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Kritik - Barrie Kosky inszeniert Mussorgskij in Berlin Slapstick-Parade mit fliegenden Omeletts

Weder eine geschlossene Handlung, noch ein Bühnenbild - in Mussorgskijs "Jahrmarkt von Sorotschinzi" geht es wild und grotesk zu. Die Inszenierung von Barrie Kosky an der Komischen Oper Berlin punktet mit viel Tempo, Witz und Freude an der Schrägheit des menschlichen Seins.

Szenenbild "Der Jahrmarkt von Sorotschinzi" von Mussorgski an der Komischen Oper | Bildquelle: © Monika Rittershaus

Bildquelle: © Monika Rittershaus

Gespräch mit Autorin Annika Täuschel zum Berliner "Jahrmarkt von Sorotschinzi"

Ein Bühnenbild braucht Regisseur Barrie Kosky nicht, um die Geschichte vom "Jahrmarkt von Sorotschinzi" zu erzählen. Genauer gesagt: die Geschichten, denn Modest Mussorgskijs Oper ist kein klassisches Bühnenwerk mit geschlossener Handlung und zielstrebiger Dramaturgie. Eher eine Folge von Szenen, die sich wie Momentaufnahmen aneinanderreihen, die man lose wie Bilder im Fotoalbum durchblättern und dabei situativ mal mehr, mal weniger gedanklich hängenbleiben kann. Szenen aus dem Dorf Sorotschinzi, in dem ein junges Bauernpaar heiraten will und die streitsüchtige, unbefriedigte und urkomische Stiefmutter Chiwrja nicht daran denkt, der Verbindung ihren Segen zu geben. Es braucht die "Mär vom trunksüchtigen Teufel auf der Suche nach seinem roten Kittel" und sein leibhaftiges, orgiastisches Heimsuchen der Stiefmutter, bis am Ende doch alle zueinanderfinden.

Leere Bühne mit grünem Boden

Mussorgskijs unvollendete Oper (hier in der Fassung von Pawel Lamm und Wissarion Schebalin) ist musikalisch ebenso lose wie die Szenerie: Bruchstücke, die manchmal Strawinskys "Petruschka" vorwegzunehmen scheinen, manchmal nach Tschaikowsky klingen und bisweilen auf kirchenslawische Chorkunst zurückgreifen, fügen sich abwechslungsreich und trotzdem nahtlos ineinander. Getragen wird das Ganze von der Groteske und Absurdität der Gogol'schen Vorlage, die die Menschen in ihrer ganzen Bedürftigkeit, Lächerlichkeit und Egozentrik zeigt, ohne sie dafür bloßzustellen oder zu verraten. Es geht Gogol, Mussorgskij und auch Regisseur Barrie Kosky um das Zwischenmenschliche in diesem Stück, und sei es auch noch so gruselig wie die sicher seit Jahrzehnten der Hölle gleichende Ehe zwischen der Stiefmutter Chiwrja und ihrem Mann Tscherewik (souverän und urkomisch: Jens Larsen). Regisseur Kosky und seine Kostümbildnerin Katrin Lea Tag verzichten fast vollständig auf ein Setting und deuten das ukrainische Dorfleben lediglich durch Kostüme mit Lokalkolorit an. Ansonsten: leere Bühne mit grünem Boden, in der Mitte ein langer Tisch.

Mit dem Popen in die Sahnetorte

An dem spielt sich der Höhepunkt der Partitur und des Abends ab: eine halbstündige, groteske Szene in der Küche, in der Chiwrja den eigenen Mann loswerden und den Liebhaber (einen lüsternen Popen) empfangen will. Grandios macht Barrie Kosky daraus eine Slapstick-Parade und es ist äußerst unterhaltsam, der temperamentvollen und wenig kleinlichen Hausherrin (Agnes Zwierko) dabei zuzusehen und zuzuhören, wie sie dem eigenen Mann die Eier auf dem Kopf zerschlägt und ihm mit umherfliegenden Omeletts als Proviant die Tür weist. Um dann vor Enthemmung mit dem Popen rücklings in der Sahnetorte zu landen und ihn kopfüber in der gefüllten Pute zu verstecken, als Besuch droht. Vorbildliche Personenregie mit wandelbaren Sängerdarstellern ist das, die Komische Oper wird hier absolut ihrem Ruf gerecht.

Freude an der Schrägheit des menschlichen Seins

Auch musikalisch kann der Abend überzeugen: Allen Solisten geht das im russischen Original gesungene Stück gut über die Lippen, der Chor der Komischen Oper beweist sakral-feierliche Qualitäten und das Orchester unter Generalmusikdirektor Henrik Nanasi meistert die tempo- und nuancenreiche Partitur mit ihren Stilbrüchen souverän. Mussorgskijs "Jahrmarkt von Sorotschinzi" dürften die wenigsten Opernbesucher kennen; das Stück ist weder musikalisch noch szenisch leicht umzusetzen und braucht vom Publikum eine gewisse Bereitschaft, sich in die Absurditäten von Nikolaj Gogols literarischer Welt zu begeben. Wenn man es auf die Bühne bringt, dann ist Barrie Koskys Weg an der Komischen Oper Berlin mit all seinem Tempo, seinem Witz und seiner Freude an der Schrägheit des menschlichen Seins ein empfehlenswerter.

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