei Lydia Steier sieht die Chose etwas anders aus. Eine offenbar junge Mutter, die ihr Kind verloren hat (was sich freilich nur durchs Lesen des Programmhefts erschließt), lebt im Heim und durchlebt das Ganze (nochmal), doch leider wird sie nicht glücklich. Während Kaiser und Kaiserin, Färber und Färberin hübsch ihren Liebesgesang über die Rampe schmettern, wühlt das Mädchen im Erdreich und man ahnt, Psychose nebst Tristesse bleiben.

Strauss als überdrehtes Musical

Szene aus "Die Frau ohne Schatten", Baden-Baden April 2023 | Bildquelle: Martin Sigmund Bildquelle: Martin Sigmund Vorher jedoch fährt Lydia Steier mit ihrem Ausstatterteam (Bühne Paul Zoller, Kostüme Katharina Schlipf, Licht Elana Siberski) die ganz große Show auf. Es gibt eine Unzahl von Effekten, mühelos, rasend schnell rauschen Bilder und Ideen vorüber, manchmal wirkt alles fast wie ein überdrehtes Musical, dann wieder sorgen an und in den Wänden drapierte Plastikbabys für Irritation. Es gibt sehr viel (Pseudo-)Sakrales, etwa eine überdimensionierte, lebendige Marienstatue. Steier scheint nicht immer einer stringenten logischen Struktur zu folgen beziehungsweise folgen zu wollen, vielmehr geht sie mit der ganz großen Überwältigungsregiepranke ran. Was angesichts von stückimmanenten Peinlichkeiten wie dem gequälten Jammern ungeborener Kinder durchaus sinnvoll und, ja, befreiend ist. Strauss-Puristen mögen die Nase rümpfen, aber diesem Problemstück mit solchen Schauwerten beizukommen zu versuchen, ist aller Ehren und Mühen wert!

Magier am Pult: Kirill Petrenko

Szene aus "Die Frau ohne Schatten", Baden-Baden April 2023 | Bildquelle: Martin Sigmund Bildquelle: Martin Sigmund Zu den Schauwerten gesellen sich erhebliche Hörwerte. Zuallererst durch Kirill Petrenko und die Berliner Philharmoniker, derzeit noch das österliche Residenz-Orchester in Baden-Baden, bevor es 2026 zurück nach Salzburg geht. Petrenko lässt die mal kammermusikalisch tiefschürfende, mal in glänzenden, prachtvollem Tuttibombast schillernde Partitur in jeder Facette aufblühen, bietet dabei einen Spannungsbogen, gleichsam ein langsames Anwachsen von Farben, Wärme, Lautstärke über drei Akte hinweg. Sensationell die bisher ziemlich unbekannte Miina-Liisa Värelä als Färbersfrau, mit gleißenden Spitzentönen, warmer Mittellage, toller Tiefe. Elza van den Heever ist eine wuchtig erregte Kaiserin, Michaela Schuster eine solide Amme, Clay Hilley singt den Kaiser mit anfänglichen Mühen, dann zunehmend klar und eindringlich. Bisweilen an der vokalen Grenze agiert Wolfgang Koch als Färber. Extrem beeindruckend durch ihre Präsenz wirkt Vivien Hartert als junge, fast konstant anwesende Statistin. Auch die Chöre überzeugen.

Hingucken und hinhören

Für den Zuschauer, ob geübt oder nicht, empfiehlt es sich, diesen (Alp)Traumtrip auf sich wirken zu lassen, nicht jede Wendung auflösen oder verstehen zu wollen. In Kürze wird die Produktion auf 3sat gezeigt und ist dann auch im Stream verfügbar. Hingucken und hinhören!

Sendung: "Allegro" am 3. April 2023 ab 06:05 Uhr auf BR-KLASSIK

Kommentare (7)

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Sonntag, 16.April, 14:19 Uhr

Werner F. Schütze

Die Frau ohne Schatten (Baden-Baden)

Als großer Liebhaber der og.g. Oper habe ich mir die Sendung auf 3Sat angeschaut - und mein Entsetzen kannte keine Grenzen! Es ist leider eine (Un-) Sitte geworden, die Sänger in Anzügen und Regenmänteln auszustatten, es gibt wenige Produktionen, bei denen man von Kostümen sprechen kann, allerortens ein langweiliger Einheitsbrei...
Das Bühnenbild war völlig überfrachtet, die Inszenierung ebenfalls (dazu noch unschlüssig), und das Mädchen ging mir schon nach ein paar Minuten auf den Geist. WAS WOLLTE UNS DIE REGISSEURIN DAMIT SAGEN???
Und dann die "Sänger": Mittelmäßig bis grottenschlecht. Den Applaus am Ende konnte ich wirklich nicht nachvollziehen. Und auch musikalisch war es keine Glanzleistung: Zwischen dieser Aufführung unter Kirill Petrenko und der maßstabsetzenden und grandiosen Leistung von Karl Böhm 1955 liegen nicht nur Welten, sonder Universen! Das war kein differenziertes Klangbild vom Orchester, kein Herausarbeiten von Nuancen - das war einfach nur Klangmasse. Desaströs!

Sonntag, 16.April, 11:57 Uhr

Dr. Peter Fuchs

Frau ohne Schatten Baden-Baden gesehen auf 3sat

musikalisch wunder bar, warum die Statistin, deren Rolle unklar blieb, am Ende des Happy-Ends mit Erde um sich wirft, wird wohl nur die Regisseurin wissen. Außerdem waren Kaiser, Färberin und Färber dank ihres Übergewichtes optisch katastrophal, und vor allem der Kaiser wirkte nahezu grotesk. Die Stimmen versöhnten, wenn man die Augen schloss.

Sonntag, 16.April, 11:36 Uhr

Tuchscheerer Christa

Frau ohne Schatten in BadenBaden

Ich schließe mich den nebenstehen Kritiken an. Die Rolle der Statistin ist äußerst unklar (ich sah die Oper auf 3sat), und durch die Fettleibigkeit der Sänger, außer der Kaiserin, wirkt die Oper leider fast wie eine Parodie, da helfen auch die guten Stimmen nicht.

Samstag, 15.April, 21:18 Uhr

Elke klebe

Frau ohne schatten

Sehe/ hören das gerade ! Petrenko? Ich habs nicht geglaubt, denke, der soll so gut sein… riesenenttäuschung. Fernseher aus, alte cd an

Samstag, 15.April, 21:10 Uhr

Detlef Wallburg

Petrenko

Ich kann mich der Kritik und meinen Vorschreibern anschließenden - bis auf das überschwängliche Lob für Petrenko. Für mich klingt das in weiten Passagen hauptsächlich wuselig - soll wohl Virtuosität ausstrahlen. Nahezu alle lyrischen Passagen und die tollen, an asiatische Musik gemahnenden Episoden, in denen Klangeffekte Raum für Entfaltung bräuchten, sind zu schnell und unsensibel gespielt. Auch aufgrund anderer Erfahrungen muss ich leider konstatieren, dass Petrenko einer der am meisten überschätzten Dirigenten ist.

Samstag, 08.April, 05:07 Uhr

Trappe

Frosch

Das Orchester der Berliner Philharmoniker unter Petrenko spielte unglaublich, man mag wohl danach kaum diese Oper nochmals mit einem anderen Orchester hören. Herrliche Soli (Bandix-Balgley/Quandt), und dennoch auch sich ganz den guten Sängern unterordnend, wo es erforderlich ist, überragend musiziert.
Aber als ob die Handlung nicht schon komplex genug ist, werden Nebenstränge eingebaut (Rolle des Statistenmädchens bleibt unklar; zwar szenisch toll, aber zT nervig), überfrachtete Bühnenbilder (amerikanischer Kitsch), wenig stringente und zusammenhanglos christlich eingebaute Bilder.
Konsequenz: Das Orchester wird bejubelt, die Regie höchstens gnädig beklatscht, das sagt doch viel aus. Eine stückgerechte Regie ist heute Mangelware. Es bleibt die Genialität der Musik und des Orchesters haften.

Montag, 03.April, 01:10 Uhr

Axel Werner Kiefer

Die Frau ohne Schatten(Baden-Baden) 01.04.2023

Nach weit über mehr als 10 Inszenierungen dieses Meisterwerks von R.Strauss/H.v. Hofmannsthal war diese Werksicht für mich die am wenigsten bewegende Werkdeutung, wenn man in dem Sammelsurium von Gedanken überhaupt von Deutung reden kann.
Leider lenkt das alles von den psychischen Problemen der Hauptpersonen ab, wie Herr Fuchs schon schreibt ist Vieles Show und Musical ohne die Musik in ihrem eigentlichen Sinn zu erfassen und zu begreifen.Wer große Sänger der Vergangenheit wie auch Jetztzeit in den Hauptrollen erlebt hat(wie z.B. L.Rysanek,B.Nilsson,I.Bjoner, Ch.Studer, J.King, St.Gould,A.Pieczonka) ,der wird die heutigen Sänger nur als mittelmäßig empfinden.
Lichtpunkt waren aber wenigstens die Berliner Philharmoniker unter K. Petrenko , dessen Münchner "Fr.o.Sch"-Aufführung seine glanzvolle Ära am Nationaltheater einläutete.In München klang manches kompakter, hier in Baden-Baden alles sehr differenziert mit durchaus aber auch voller Orchesterstärke an den dramatischer Höhepunkten.

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