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Misshandlungen bei den Domspatzen Mehr Opfer als angenommen

Der langjährige Chef der Regensburger Domspatzen, Georg Ratzinger, muss nach Überzeugung des Opferanwalts Ulrich Weber von den zahlreichen Misshandlungsfällen bei dem Knabenchor gewusst haben. Das gab Weber heute bei einer Pressekonferenz bekannt. Insgesamt sprach er von rund 230 Vorfällen.

Georg Ratzinger | Bildquelle: picture-alliance/dpa

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Auf die Frage, ob Ratzinger die Missstände bekannt gewesen seien, sagte der vom Bistum Regensburg als Sonderermittler eingesetzte Anwalt wörtlich: "Davon muss ich ausgehen."

Weber stellte am Vormittag in Regensburg einen Zwischenbericht zu seinen Recherchen vor. Demnach sind zwischen Kriegsende und Anfang der 90er Jahre mindestens 231 Kinder bei den Domspatzen Opfer von Gewalt geworden. Die Kinder wurden von Priestern und Lehrern des Bistums verprügelt oder sexuell missbraucht. Die meisten Misshandlungen seien in der früheren Vorschule der Domspatzen in Etterzhausen und Pielenhofen sowie im Inernat in Regensburg begangen worden. Der 91–jährige Georg Ratzinger ist der Bruder von Papst Benedikt. Er war 30 lang, bis 1994, Domkapellmeister und Leiter des weltberühmten Knabenchores. Ratzinger hat bisher auf BR-Anfrage nicht reagiert.

Über dreimal so viele Opfer

Opferanwalt Regensburger Domspatzen | Bildquelle: picture-alliance/dpa Anwalt der Opfer: Ulrich Weber | Bildquelle: picture-alliance/dpa Seit fast einem Jahr untersucht Ulrich Weber Misshandlungs- und Missbrauchsvorwürfe beim weltberühmten Knabenchor. Das Bistum hatte den langjährigen Anwalt der Opferschutzorganisation Weißer Ring im April als unabhängigen Sonderermittler eingesetzt. Er hatte mit Betroffenen und dem Missbrauchsbeauftragten des Bistums gesprochen sowie Geheimarchive, Personalakten des Bistums und persönliche Notizen des Generalvikars eingesehen.

Weitere Fragen aufwerfen dürfte, dass ein externer Gutachter in verhältnismäßig kurzer Zeit viel mehr Opfer ermitteln konnte, als das Bistum. Denn bisher sprach das Bistum Regensburg von rund 70 Knaben, die in der damaligen Domspatzen-Vorschule von Betreuern massiv drangsaliert und brutal gezüchtigt worden sind. Zur Zahl der Opfer sexuellen Missbrauchs im gesamten Bistum hieß es nach kircheninternen Ermittlungen, seit 1945 seien rund 80 Kinder betroffen gewesen. Weber geht nun davon aus, dass mindestens jeder dritte der 2400 Domspatzen zwischen dem Zweiten Weltkrieg und den frühen Neunzigern zum Gewaltopfer wurde.

Opfergespräche offenbaren Vertuschungspraxis

Ulrich Weber schilderte auf der Pressekonferenz auch die Vertuschungspraxis - etwa an der Grundschule der Regensburger Domspatzen Etterzhausen: "Während der Rektoratszeit Meier in Etterzhausen, konkret 1966, erfolgte nach erheblicher Verletzung eines Schülers in Etterzhausen eine Anzeige durch die Mutter. Konsequenzen, zum Beispiel aus einer polizeilichen Ermittlung, sind nicht dokumentiert. Opfergespräche legen nahe, dass hierfür explizit abgestellte befragte Schüler gedrängt wurden, über einen Treppensturz zu berichten."

Clemens Neck, Sprecher des Bistums Regensburg, wollte die Ergebnisse des Zwischenberichts nicht kommentieren, Gespräche mit den Opfern seien abzuwarten: "Ich kann zu diesem Zeitpunkt noch nicht Stellung nehmen. Das steht ja auch am Schluss des Berichtes, dass jetzt Gespräche mit Betroffenen und deren Vertretern stattfinden sollen."

Ein nicht abreißender Strom von Meldungen.
Opferanwalt Ulrich Weber

Schon seit längerem war der Zwischenbericht der Untersuchungen erwartet worden. Noch im November hatte Weber um mehr Zeit für seine Nachforschungen gebeten. Der Anwalt sprach damals von einem "nicht abreißenden Strom von Meldungen" und hatte weitere Betroffene aufgefordert, sich zu melden. Die hatten von Schlägen mit Fäusten, Stöcken und einem Schlüsselbund berichtet. Das Bistum hatte daraufhin beschlossen, den Opfern ein Schmerzensgeld in Höhe von jeweils 2.500 Euro zu zahlen. Vor allem in der Vorschule der Domspatzen sollen Lehrer und der langjährige Direktor über Jahrzehnte Kinder misshandelt haben.

Die Regensburger Domspatzen

Hinter dem traditionsreichen Namen verbirgt sich eine Institution aus drei Säulen: Chor, Musikgymnasium und Internat. Zu den Aufgaben des Chors gehört vor allem die Gestaltung der Gottesdienste im Dom. Die "Spatzen" unternehmen aber auch Konzertreisen in alle Welt und sind durch zahlreiche Einspielungen bekannt. Ihr Repertoire reicht von sakralen Werken bis zu modernen Liedern. Das renommierte Internat am Ostrand der Altstadt von Regensburg besuchen etwa 170 Jungen, viele werden in der Tagesschule vom Unterrichtsende bis zum Abendessen betreut. 15 Erzieher und Erzieherinnen (Präfekten) leben und arbeiten mit den Jungen.

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