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Musik der Welt über Online-Plattform Norient Klänge statt Klischees

Vor zwanzig Jahren bereits hat Thomas Burkhalter die Internetplattform Norient gegründet. Als junger Musikjournalist präsentierte er dort anfangs seine Reportagen über internationale Musikszenen sowie über in Europa oftmals wenig bekannte Künstlerinnen und Künstler. Schon damals war ihm klar, dass die Norient-Website mit den üblichen Klischees von Weltmusik nichts zu tun haben sollte. Die Musik sollte so gezeigt werden, wie sie aktuell und authentisch gemacht wird.

Norient - Onlineforum | Bildquelle: © Norient Bildschirmfoto

Bildquelle: © Norient Bildschirmfoto

Anfangs noch als Blog konzipiert, auf dem der Schweizer die Beiträge größtenteils selbst verfasste, ist das Autoren-Netzwerk mittlerweile enorm gewachsen und hat in den 20 Jahren seit Bestehen der Website einen Hort an Erfahrungen und Wissen entstehen lassen. Der Austausch mit Kulturschaffenden aus aller Welt bietet einen Blick über den eurozentrischen Tellerrand, der noch vielerorts die Wahrnehmung dominiert. Wie wichtig der ist, hat Thomas Burkhalter schon Anfang des Jahrtausends auf seinen Reisen in unterschiedlichen Weltregionen festgestellt: "Die Musikerinnen und Musiker haben sich oft darüber geärgert, dass sie in Europa nur als exotisch wahrgenommen wurden. Oder dass sie nur eine Chance haben auf einen Markt zu kommen, wenn sie traditionelle Instrumente spielen, oder vielleicht eine Fusion zwischen modern und alt."

Die Musikerinnen und Musiker haben sich oft darüber geärgert, dass sie in Europa nur als exotisch wahrgenommen wurden.
Thomas Burkhalter

Kein Orientalismus

Deshalb wird auch die redaktionelle Betreuung der Beiträge auf Norient in den letzten Jahren zunehmend auf Kreative verteilt, die nicht mehr unbedingt in der Schweiz oder in Europa sitzen müssen. Der Vorteil dabei ist, dass sich so keine Echo-Räume bilden und keine neuen weltmusikalischen Klischees entstehen können. Denn der Name Norient, zusammengesetzt aus "no" und "orientalism", also "kein Orientalismus", steht von Beginn an für eine Absage an lieb gewonnene Exotismen der Weltmusik-Szene.

Podcasts für den tieferen Einstieg

Cover eines Musikalbums | Bildquelle: Norient Bildquelle: Norient Wer sich in der Angebots-Vielfalt von Norient orientieren möchte, kann sich zunächst über die monatlichen Playlists an Themen herantasten. Sie sind jeweils einer bestimmten Weltregion zugeordnet und werden von internationalen Künstlerinnen und Künstlern kuratiert. Einen tieferen Einstieg bieten dann die Podcasts. Auf der Norient-Plattform passiert es leicht, dass man in einen Sog gerät, von einem Künstlerporträt zum nächsten Interview mit einer Musikerin, zum nächsten Essay eines Wissenschaftlers, zur nächsten Filmpräsentation.

Mit jedem Klick wächst die Neugier, was sich hinter der nächsten Ecke, also dem Verweis oder dem Link verbirgt. Das spiegelt auch die Art wider, wie manche der Beiträge auf Norient zustande kommen: "Ich erstelle mir, bevor ich in eine Stadt fahre, eine Riesenliste von Musik und schreibe dann meistens die Musikerinnen und Musiker an, die mich musikalisch interessieren. Das sind teilweise Leute, die bekannt sind. Aber in Nairobi, da gab es Leute, die haben zwölf Follower gehabt und waren komplett überrascht, dass da so ein Schweizer plötzlich schreibt: 'Hello, this is Thomas, a music journalist from Switzerland…' "

Unter welchen Bedingungen arbeiten Künstler*innen?

Auf der Website von Norient können sich kulturell interessierte Menschen aus dem Westen auch darüber informieren, unter welchen Bedingungen Künstlerinnen und Künstler in Ländern ohne funktionierende demokratische Strukturen arbeiten – und ohne eine Kulturförderung, die ihnen die freie Kunstausübung garantiert. Gerade aus solchen Ländern kommen auf der Online-Plattform viele Künstler, Journalistinnen und Wissenschaftler zu Wort.

Sie machen deutlich, wie wichtig eine unabhängige Kulturszene für die Gesellschaft ist. Ganz nebenbei werden so nicht nur künstlerische, sondern auch gesellschaftliche Fragen und aktuelle politische Themen verhandelt. Allerdings stehen sie für den Norient-Gründer und -Leiter Thomas Burkhalter nicht im Vordergrund.

Ich suche nach Musik zuerst. Und wenn ich diese Musik gefunden habe, dann kommt dieser gesellschaftspolitische Aspekt, mal stärker, manchmal weniger stark hervor.
Thomas Burkhalter

Das Ziel: eine nicht profit-orientierte Plattform

Cover eines Musikalbums | Bildquelle: Norient Bildquelle: Norient Das Ziel von Thomas Burkhalter ist es, eine nicht profit-orientierte Plattform zu gestalten, auf der Musikerinnen und Musikern aus der ganzen Welt ihrer Kreativität freien Lauf lassen können, wissenschaftlicher Austausch stattfindet und auch kritische Stimmen zu Wort kommen. Dafür sind auch Netzwerke und Kooperationen mit anderen Institutionen wie beispielsweise dem Goethe-Institut München wichtig. So profitieren schließlich auch die Nutzerinnen und Nutzer der Online-Plattform: sie finden auf Norient eine großartige Fundgrube an Musik und Sounds aus aller Welt jenseits des Mainstreams. Darauf ist der Gründer und Leiter von Norient Thomas Burkhalter zurecht stolz: "Ich glaube, was man auf Norient findet, sind Künstlerinnen und Künstler, die in ein paar Jahren ein bisschen bekannter sind als sie jetzt sind. Also wir sind wirklich oft früh im Erkennen von Trends, weil wir lokal forschen, spannende Phänomene aufgreifen."

Ich glaube, was man auf Norient findet, sind Künstlerinnen und Künstler, die in ein paar Jahren ein bisschen bekannter sind als sie jetzt sind.
Thomas Burkhalter

Weg von westlicher Bevormundung

Es ist ein ehrgeiziger Weg, den Norient beschreitet: weg von westlicher Bevormundung und eurozentrischem Dünkel, hin zu echter Teilhabe und Diversität, die authentische Einblicke in weltmusikalische Szenen und Entwicklungen möglich macht. Die abwechslungsreichen Formate und Kombinationen aus Text, Bild und Ton machen das Surfen auf der Website unterhaltsam. Und hat man ein Thema, eine Autorin oder einen Künstler für sich gefunden, wird die Norient-Reise durch die vielen Links und Verweise ohnehin zum Selbstläufer.

Sendung: Musik der Welt am 17. September 2022, um 23:05 Uhr auf BR-KLASSIK

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