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Kritik - "Jewgeni Onegin" an der Komischen Oper Berlin Feinnerviges Psychogramm junger Leute

Am Sonntag hatte an der Komischen Oper eine Neuproduktion von Peter Tschaikowskys Oper "Eugen Onegin" Premiere - in einer Inszenierung von Hausherr Barrie Kosky.

Es ist schon erstaunlich, wie geräuschlos der Intendant Barrie Kosky eines der Dogmen der Komischen Oper Berlin abgeräumt hat: Schon lange wird hier nicht mehr ausschließlich Deutsch gesungen. Auch der "Jewgeni", bzw. "Eugen Onegin" von Peter Tschaikowsky wurde bei der Premiere in der Originalsprache gesungen, als wäre das dort schon immer so gewesen. Das Publikum scheint dagegen nichts einzuwenden zu haben. Es hat sich auch alle anderen Neuerungen des australischen Regisseurs in der letzten Zeit gefallen lassen. Und während die Staatsoper im Ausweichquartier Schillertheater mit miserabler Auslastung vor sich hin dümpelt und die Deutsche Oper einen mehr oder weniger unfallfreien Routinebetrieb abliefert, punktet die Komische Oper mit turbulenten Operetten, einem Schwerpunkt mit Werken des 20. Jahrhunderts wie Schönbergs "Moses und Aron" oder Prokofjews "Feurigem Engel". All das kommt auch an der Kasse an. Die Komische Oper ist regelmäßig ausverkauft. Und die Premiere von "Eugen Onegin" war das natürlich auch.

Kosky hat Puschkin gründlich gelesen

Tatjana schreibt keinen Brief an Onegin. Sie sitzt im Gras und streicht jene Stellen in ihrem Buch an, die am besten zu ihren verwirrten Gefühlen passen. Schließlich reißt sie die Seiten heraus und faltet sie zusammen, überreicht sie ihrer Amme Filipjewna, damit diese sie zu Onegin bringt. Die in jeder Hinsicht großartige Asmik Grigorian tritt immer wieder aus dem scharfen Lichtkegel heraus, wird unsichtbar in der tiefen Dunkelheit. Sie muss ihre Gedanken erst fokussieren, bevor sie wieder ins Licht tritt und sich ein Herz fasst, um Onegin ihre Liebe zu gestehen. Der Bariton Günter Papendell ist der arrogant-erotische Schnösel, der ihr in der nächsten Szene kühl mitteilen wird, dass er nicht an ihr interessiert ist. In der letzten Szene wird Tatjana sich an ihm rächen, wird ihn mit denselben Gesten abblitzen lassen. Beides macht die Figuren nicht unbedingt sympathisch, lädt nicht zur kritiklosen Identifikation ein. Der Regisseur Barrie Kosky hat offenbar auch den zugrunde liegenden Versroman von Alexander Puschkin gründlich gelesen, der seine Figuren viel ironischer behandelt, viel gnadenloser seziert als Peter Tschaikowsky in seiner Oper.

Bewundernswerter Blick in die Abgründe

Barrie Kosky verdichtet die Handlung, zieht das eigentlich über einen längeren Zeitraum dauernde Geschehen zusammen. Die Oper beginnt zwar im Spätsommer, aus Tatjanas Namenstag im Winter und dem anschließenden Duell im Schnee macht Kosky jedoch eine ziemlich ausgelassene Sommernacht mit darauf folgendem Kater. Dafür hat ihm Rebecca Ringst eine hügelige Wiese mit umgebendem Wäldchen gebaut, Franck Evin sorgt virtuos für die wechselnden Lichtstimmungen. Auch wenn die Kostüme von Klaus Bruns das zaristische Russland nahelegen, können Puristen einwenden, dass Kosky die gesellschaftlichen Bedingungen eines Duells oder der soziale Ort der Gutsbevölkerung nicht sonderlich interessieren. Aber wie genau Kosky in die Abgründe aller Beteiligten schaut, ist bewundernswert. Fürst Gremin verschwindet während seiner Arie komplett aus dem Blick, es geht nur noch darum, wie Tatjana und Onegin seine Liebesbeschwörung hören. Nämlich als Erinnerung an die Tage, in denen ihr Glück so nah war, sie es aber nicht fassen konnten. Onegin nähert sich ihr zärtlich, sie verfällt für einen Moment in die alten Gesten, aber beide können nicht zurück in die Zeit vor dem verhängnisvollen Duell.

Ohne rhythmische Schärfe

Der scheidende Generalmusikdirektor Henrik Nánási ist nicht ganz auf der Höhe dieser minutiös gearbeiteten Inszenierung. Allzu gleichförmig zieht die Musik dahin. Gut gespielt vom Orchester, aufmerksam den Sängern gegenüber, aber ohne die wünschenswerte rhythmische Schärfe in den Tänzen, ohne die brennende Sehnsucht in den lyrischen Passagen. Auch gesanglich lässt sich zu Günter Papendells Onegin, Ales Brisceins Lenski und vor allem Alexey Antonows Gremin einiges anmerken, aber all das fällt letztlich nicht ins Gewicht bei diesem feinnervigen Psychogramm junger Leute, die gerade zum ersten Mal erfahren, was unumkehrbare Entscheidungen sind.

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