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Kritik - Peter Ruzickas "Benjamin" in Hamburg uraufgeführt Suche nach der verlorenen Zeit

Nach "Celan" und "Hölderlin" hat der Dirigent, Intendant und Komponist Peter Ruzicka nun seine dritte Oper vorgelegt, eine Oper über den deutschen Philosophen und Kulturwissenschaftler Walter Benjamin. Das Auftragswerk der Hamburgischen Staatsoper feierte am 3. Juni Premiere. Am Pult des Philharmonischen Staatsorchesters Hamburg stand der Komponist selbst, Regie führte Yona Kim, die auch das Libretto schrieb. Musikalisch und szenisch konnte der Abend größtenteils überzeugen.

Szenenfoto der Uraufführung der Oper  "Benjamin" über Walter Benjamin an der Staatsoper Hamburg - Yona Kim | Bildquelle: © Bernd Uhlig

Bildquelle: © Bernd Uhlig

Die Kritik zum Anhören

Walter Benjamin hat in seinem umfangreichen, vieltausendseitigen Oeuvre kaum je über Musik gesprochen. Und wenn, dann vor allem im Zusammenhang von Klage, Erinnerung und Erlösung. Eben da liegt der Berührungspunkt mit der Auffassung des Komponisten Peter Ruzicka, nach dessen Verständnis Musiktheater Geschichten erzählen soll, die betroffen machen. Walter Ben­jamin, dessen scharf analytischer Blick auf das Unzeitige, Leidvolle, Vergessene gerichtet war, auf Krieg, Antisemitismus und Utopien, ist wie kein Anderer prädestiniert, Mitleid und Betrof­fenheit auszulösen, weil er in seinem Werk den Finger an die Wunden deutscher Geschichte legte.

Die Inszenierung in Bildern

Schach spielen mit Bert Brecht

Szenenfoto der Uraufführung der Oper  "Benjamin" über Walter Benjamin an der Staatsoper Hamburg - Yona Kim | Bildquelle: © Bernd Uhlig Peter Ruzickas "Benjamin" - Szenenfoto | Bildquelle: © Bernd Uhlig Auf der Flucht in die USA setzte Walter Benjamin seinem Leben 1940 selbst ein Ende. Ein tragisches Schicksal. Benjamin verkörpert beispielhaft deutsche, ja europäische Zeitgeschichte vom Ende des 19. Jahrhunderts bis zum Ausbruch des Zweiten Weltkriegs. Eben das macht ihn für Peter Ruzicka - neben seinen scharfsichtigen Zeitanalysen - so interessant, dass er sich von der südkoreanischen Theaterwissenschaftlerin und Regisseurin Yona Kim ein siebenteiliges Statio­nen­drama hat schreiben lassen, das Schlaglichter wirft auf Benjamins Denken und sein Leben zwischen Berliner Kindheit, Flucht und Pariser Exil. Man erlebt ihn im Gespräch mit Hannah Arendt und Gershom Sholem, er spielt Schach mit Bert Brecht und liest aus seinem Hauptwerk, dem "Passagen-Werk". Immer wieder Diskussionen über Kommunismus und Kapitalis­mus, Wehrmachtsberichte und Kinderauftritte. Die Sozialistin Asja Lacis, jene Frau, die Benjamin zum historischen Materialismus zu bewegen versuchte, arrangiert proletarisches Kindertheater. Eine irrlichternde, filmschnitthafte Szenenfolge, die eine musiktheatralische Metapher für den Zustand der Welt vor dem Ausbruch des Zweien Weltkriegs sein soll, mit biographischen wie gedanklichen Brandspuren Walter Benjamins.

Verfremdete Revue

Yona Kim inszeniert Ruzickas dritte Oper als groteske, episch verfremdete Benjamin-Revue im Einheitsbühnenbild von Heike Scheele, einem halbzerstörten großbürgerlichen Villensaal, der sich auf der Hinterbühne zur verspiegelten Choristentribüne öffnen lässt. Peter Ruzicka zitiert in seiner neuesten Oper Musik aus seinem Opernerstling "Celan", aber er zitiert auch ein markantes Motiv aus Orffs "Carnina Burana". Kinderlieder werden gesungen, manches klingt wie Mahler oder Schostakowitsch. Weitgehend herrscht Sprechgesang vor, es gibt aber auch schöne solistische Vokalisen, manche Chorpassagen klingen beinahe wie aus Puccinis "Turandot", dann wieder überraschen harte, modernere Töne.

Die Fäden fest in der Hand

Die Oper ist auch musi­kalisch eine Art rückblickende Revue voller disparater, klangsinnlicher, aber eher nostalgischer als Neuer Musik. Man könnte auch sagen eine musikalische Suche nach der verlorenen Zeit, festgemacht an einer der faszinierendsten, irritierendsten, ja verstörendsten Gestalten der deutschen Geistesgeschichte in der ersten Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts. Vom Pult der des Philharmonischen Staatsorchesters Hamburg aus hält der dirigierende Komponist die Fäden der anderthalbstündigen Aufführung fest in der Hand. Chor, Orchester und Sänger, darunter Dietrich Henschel in der Titelpartie und Andreas Conrad als Bert Brecht und Lini Gong als Asja Lacis taten ihr Bestes, um das Premierenpublikum zu begeistern.

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Peter Ruzicka: "Benjamin"

Musikalische Leitung: Peter Ruzicka
Libretto und Inszenierung: Yona Kim

Informationen zu Terminen und Vorverkauf finden Sie auf der Homepage des Theaters.

Sendung: "Leporello" am 04. Juni 2018, 16.05 Uhr auf BR-KLASSIK

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