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Kritik - "Pelléas et Mélisande" in Berlin Barrie Kosky setzt auf Grau

Intendant Barrie Kosky hat sich zuletzt an seinem Haus, der Komischen Oper Berlin, vor allem der Wiederentdeckung verfemter Operettenkomponisten der 20er Jahre verschrieben. Nun wartete der gebürtige Australier mit einem Kontrastprogramm auf: "Pelléas et Mélisande", Debussys einzige Oper - ein tragisches, ganz nach innen gekehrtes Stück. Am 15. Oktober 2017 war Premiere.

Pelléas et Mélisande an der Komischen Oper Berlin | Bildquelle: Monika Rittershaus/Komische Oper Berlin

Bildquelle: Monika Rittershaus/Komische Oper Berlin

Die Premierenkritik zum Anhören

Ist das ein Stück für Barrie Kosky? Der mag's doch bunt und gern auch schrill. Debussys "Pelléas et Mélisande" ist das Gegenteil: ein subtiles, psychologisch ausgefuchstes Kammerspiel, dabei im Textbuch ein wenig prätentiös in seiner symbolschwangeren Rätselhaftigkeit. In Debussys Textvorlage, einem Drama von Maurice Maeterlinck, wird mehr angedeutet als ausgesprochen. Man redet beziehungsreich aneinander vorbei, gelegentlich wird tiefsinnig orakelt. Dabei ist diese als Märchen verpackte Geschichte, wenn man den symbolistischen Edelkitsch weglässt, faszinierend modern: Debussy und Maeterlinck sezieren schonungslos und mit psychoanalytischem Röntgenblick eine verkorkste Familienkonstellation.

Kosky, ein Meister des Bühnenhandwerks

Pelléas et Mélisande an der Komischen Oper Berlin | Bildquelle: Monika Rittershaus/Komische Oper Berlin Bildquelle: Monika Rittershaus/Komische Oper Berlin Genau an diesem Punkt setzt Kosky an. Und bricht radikal mit seiner sonst bevorzugten Revue-Ästhetik. Zwar hat er den grauen, engen und leeren Bühnenkasten mit einem angedeuteten Plüschvorhang gerahmt, der an ein Varieté denken lässt. Doch der ist ebenso grau wie der Rest der Bühne. Die Sänger fahren wie Spielfiguren in Zeitlupe aus den Seitengassen. Dabei ist die Drehbühne in verschiedene Scheiben aufgeteilt, die sich fast permanent in unterschiedliche Richtungen drehen. Vorne von links nach rechts, hinten von rechts nach links. Das wirkt auf die Dauer eher eintönig. Doch Kosky als Meister des Bühnenhandwerks versteht sich auch in diesem Fach auf Wirkung. Immer dann, wenn sich die Erwartung schon heruntergedimmt hat und man in Langeweile abdriftet, löst er gerade noch rechtzeitig die Figuren aus der Starre und bringt sie umso wirkungsvoller zum intensiven, körperbetonten, ausdrucksstarken Spiel. Dann greifen sie sich buchstäblich an, lassen den unterdrückten Gefühlen und Aggressionen freie Bahn.

Starke Bilder nach anfänglicher Durststrecke

Dabei ist jede Figur mit eigener Körpersprache psychologisch prägnant gezeichnet. Pelléas ist ein gehemmter Jüngling im akkuraten Dreiteiler, die Füße nach innen gedreht, gebückt und verspannt. Sein Halbbruder Golaud hingegen ist ein maskulin auftretender, aber innerlich gebrochener Macho. Seine Mutter Geneviève ist eine machtbewusste Matrone, und Mélisande - und darin liegt die größte Stärke dieser Inszenierung - die erotisch souveräne Spielmacherin. Mit ihrem Kindfrauencharme manipuliert sie geschickt die feindlichen Brüder, bis die latente Gewalt losbricht. Am Schluss, am Unterleib blutend von der Geburt oder Fehlgeburt ihres Kindes - das lässt Kosky offen -, versammelt sie alle Figuren zu einer Familienaufstellung wie beim Psychotherapeuten. Das sind starke Bilder, die mit anfänglichen Durststrecken versöhnen.

Exzellente Besetzung

Pelléas et Mélisande an der Komischen Oper Berlin | Bildquelle: Monika Rittershaus/Komische Oper Berlin Bildquelle: Monika Rittershaus/Komische Oper Berlin Die musikalische Umsetzung ist großartig. Dirigent Jordan de Souza setzt bei Debussys Musik nicht auf impressionistischen Klangnebel, sondern auf leuchtende, klare Farben und pulsierende Tempi. Das Orchester der Komischen Oper klingt zwar nicht besonders subtil, aber meist hellwach und präzise. Exzellent die Besetzung - eine tolle Ensembleleistung, durchweg stimmig den Rollenprofilen angepasst. Günter Papendell ist ein markanter Golaud mit kernigem Bariton. Dazu kontrastiert wirkungsvoll der Pelléas des Dominik Köninger, der seinen lyrischen Bariton mit wunderbar leichter Höhe führt. Und Nadja Mchantaf gestaltet die Mélisande mal nicht, wie sonst oft gehört, als zerbrechliche, körperlose Puppe, sondern mit warmem, feminin klingendem Sopran. Wer sich einlässt auf dieses über lange Strecken ziemlich unspektakuläre Spiel im grauen Kasten, wird belohnt mit einem Drama, das am Ende umso mehr unter die Haut geht - szenisch und musikalisch.

Sendung: "Leporello" am 16. Oktober 2017, ab 16.05 Uhr auf BR-KLASSIK

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