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Kritik - Puccinis "La Bohème" an der Komischen Oper Von wahren und falschen Gefühlen

Armer Dichter liebt kranke Blumenstickerin, sie ihn auch, beide trauen sich aber nicht über den Weg, verplempern ihre Zeit mit Beziehungsknatsch, und als er sein Glück endlich begreift, ist sie tot. Jugend und Kunst feiern sich, können Krankheit und Sterben aber nicht überwinden. Puccinis "La Bohème" steht auf der Liste der meist gespielten Opern weltweit übrigens auf Platz sieben.

Nadja Mchantaf (Mimi), Gerard Schneider (Marcello) | Bildquelle: Iko Freese / drama-berlin.de

Bildquelle: Iko Freese / drama-berlin.de

Die Kritik zum Anhören

Das eiskalte Händchen kann jeder Opern-Afficionado mitsingen, und es muss schon viel passieren, damit die abgebrühte Kritikerin das Taschentuch zückt. Die Tränchen laufen in der Tat, das liegt zum einen an Puccinis Kunst, um die Jahrhundertwende existentielle Gefühl zu übersetzen in eine Musik ohne überflüssige Dekoration. Puccini kannte das Leben der armen Intellektuellen und Künstler aus seiner Mailänder Studentenzeit. Er gibt der falschen Sentimentalität trotz herzzerreißender Melodien keine Chance. Mimì stirbt leise, zwischen zwei Atmern, ohne große Geste, und das geht stark ans Gemüt.

Ohne Selfies und Instagram

Nadja Mchantaf (Mimi), Günter Papdendell (Marcello) und Vera-Lotte Böcker (Musetta) | Bildquelle: Iko Freese / drama-berlin.de Nadja Mchantaf (Mimi), Günter Papdendell (Marcello) und Vera-Lotte Böcker (Musetta) | Bildquelle: Iko Freese / drama-berlin.de Zum anderen braucht es ein überzeugendes Konzept für die Inszenierung. Intendant und Regisseur Barrie Kosky inszeniert zur Pariser Mansardenidylle die zeitgleich entstandene frühe Fotografie, die Daguerreotopie, und rückt den altertümlichen Fotoapparat mit Stativ und schwarzer Decke ins Zentrum der Handlung. Wo Fotos entstehen, inszenieren sich die Künstler. Und wer sich inszeniert, hat keinen Zugang zu den eigenen Gefühlen. Kosky verzichtet auf jede Aktualisierung mit Selfies und Instagram-Ästhetik, er bleibt streng in der Zeit der Bohème, Paris Mitte des 19. Jahrhunderts.

Ein altes Postkartenmotiv der Pont Neuf, aufgenommen vom Montmartre, und die sehr frühe Fotografie einer Gasse bilden den Hintergrund der Bühne, des Weihnachtsfestes im Quartier Latin, des Wirtshauses. Die Mansarde ist angedeutet als Podium in Form zweier kleiner verbundener Rechtecke, oben hängen ein paar alte Vorhänge am Eisengestänge, die Künstler gelangen durch eine Treppenluke in ihr ärmliches Stübchen, in dem auch Nachbarin Mimì erscheint und Rudolfo betört, eben mit eiskaltem Händchen.

Wenig Klamauk, langer Applaus

Immer wieder taucht diskret, ohne Ausrufezeichen, der Fotoapparat auf, die Künstlermuse Musetta zerschlägt ihn schließlich, und da fühlt Rudolfo zum ersten Mal, wie ernst es ihm ist mit Mimì. Leider zu spät. Mimì haucht ihr Leben aus und sitzt erstarrt im Scheinwerferlicht. Der kanadische Dirigent Jordan de Souza begleitet das hochmotivierte junge Ensemble souverän durch die vier Szenen, Nadja Mchantaf als Mimì mit dunklem Pagenschnitt und Karokleidchen bezaubert. Jonathan Tetelman als Rodolfo im lila Samtanzug wirkt ein wenig blass dagegen, die Muse Musetta gibt die blonde Sirene. Chor und Ballett feiern den Weihnachtsabend manchmal einen Tick zu klamaukig, aber das Publikum feiert zum Schluss eine gelungene "Bohème" mit langem Applaus, bei dem die Tränen der Rezensentin dann schnell getrocknet sind.

Mehr zur Inszenierung

Giacomo Puccini:
"La Bohème"

Komische Oper Berlin
Regie: Barrie Kosky
Premiere: 27. Januar 2019

Chor und Orchester der Komischen Oper Berlin
Leitung: Jordan de Souza

Informationen zu Terminen und Besetzung erhalten Sie auf der Homepage der Komischen Oper Berlin.

Sendung: "Leporello" am 29. Januar 2019 ab 6:05 Uhr auf BR-KLASSIK

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