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Kritik – "Die Liebe zu drei Orangen" an der Stuttgarter Staatsoper Liebeswirrwarr in der Pixel-Welt

Von Sergej Prokofjews zahlreichen Opern hat es vor allem "Die Liebe zu drei Orangen" ins Repertoire geschafft – wobei die schmissige Musik ebenso zur Beliebtheit des Werks beiträgt wie die skurrile Handlung. Axel Ranisch setzt in seiner Stuttgarter Neuinszenierung – sie feierte am 2. Dezember Premiere – noch eins drauf und versetzt die Szenerie in ein Videospiel. Und alle helfen mit, dass die Inszenierung zum Erfolg wird: eine durchweg überzeugende Sängerriege ebenso wie Alejo Pérez am Pult des Staatsorchesters Stuttgart.

Carole Wilson (Fata Morgana), Michael Ebbecke (Zauberer Celio), Mitglieder des Staatsopernchors Stuttgart | Bildquelle: Matthias Baus

Bildquelle: Matthias Baus

Die Kritik zum Anhören

Wenn die Inhaltsangabe eines Regisseurs im Programmheft gleich mehrere Seiten in Anspruch nimmt, verheißt das oft wenig Gutes. Da hat sich jemand wohl etwas arg Kompliziertes ausgedacht! Im Fall der "Liebe zu drei Orangen" von Sergej Prokofjew wundert man sich ganz besonders. Denn im Kern ist die Sache so komplex nicht. Ein wehleidiger Königssohn wird nach einem Lachanfall verhext, er muss die drei titelgebenden Südfrüchte stehlen. In denen stecken Prinzessinnen, am Ende bleibt die Richtige übrig, die er dann ehelicht. Na gut, die junge Dame wird zwischenzeitlich in eine Ratte verwandelt, außerdem verhandeln Vertreter unterschiedlicher Theatergattungen, welche Form die Beste sei. Und Magier Celio streitet mit Zauberin Fata Morgana um Macht und Minne.

Retro-Atmosphäre und futuristische Ausstattung

Elmar Gilbertsson (Prinz), Esther Dierkes (Ninetta) | Bildquelle: Matthias Baus Bildquelle: Matthias Baus Axel Ranisch erzählt dieses Geschehen ebenso gradlinig, wie mit virtuos verschränkten Zeit- und Spielebenen. Tatsächlich lassen sich alle im Programmheft versprochenen Windungen und Wendungen gut nachvollziehen, dazu kommt allerdings noch eine Metaebene der ganz speziellen Art. Das Setting ist nämlich ein Computerspiel, mit Namen "Orange Desert III". Ein Junge spielt alles live durch, wird manchmal vom Vater an den realen Essenstisch gerufen, gerät zum Finale indes selbst ins Game hinein. "Immersion" nennt man so etwas heute. Der Clou dabei ist die Mischung aus Retro-Atmosphäre und futuristischer Ausstattung. Bei "Orange Desert III" sieht man reichlich grobkörnige Pixel und ruckelnde Klötzchen, mal als Screenshot, meist als bemalte Bühnenwand. C64 und Amiga 2000 lassen grüßen! Mittendrin oder drunter oder drüber – je nach Sichtweise – turnt ein fantastisch spielfreudiges, extrovertiert gewandetes Ensemble, immer knapp vorm Overkill, aber nie auf übertriebene Weise. Virtuos werden die Pixelgebirge beklettert, schnelle Umbauten und rasche Szenenwechsel sorgen für Dauerspannung und Erstaunen. Witziger, intelligenter kann man dieses Stück wohl kaum inszenieren.

Motorschiff Prokofjew

Reines Glück auch auf der musikalischen Seite. Alejo Pérez dirigiert mit Verve, Kraft und einem – hier völlig angemessenen – Hang zu abrupten Farb- und Tempowechseln. Prokofjew fällt sich bei den "Drei Orangen" quasi immer wieder selbst ins Wort beziehungsweise in den Ton, ein klangliches Überraschungsei folgt auf das nächste. Es gibt herrliche Schrei- und Stöhnkoloraturen. Gesungen wird auf Deutsch. Daher auch der auf dem Stuttgarter Spielplan leicht abgewandelte Titel der Oper, den man eigentlich als "Die Liebe zu den drei Orangen" – also mit Artikel – kennt. Doch man hat sich an den russischen Silben orientiert, damit der Text für den Chor auch auf Deutsch singbar ist.

Elmar Gilbertsson brilliert als verweichlichtes Prinzchen, Esther Dierkes ist eine nicht nur vokal äußerst anmutige Ninetta, bei den kleineren Partien ragen Shigeo Ishino als Leander und Johannes Kammler als Pantalone heraus. Pantalone? Ach ja, wir vergaßen, das Stück bezieht wesentliche Inspiration aus der Commedia dell'arte. Und Ranisch führt noch eine weitere Ebene ein, nämlich das Motorschiff Prokofjew, in dessen Wrack... Und dann gibt es noch die politische Dimension, nämlich einen Kommentar zu – alles klar? Hoffentlich nicht, denn die Lösung lautet: nach Stuttgart fahren und den Rest selber lösen – ansonsten: Game over!

Sendung: Allegro am 03.12.2018 um 6:05 Uhr auf BR-KLASSIK

Prokofjews "Drei Orangen" in Stuttgart

"Die Liebe zu den drei Orangen"
von Sergej Prokofjew
Oper in vier Akten (10 Bildern) und einem Vorspiel

Regie: Axel Ranisch
Staatsorchester Stuttgart
Leitung: Alejo Pérez

Informationen zu Terminen und Vorverkauf finden Sie auf der Homepage des Theaters.

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