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Interview mit Marc-André Hamelin "Ich wünschte, man würde nicht so viel über meine Technik sprechen"

Der frankokanadische Pianist Marc-André Hamelin ist der "Mann für das schwere Zeug". Es ist fast unmöglich, ein Stück zu finden, das für ihn unspielbar wäre. Doch der Virtuose selbst möchte das Image des Technik-Genies eigentlich lieber ablegen.

Marc-André Hamelin | Bildquelle: Fran Kaufman

Bildquelle: Fran Kaufman

BR-KLASSIK: Herr Hamelin, was ist schwieriger zu spielen: sehr viele Noten oder sehr wenige Noten?

Marc-André Hamelin: Ich weiß, dass mich viele Leute wegen einiger Aufnahmen aus meiner Vergangenheit so einschätzen. Was ich aber am wenigsten möchte, ist den Eindruck zu erwecken, als wollte ich auf der Bühne die Aufmerksamkeit auf mich lenken. Der einzige Grund für mich, auf die Bühne zu gehen, ist, das Wunder menschlicher Kreativität mit anderen zu teilen. Ich möchte diesem unglaublich wundervollen Geschenk, das uns die Komponisten der Vergangenheit  gegeben haben, alle Ehre erweisen. Ich könnte ohne Musik nicht leben - und ich möchte sie mit anderen teilen. Es ist natürlich ein Privileg, wenn man anderen Menschen Musik nahebringen kann, die sie vielleicht noch nicht kennen oder die sie  in einem anderen, neuen, hoffentlich authentischeren Licht kennenlernen können. Ich habe keinerlei Interesse daran, mich selbst darzustellen. Ich wünschte, man würde nicht so viel über meine Technik sprechen. Ich weiß nicht, ob auch über die Technik anderer Pianisten so viel geredet wird, die mindestens genauso professionell sind wie ich. Für mich zählt jedenfalls nur die Musik.

BR-KLASSIK: Das heißt, Technik ist für Sie nur ein Mittel zum Zweck? Wollen Sie diesem Image "Hamelin ist der Mann für das schwere Zeug" entfliehen?

Marc-André Hamelin: Es tut mir leid, ein solches Image zu haben. Erst vor zwei Tagen hatte ich die große Ehre, bei der Schubertiade in Schwarzenberg mitwirken zu dürfen. In der zweiten Konzerthälfte habe ich die zweite Sammlung von Schuberts Impromptus gespielt. Das war eine der ganz wenigen Gelegenheiten in meiner bisherigen musikalischen Laufbahn, bei denen ich dachte: "Genau das ist es! Besser geht es nicht". Die Bedingungen waren ideal: ein wundervolles Instrument, perfekte Akustik, aber auch die gesamte Aura, die über diesem Ort liegt und der Respekt gegenüber der Musik. Ich war viel glücklicher mit diesem Repertoire, als je mit den schwierigen Stücken, für die ich so bekannt bin. Natürlich interessiert es mich immer noch, anderen Menschen unbekannte Stücke näher zu bringen. Aber es ist mir viel wichtiger, gute Musik mit anderen zu teilen.

BR-KLASSIK: Hat es Sie geärgert, in eine Schublade gesteckt zu werden?

Marc-André Hamelin: Oh ja, und wie. Es ist für jeden schwer, sich von einem bestimmten Image zu befreien. Zum Teil gebe ich Youtube dafür die Schuld. Die Leute beurteilen mich aufgrund von Videos, die 20 oder 25 Jahre alt sind. Also aus meiner verrückten Jugend, als ich vieles zu schnell spielte.

BR-KLASSIK: Also sind doch wenige Noten schwerer als viele Noten?

Marc-André Hamelin: Das kann durchaus sein. Debussys Preludes zum Beispiel sind nicht für ihre große Virtuosität bekannt. Aber um die Bandbreite an Klangfarben zu erreichen, die diese Stücke erfordern, muss man die Tastatur völlig beherrschen. Und das bedeutet für mich Virtuosität auf höchstem Niveau. Oftmals fällt im Zusammenhang mit meinem Namen das V-Wort - also der Begriff "Virtuosität". Wenn die Leute sich der wahren Bedeutung dieses Wortes bewusst wären, dann würde ich es als großes Kompliment auffassen. Denn Virtuosität ist für mich die hochentwickelte Fähigkeit, all seine geistigen und körperlichen Möglichkeiten zu nutzen, um eine künstlerische Vision umzusetzen. Wie ein Maler, der seinen Strich kontrolliert. Wenn die Leute aber nur diese technische Fähigkeit erkennen, anstatt einfach von der Wirkung des Kunstwerks beeindruckt zu sein, dann habe ich versagt. Mir tut es leid, wenn nur die oberflächliche Technik gesehen wird. Das ist absolut nicht das, was ich will.

Das Gespräch führte Bernhard Neuhoff für BR-KLASSIK.

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