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Kritik – "Alcina" bei den Salzburger Pfingstfestspielen Verwirrungen mit einer kräftigen Prise Erotik

In Zürich und Paris wurde Cecilia Bartoli als Alcina schon umjubelt, nun steht die Diva in dieser Rolle in Salzburg auf der Bühne – in einer Inszenierung von Damiano Michieletto. Doch der Italienische Regisseur verkompliziert die an sich simple Geschichte der gut vierstündigen Händel-Oper unnötig.

Szene aus "Alcina" von Georg Friedrich Händel bei den Salzburger Pfingstfestspielen 2019 | Bildquelle: SF/Matthias Horn

Bildquelle: SF/Matthias Horn

Ob nicht auch und gerade die Oper des Barockzeitalters dort ganz zu sich selber findet, wo sie dem Bühnengeschehen Einhalt gebietet, den Handlungsgang entschleunigt? Unter den schönsten der vielen schönen Arien in Händels "Alcina" sind die meisten von langsamen Tempi gezeichnet, von wundersam gewölbten Gesangslinien, die sich mit großer Ruhe entfalten. Dort zeigt Händel seine wahre Größe: Wo er Tonfolgen leise anstimmen und ruhevoll ausschwingen lässt. Das gleiche gilt für die Händel-Interpretin Cecilia Bartoli: Wo sie Tonfolgen leise anstimmen und ruhevoll ausschwingen lässt, ist der von ihr sonst so favorisierte Überdruck beim Singen angenehm nachhaltig reduziert. Und im Salzburger Publikum hält jeder Mann, jede Frau den Atem an.

Die Oper in Bildern

Reflexionen von Geschlechterrollenklischees

Wie nicht anders zu erwarten durchdringt die römische Diva nuancenreich alle sechs Arien der Alcina bis in feinste Verästelungen, farblich minutiös abgestuft. Darstellerisch signalisiert La Bartoli keinen Persönlichkeitsaspekt ihrer Heldin so deutlich wie ihre Verletzlichkeit: Da leidet ein alterndes Individuum unter berechtigten Verlustängsten - und ist am Ende tatsächlich komplett vereinsamt. Wer bei der vorangegangenen Salzburger Händel-Produktion 2017 dabei war, erinnert sich: "Ariodante" verblüffte dadurch, dass die Vokalakrobatin und Festivalchefin auf Geheiß des Regisseurs Christof Loy streckenweise mit Vollbart und Dekolleté zu sehen war - gleichzeitig. Das setzte Reflexionen von Geschlechterrollenklischees in Gang. Diesmal ist es der französische Countertenor Philippe Jaroussky als Ruggiero, ist es die schwedische Mezzosopranistin Kristina Hammerström als Bradamante, die mit Attributen des Hetero- und Homosexuellen, mit männlichen und weiblichen Anteilen jonglieren dürfen: er vor allem stimmlich, sie vor allem kostümtechnisch.

Unnötig in die Irre geführt

Die kräftigste Prise Erotik im landläufigen Sinn bringt allerdings Sandrine Piau hinein: Ihre famose Morgana an dieser Stelle unerwähnt zu lassen, wäre, biblisch gesprochen, eine Sünde. Über die Dauer von knapp viereinhalb Stunden verkompliziert der Venezianer Damiano Michieletto am Regiepult die simple Fabel. Wir wissen doch: Alcina ist in Ruggiero verliebt, will ihn auf ihrer Zauberinsel festhalten - doch mit Hilfe seiner Braut Bradamante kann Ruggiero fliehen. Das geht im Libretto natürlich nicht ohne manches Täuschungsmanöver ab, was Michieletto zum Anlass nimmt, noch einige Irritationen hinzuzufügen. In einem noblen Hotel laufen hinter der schwenkbaren transparenten Rückwand Nebenhandlungen ab, von denen man abgelenkt und nicht selten in die Irre geführt wird. Unnötig.

Mit seinem monegassischen Ensemble Les Musiciens du Prince steht der Mailänder Gianluca Capuano im Orchestergraben. Gegenüber "Ariodante" vor zwei Jahren hat sich die Intonationsgenauigkeit enorm verbessert. Wie damals belegt Capuano Sinn und Feinsinn für eine Musik, von der die Menschen seltsamerweise nicht immer wussten, dass sie sie hören wollen: Schließlich lag Alcina jahrzehntelang in tiefstem Dornröschenschlaf. Wie gut, dass zumindest künstlerische Edelprodukte der Güteklasse Händel am Ende doch kein Verfallsdatum haben!

Sendung: "Piazza" am 8. Juni 2019, 08:05 Uhr auf BR-KLASSIK

Händels "Alcina" in Salzburg

Dramma per musica in drei Akten HWV 34
Premiere 7. Juni 2019
Musikalische Leitung: Gianluca Capuano
Regie:Damiano Michieletto

Weitere Informationen und Tickets auf der Website der Salzburger Festspiele

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