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Kritik - "Faust" an der Oper Stuttgart Castorf und die Grusel-Clowns

Ein Hexentanz um Glamour, Glanz und Elend: Frank Castorf inszeniert Charles Gounods Oper "Faust" für die Oper Stuttgart. In der Walpurgnisnacht tummeln sich zahlreiche "böse Clowns" mit Skelettmasken auf der Bühne - passend zu Halloween.

Szenenbild aus Frank Castorfs "Faust"-Inszenierung | Bildquelle: Thomas Aurin / Oper Stuttgart

Bildquelle: Thomas Aurin / Oper Stuttgart

Der deutsche Faust will dem Menschen auf den Grund gehen, der französische Faust nur an die Wäsche, das ist bekanntlich ein großer Unterschied, und diesen Unterschied hat Frank Castorf gestern Abend an der Stuttgarter Staatsoper ausgesprochen unterhaltsam, anspielungsreich, augenzwinkernd und sehr aufwändig inszeniert.

Castorf mal ohne Buhs

Das Publikum jedenfalls war begeistert: Anders als bei Castorfs hoch umstrittenen "Ring des Nibelungen" in Bayreuth war am Ende kein einziger Buh-Rufer zu hören. Die Stuttgarter Zuschauer gelten als bildungsbeflissen, tolerant und neugierig, was Castorf wohl erwartet hatte, so betont lässig, ja gewollt "cool", wie er sich dem Beifall stellte.
Charles Gounods reißerischen, lebens- und liebeshungrigen "Boulevard-Faust" verlegte Castorf an die Pariser Untergrund-Station "Stalingrad", die es wirklich gibt. Obdachlose hausen dort, das Café "Zum schwarzen Gold" hat nebenan ein paar Tische aufgestellt, die berühmten gespenstischen Wasserspeier von Notre Dame ragen ins Bild, eine ehemalige Metzgerei ist vernagelt und verwahrlost, darüber wohnt die verarmte Margarete und ist heilfroh, als sie von Faust mit Juwelen überschüttet wird. Es macht ihr auch nichts aus, dass der Teufel mit der Hölle droht.

Castorfs Paris ist weder romantisch, noch prächtig

Szenenbild aus Frank Castorfs "Faust"-Inszenierung | Bildquelle: Thomas Aurin / Oper Stuttgart Castorfs Paris: Die Métro-Station "Stalingrad" | Bildquelle: Thomas Aurin / Oper Stuttgart Diese Margarete bereut nichts und schenkt sich am Ende ein Glas Sekt ein, vermischt mit tödlichen Tabletten, frei nach dem Motto: "Wir amüsieren uns zu Tode". Castorf geht es einmal mehr um Konsumkritik, Kapitalismuskritik, Kolonialismuskritik, Triebanalyse. Und ganz nebenbei ist ihm bei einer Paris-Reise aufgefallen, dass die Flüchtlinge dort zu Tausenden unter freiem Himmel hausen müssen, weil angeblich keiner eine Turnhalle öffnet. Deshalb ist eine ausgesprochen ärmliche Schlafstätte zu sehen, in die der Teufel höhnisch eine Matratze wirft, und auch alles andere in dem hier dargestellten Paris ist weder romantisch, noch prächtig, sondern nur schäbig, kaputt, verdreckt und verwinkelt.

Grossbildleinwände und Gummischlange

Belesene Zuschauer freuen sich bei Castorf-Inszenierungen immer über alles, was sie verstanden haben, unbelesene Zuschauer über alles, was sie noch vor sich haben: Die Dichter Arthur Rimbaud, Paul Verlaine, Charles Baudelaire, Honoré de Balzac und Heinrich Heine zum Beispiel, die diesen "Faust" allesamt inspiriert haben und teils zitiert werden. Castorf überfordert den Zuschauer gern, seine Inszenierungen sind anstrengend, schon deshalb, weil alle Szenen mitgefilmt und auf Leinwände projiziert werden. Die Mitwirkenden sind also fast durchgängig simultan in Großaufnahme zu sehen, immer wieder unterbrochen von voraufgezeichneten Spielszenen. Die imposante Würgeschlange zum Beispiel als Sinnbild der Sünde ist nur im Film echt, in der Vitrine auf der Bühne lag stellvertretend ein Gummi-Exemplar.

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Grusel-Clowns und eine Schwangere im Einkaufswagen

Szenenbild aus Frank Castorfs "Faust"-Inszenierung | Bildquelle: Thomas Aurin / Oper Stuttgart Margarethe schwanger im Einkaufswagen. | Bildquelle: Thomas Aurin / Oper Stuttgart In der Walpurgnisnacht tummelten sich übrigens zahlreiche "böse Clowns" mit Skelettmasken, wie sie ja jetzt gerade in der Halloween-Hochsaison sehr in Mode sind. Der Teufel hat eine Vorliebe für großflächige Tattoos und exotische Kopfbedeckungen, setzt sich mal Häuptlingsfedern, mal Widderhörner auf und macht sich auch gern als schmuckbehängter Voodoo-Priester zu schaffen. Der polnische Bass Adam Palka spielte und sang diesen Mephistopheles ungemein beeindruckend, verführerisch, sexy, abgebrüht. Auch Mandy Fredrich als konsumgeile, unbekümmerte Margarete überzeugte mit ihrer Bühnenpräsenz. Hochschwanger lässt sie sich auf einem vollgepackten Einkaufswagen durch die Gegend schieben, ein bitterböser Seitenhieb auf ihren Materialismus.

Ein toller Hexentanz

Demgegenüber hatte es der brasilianische Tenor Atalla Ayan als Faust schwer. Die Verwandlung vom alten, gebrechlichen Mann zum nassforschen, jugendfrischen und vor allem skrupellosen Lebemann wirkte nicht sehr glaubwürdig. Der französische Dirigent Marc Soustrot hatte zwar hier und da Mühe, das turbulente Bühnengeschehen mit dem Orchester zu koordinieren, schwelgte aber auch herrlich ironisch in lärmender Walzerseligkeit, Marschmusik und Liebestaumel. Gounod liebte es deutlich bis überdeutlich, seine Kritiker nennen es auch sentimental. Vergnüglich ist es auf jeden Fall, berührend auch. Und ergänzt um Castorfs Einfälle sogar spektakulär. Ein toller Hexentanz um Glamour, Glanz und Elend!

Kommentare (2)

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Dienstag, 01.November, 15:41 Uhr

oliver graby

Kritik Thema verfehlt setzten 6

Also ich weiß ja nicht was ihr Kritiker gesehen habt vielleicht zu viel Nachrichten der Gruselclowns?
Wer weiß, ich finde diese Inszenierung genial und das Bühnenbild Weltklasse, endlich mal was gewagtes in der Oper und nicht so langweilig, wie in den anderen großen Häusern mir hat es gefallen. Die Arbeit die in diesem Bühnenbild steckt ist der Wahnsinn Hut ab von dieser Arbeit .Mit Stolz kann die Oper Stuttgart ein Schmuckstück in ihr Repertoire hinzufügen. Und denen den es nicht gefällt, sucht eure Gruselclowns weiter hier findet ihr sie nicht.

Montag, 31.Oktober, 17:27 Uhr

Kathrin S.

In welcher Vorstellung war der Kritiker?

Ich möchte mir über das Stück kein Urteil erlauben. Jedoch möchte ich anmerken, dass sehr wohl Buh-Rufe zu hören waren und zwar just in den Moment, als Castorf die Bühne betrat. Es waren auch nicht nur vereinzelte Rufe, die man vielleicht ignorieren könnte. Castorf war sodann sehr schnell von der Bühne und der letzte Vorhang fiel.

Man kann ja von Castorf halten, was man möchte, jedoch sollten wir wohl bei der Wahrheit bleiben.

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