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Zum Tode von Pierre Boulez Vom Enfant terrible zum Grandseigneur der Neuen Musik

Er galt als der Grandseigneur der Neuen Musik, dennoch hat der französische Komponist und Dirigent Pierre Boulez zeitlebens nichts von seiner Radikalität eingebüßt. Am 5. Januar 2016 ist er im Alter von 90 Jahren gestorben.

Pierre Boulez | Bildquelle: picture-alliance/dpa

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Würdigung

Zum Tod von Pierre Boulez

Er war einer der bedeutendsten und einflussreichsten Komponisten nach dem Zweiten Weltkrieg, mit kompromissloser Begeisterung setzte sich der prominente Vertreter des Serialismus für die Verbreitung der zeitgenössischen Musik im "normalen" Musikbetrieb ein. Dabei kam dem 1925 in Montbrison geborenen Musiker seine Persönlichkeit und sein Einfluss zugute - als Dirigent stand er weltweit am Pult aller namhafter Klangkörper und als Lehrer hat er Generationen von Musikschaffenden unterrichtet, gefördert und ermutigt, ihren eigenen Weg zu gehen.

Das breite Publikum aber kannte Pierre Boulez vor allem als Dirigent. Spätestens seit er 1976 bei den Bayreuther Festspielen, gemeinsam mit Patrice Chereau, den Jahrhundert-Ring geschmiedet hatte: "Ich sehe einfach die Partitur und nicht den Wirbel, der um die Partitur gemacht wird, und ich sehe Wagner als einen Komponisten, der noch etwas Aktuelles hat uns anzubieten."

Kultur braucht keine falsche Sicherheit, sondern offene Türen und ein Risiko.
Pierre Boulez

Der analytisch klare Blick auf die Noten, der transparente Orchesterklang, die zügigen Tempi - diese Qualitäten kamen nicht nur Wagners Opern zugute, sondern auch den Partituren von Mahler, Schönberg oder Debussy - und sogar von Rocklegende Frank Zappa. Orchester wie die Wiener und die Berliner Philharmoniker schwärmten von Boulez' sparsamen, doch stets hundertprozentig präzisen Gesten ebenso wie von seiner gelassenen Freundlichkeit. Seine Dirigentenkarriere führte ihn in den 70er-Jahren zeitgleich auf die Chefposten des BBC Symphony Orchestra und der New Yorker Philharmoniker, sie inspirierte ihn zu brillant instrumentierten Orchesterwerken, sie behinderte aber zugleich seine kompositorische Arbeit.

Vordenker des Serialismus

Dirigent hatte Pierre Boulez nie werden wollen. Ursprünglich hatte er sogar ein Mathematikstudium angestrebt, bevor er 1944 in die Pariser Kompositionsklasse von Olivier Messiaen kam. Boulez gehörte mit Karlheinz Stockhausen und Luigi Nono zu einer Generation, die nach den Gräueln des Zweiten Weltkriegs auch ästhetisch einen kompletten Neuanfang wollte. Er wurde zum Vordenker des Serialismus, dessen kompromisslose Strenge er aber bereits 1955 mit seinem klangsinnlichen Meisterwerk "Le Marteau sans maitre" überwand - ein Zyklus, der sofort von Strawinsky hoch gelobt wurde und Boulez den internationalen Durchbruch bescherte.

Nicht nur wegen seiner Dirigentenlaufbahn blieb Boulez' Werkverzeichnis überschaubar, sondern vor allem wegen seiner hohen Ansprüche an sich selbst. Was dem eigenen strengen Urteil nicht genügte, wurde verworfen, wie das theorieüberladene Skandalstück "Polyphonie X", blieb Torso wie die gleichwohl epochale dritte Klaviersonate, oder wurde unzähligen Umarbeitungen unterworfen, wie der facettenreich schillernde, meisterhafte Mallarme-Zyklus "Pli selon pli". Musikalische Ideen, die in einem Stück ihr Potential noch nicht ausschöpfen konnten, wurden häufig zur Keimzelle von etwas Neuem. So kehrte Boulez seit 1980 immer wieder zu seinen frühen Klavierminiaturen "Notations" zurück und  erweiterte sie zu opulenten Orchesterstücken.

Mann klarer Worte

Pierre Boulez war nicht nur ein Komponist kristallin-klarer Klänge, sondern auch ein Mann klarer Worte. Pointierte und provokante Formulierungen wie "Schönberg ist tot" oder die Forderung, die Opernhäuser in die Luft zu sprengen, verfolgten ihn noch, als er längst vom Feuerkopf zum Grandseigneur mit Wohnsitz Baden-Baden gereift war. Sein erheblicher kulturpolitischer Einfluss zeigte sich, als es ihm 1976 gelang, am Pariser Centre Pompidou ein Forschungszentrum für elektroakustische Musik bauen zu lassen, das IRCAM. Im gleichen Jahr gründete er das Ensemble Intercontemporain, dessen hochspezialisierten Virtuosen er zahlreiche Stücke auf den Leib schrieb. Durch beide Institutionen wirkt Pierre Boulez weiter auf nachfolgende Komponistengenerationen – aber auch durch sein eigenes Schaffen, das in gleicher Weise den Idealen französischer Eleganz und deutscher Vielschichtigkeit verpflichtet war.

Am 5. Januar Dienstag verstarb Boulez in seinem Wohnort Baden-Baden in Baden-Württemberg, wie seine Familie am folgenden Tag mitteilte.

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