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Kritik - "La Strada" am Münchner Gärtnerplatztheater Die raue Welt der Straße

"La Strada" - wer diesen Titel hört, denkt unwillkürlich an den Film von Federico Fellini, mit Anthony Quinn in der Hauptrolle als ebenso brutaler wie schwacher Schausteller Zampano. Nun hat Choreograph Marco Goecke im Gärtnerplatztheater den Stoff als Ballett auf die Bühne gebracht- mit der Original-Filmmusik von Nini Rota. Goecke ließ aber nicht lediglich die Musik vertanzen, sondern schafft eigene Bilder und einen eigenen Rhythmus.

Ballettensemble des Staatstheaters am Gärtnerplatz | Bildquelle: Marie-Laure Briane

Bildquelle: Marie-Laure Briane

Die Kritik zum Anhören

Da steht der große Zampano, der Kettenbrecher und Eisenbieger, lässt seine stahlharten Bauchmuskeln spielen, dass die Schellen an seinem Gürtel vor Angst bibbern, bläht seinen bärenstarken Nacken auf, schaufelt mit den bratpfannengroßen Händen, schleudert einen Schweißregen in die Luft und stellt klar: Hier bin ich, und keiner kann es mit mir aufnehmen. Die Muskeln sind seine blitzende Ritterrüstung, sein Kapital auf den Jahrmärkten - aber auch sein Verderben, denn aus dieser Rüstung kommt er nicht raus, der Mann. Mit dem türkischen Ausnahmetänzer Özkan Ayik hat Choreograph Marco Goecke einen wirklich überzeugenden Zampano gefunden, jeder Zentimeter bedrohliche Maskulinität, und ein Rauchduell wird zum Höhepunkt dieser 80 Minuten: Zwei Kerle, die sich anpaffen und die Glut zischend in ihren Handflächen löschen.

Man verpasst die Liebe in vielen Momenten im Leben
Choreograph Marco Goecke

Schluchzend am Strand unterm Sternenhimmel

"La Strada", ein schwermütig-düsteres Schwarz-Weiß-Melodram über die Unfähigkeit der Männer zu lieben. Als Zampano am Ende schluchzend am Strand unterm Sternenhimmel steht und nicht mal mehr mit den Huren klar kommt, da ist es zu spät - für ihn, und auch für die Liebe. "Mit der Liebe ist das ja so eine Sache", sagt Marco Goecke dazu. "Die Liebe ist ja immer überall in unserem Alltag da, im Leben, zwischen den Menschen, aber das andere eben leider auch, das Brutale und Böse. Und man verpasst die Liebe, glaube ich, in vielen, vielen Momenten im Leben, und so würde ich die Geschichte auch zusammenfassen."

Die Inszenierung in Bildern

Es rasselt die Riesenkette

Özkan Ayik | Bildquelle: Marie-Laure Briane "La Strada" am Gärtnerplatztheater: Özkan Ayik als Zampano | Bildquelle: Marie-Laure Briane Der Stuttgarter Choreograph Marco Goecke ist bekannt für seine eher düsteren Stücke, und Fellinis neorealistischer Klassiker von 1954 passt natürlich vorzüglich zu dieser Optik. Den Film vorher anzuschauen oder die Handlung zu lesen, kann bei dieser Inszenierung nicht schaden: Goecke bleibt zwar nah dran an der Geschichte, stellt aber auch um, bleibt karg und belässt es bei Andeutungen. So fehlt jede Zirkus- und Jahrmarkts-Folklore, fast jeder Firlefanz. Ausstatterin Michaela Springer belässt es bei ein paar schwarz-goldenen Manegen-Uniformen, zwei grau-schwarzen Hügeln, die den Strand symbolisieren und einem Getreidefeld, das für die ländlich-armseligen Schauplätze steht. Zwischendurch rasselt eine Riesenkette aus dem Bühnenhimmel auf den Boden, Sinnbild für Kraft, Stärke, Gewalt und Tod, denn Zampano, dieses Urvieh, begeht hier zwei Morde, am Anfang und am Ende.

Musik lodert glutheiß

Nino Rotas kraftvolle, expressionistische Musik im Hollywood-Sound der fünfziger Jahre ist bei Dirigent Michael Brandstätter gut aufgehoben, so glutheiß, wie sie auflodert - in der Oper wäre das allemal viel zu viel, zu laut, zu schwülstig - im Tanz setzt sie Zuschauerseelen in Brand. Die stärkste Seite an diesem umjubelten Abend: Marco Goecke schert sich erfreulich wenig um Rhythmus und Takt der Musik, zählt nicht die Noten, sondern macht sich völlig frei von Nino Rotas Vorgaben. "Ich glaube, dass ich ein Händchen habe, nicht die Musik zu vertanzen, sondern die Musik gleichberechtigt mit dem Tanz - grob gesagt - laufen zu lassen", erläutert der Choreograph. "Das heißt, da begegnet sich was und berührt sich auch miteinander, aber es ist kein Eins-zu-Eins-Abbild der Musik, was viele Choreographen versuchen, vielleicht auch zu Recht, weil sie oft viel mehr Interesse an der Musik haben als am Tanz. Und so ist das auch so ein Liebesverhältnis mit vielen Konflikten, wenn ich an die Musik rangehe, aber ganz sicher ist es zum Schluss eine gewaltige, schöne Musik".

Reine Männersache

Javier Ubell, Verónica Segovia | Bildquelle: Marie-Laure Briane "La Strada" am Gärtnerplatztheater: Javier Ubell, Verónica Segovia | Bildquelle: Marie-Laure Briane "La Strada" als reine Männersache: Die Pracht- und Macht-Kerle vom Zirkus stehen hier so sehr im Vordergrund, dass es die Frauen schwer haben, allen voran Verónica Segovia als Gelsomina, die von Zampano gekauft wird, alle seine Launen aushält und seiner Eifersucht zum Opfer fällt. Großartige Auftritte haben Javier Ubell als Seiltänzer Matto und Alessio Attanasio als Clown. Ja, es geht akrobatisch zu bei diesem Tanzabend: Rasante Kopfsprünge und verblüffend quirlige Bewegungen in der Hocke, kreisende Hände wie beim indischen Tempeltanz und reichlich italienische Sprachfetzen, mehr Schreien als Rufen. Die raue Welt von "La Strada", das wehmütige Lied der Straße, am Gärtnerplatztheater ist es eindrucksvoll zu hören und zu sehen.

Mehr zum Stück

"La Strada"
Ballett von Marco Goecke
Nach dem gleichnamigen Film von Federico Fellini
Buch von Federico Fellini und Tullio Pinelli
Musik von Nino Rota

Choreografische Uraufführung am 12. Juli 2018

Informationen zu weiteren Terminen und Vorverkauf finden Sie auf der Homepage des Gärtnerplatztheaters.

Sendung: "Allegro" am 13. Juli 2018, 16:05 Uhr auf BR-KLASSIK.

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