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Kritik - "Barbier von Sevilla" in Erl Nummernrevue bei den Tiroler Winterfestspielen

Gioacchino Rossini verquickte allerlei illustre, überkandidelte Orchesterspäße mit ruhigen, getragenen Passagen und stellte Stimmband sprengende Koloraturen neben schattig melancholische Vokalfärbungen. Diese Mischung fordert alle Beteiligten heraus und bei manchen Aufführungen des "Barbier von Sevilla" kommt man aus dem Theater und denkt sich, na ja, schön performt, der Rest war allenfalls ganz achtbar. Nicht so in Erl.

In Erl müsste man über die Szene eigentlich den Mantel des Schweigens hüllen. Daher zuerst und stracks zur Musik. Am Pult des Festspielorchesters stand zum allerersten Mal bei einer Opernpremiere nicht Erl-Impresario und Hans Dampf in sämtlichen Festspielgassen, Gustav Kuhn, sondern Andreas Leisner. Dieser fiel bisher durch eine ruhige, konzentrierte Arbeit im Schatten seines Chefs auf. Leisner ist langjähriger Assistent Kuhns und mittlerweile auch Vizeintendant. Sein Taktstockdebüt geriet phänomenal, Leisners klare Schlagtechnik sorgt für große Präzision. Auch an den komplexeren, weil besonders quirligen Stellen behält er die Zügel in der Hand. Bei der Koordination mit den Sängern wäre jedoch noch etwas Luft nach oben.

Überzeugende Gesangsleistung

Francisco Brito gibt den Grafen Almaviva anfangs mit recht schüchternem Timbre, bald aber erlebt man Trompetentöne fast wie beim Belcanto-Weltstar Juan Diego Flórez. Ja man sieht und hört geradezu, wie Brito in seine Rolle hineinwächst, gegen Ende des Abends brilliert er besonders in einer oft gestrichenen Paradearie. Seine Mitstreiter überzeugen ebenfalls, Aurora Faggioli etwa singt die von Almaviva angehimmelte Rosina mit schöner, ziemlich mächtiger Stimme - wie schwerer, edler Samt wirkt das. Sergio Vitales Figaro tönt ebenfalls ziemlich wuchtig, trotzdem packt er viel vokale Ironie in die Stimme.

Casting-Show für ein imaginäres Publikum?

Gustav Kuhn präsentiert sich erstmals als 'reiner' Regisseur in Erl - und genau das geht leider schief. Seine Grundidee war offenbar, die Nummern und Figuren des Stücks als Nummernrevue zu inszenieren, als Casting-Show für eine imaginäre Jury. Ständig schnappt sich jemand ein Mikrofon und hampelt hüftschwingend herum, andauernd kaspert man hier, kalauert dort. Eine echte, sechsköpfige Gitarrencombo spielt auf, andere ziehen das Üben mit der Luftgitarre vor. Fürs Verstecken reicht es, sich einfach hinzusetzen oder hinzulegen. Der Chor erscheint als schräge, jedoch letztlich blasse Cocktailpartygesellschaft. Ein halbes Dutzend Tänzer rennt auch noch uninspiriert durch die Gegend, die Herren werfen sich gelegentlich in ein halbtransparentes großes Schwarzes und mutieren damit aus unerfindlichen Gründen zu Transvestiten. Wenn der Graf über Liebesgelüste singt, führt ihn auch schon mal eine dünn bekleidete Tänzerin an imaginären Fäden wie eine Marionette - nette Idee, doch warum nur den Grafen und das Ganze nur einmal?

Bühnenbild mit Klötzen

Arg spartanisch wirkt die Szenerie. Der Orchestergraben ist nach oben gefahren und überbaut, in ihm liegen Klötze herum, dahinter spielen die Musiker auf der Bühne, umgeben von zwei Treppen. Dass dafür laut Programmheft gleich zwei Bühnenbildner am Werke waren, ist - freundlich gesagt - lachhaft. Auch zwischen den Akteuren passiert wenig, Kuhn setzt auf eine vorwiegend historisierende Gesten-Grammatik und bricht diese immer wieder mit hysterischen Hampeleien auf. Kaum gewöhnt man sich an das nervöse Geschehen, wird plötzlich das Licht gedimmt, auch die Bewegungen auf der Bühne verlangsamen sich und man wähnt sich in einem tristen Nachtstück.

Gustav Kuhn hat mit seinen Tiroler Festspielen etwas wirklich Einmaliges geschaffen, er hat szenisch und musikalisch vor allem bei Wagners Opern Singuläres geleistet, große Erfolge mit Beethoven, Verdi, auch Richard Strauss eingefahren. Mozart liegt ihm weniger und Rossini offenbar am wenigsten.

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