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Kritik - "Hamlet" in Wien Shakespeare mit neuen Mitteln

Ein neuer Hamlet im Shakespearejahr 2016 - das wirkt auf den ersten Blick nicht gerade originell. Doch so leicht haben es sich Anno Schreier und sein Librettist Thomas Jonigk nicht gemacht. Den Shakespear‘schen Hamlet einfach nur so zu vertonen, und ein für die Opernbühne entschlacktes, vereinfachtes Libretto zu erstellen, das erschien ihnen zu simpel, und so haben sie Quellen aus der Zeit vor Shakespeare herangezogen - und das Stück quasi neu erfunden. Und mit Shakespeares Hamlet hat Thomas Jonigks Libretto nicht mehr viel zu tun.

Szenenbild aus "Hamlet" am Theater an der Wien | Bildquelle: © Monika Rittershaus

Bildquelle: © Monika Rittershaus

Premierenkritik

"Hamlet" am Theater an der Wien

Anhand der Verwandten rund um König Hamlet schildert die neue Fassung nun den Zerfall einer Familie. Es wird gemetzelt und gemordet bis die Familieneinheit scheinbar wieder hergestellt ist - samt eines neuen, noch ungeborenen Hamlet. Die Geschichte bewegt sich im Kreis. Jeder ist ersetzbar.

Starke Effekte und Stimmungswechsel

Anno Schreier und Thomas Jonigk setzen beide auf starke Effekte und krasse Stimmungswechsel. Allerdings nicht immer zeitgleich, und so kommt es, dass die Musik den Text oft konterkariert. Dafür hat Anno Schreier eine Art antiken Tragödienchor dazukomponiert, der auch das wohl bekannteste Zitat "Sein oder Nicht sein" auf die Bühne bringt.

Zum Sterben im Smoking

Am Pult des ORF Radio-Symphonieorchesters Wien - ein Orchester, das in der zeitgenössischen Musik zu Hause ist - stand Michael Boder, der zu Recht ebenfalls als Experte für heutige Klänge gilt. In der Ausstattung von Johannes Leiacker hat Christoph Loy inszeniert, der die Unendlichkeit der Geschichte auch durch eine Zeitreise der Kostüme verdeutlicht: von historisch bis heutig. Einzig der junge Hamlet, Außenseiter in Jeans und T-Shirt, kommt zum Sterben im Smoking auf die Bühne.

Prominente und gelungene Besetzung

Die Besetzung ist prominent: Durchs Geschehen führt als toter Hamlet Jochen Kowalski, diesmal in einer Sprechrolle. Hinreißend seine Bühnenpräsenz, wortdeutlich, elegant und ätzend kommentiert Hamlet Vater Vergangenes wie Gegenwärtiges und erhält zu recht tobenden Applaus, wie zu seinen besten Zeiten als Altist. Sehr intensiv der junge Hamlet André Schuen. Köstlich stimmlich wie darstellerisch Kurt Streit als Pastor, bewundernswert Theresa Kronthaler als Ophelia. Die beiden extremsten, ja fast haarstäubenden Partien: Claudius und Gertrude wurden bravurös bewältigt von Bo Skovhus und Marlis Petersen.

Neufassung für die Schublade?

Ob man den Hamlet von Anno Schreier und Thomas Jonigk auf dem ein oder anderen Spielplan anderer Opernhäuser wiederfinden wird? Die meisten Stücke verschwinden nach der Uraufführungsserie ja in der vielbesagten Schublade. Auch jene von Anno Schreier, der - sich dessen bewusst - ab morgen schon am nächsten Auftragswerk komponiert.

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