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Vor 100 Jahren starb Scott Joplin Die Kunst des King of Ragtime

Er war einer der ersten großen afro-amerikanischen Komponisten: Scott Joplin, Urheber von weltberühmten Ragtime-Stücken und zwei Opern. Am 1. April jährt sich Scott Joplins Todestag zum 100. Mal.

Scott Joplin | Bildquelle: Rue des Archives/AGIP/SZ Photo

Bildquelle: Rue des Archives/AGIP/SZ Photo

Vier Töne: und sofort erkennt man ihren Urheber. Von der Sekunde über zwei Halbtonschritte auf die Terz, dann ein Sextsprung in die Oktave. Damit beginnt das Hauptthema des Klavier-Ragtimes "The Entertainer". Der Komponist dieses raffiniert-eingängigen Stücks war der in den 1860er-Jahren in Texas geborene Pianist Scott Joplin.

Ragtime-Revival dank Kinoerfolg

Eine faszinierende Musik: griffige, ohrwurmhafte Melodien, die durch kleine rhythmische Verschiebungen überraschen und etwas augenzwinkernd Listiges haben. Dazu die markant hüpfenden Figuren der linken Hand mit dem Bass-Grundton auf der Eins und der Drei und dazwischen getupften Akkorden auf Zwei und Vier. Der Ragtime hatte seine Blütezeit zu Anfang des 20. Jahrhunderts in den USA. Und er erlebte neue weltweite Popularität nach dem Welterfolg der Kino-Gangsterkomödie "Der Clou" von 1973, die stark von orchestrierten Fassungen von Scott-Joplin-Stücken wie "The Entertainer" und "Easy Winners" getragen wurde.

Joplins Geburtsdatum ist unbekannt

Scott Joplin | Bildquelle: Wikipedia Bildquelle: Wikipedia Ragtime wird meist abgeleitet von "ragged time", zerrissene Zeit, was sich auf die vielen Synkopen in den Melodien bezieht, die gerade im Kontrast zu den gehämmerten Bässen wie absichtliche kleine Risse in der Textur wirken. Der Pianist Scott Joplin war sicher nicht der Erfinder des Ragtime-Stils, wird aber oft als dessen Vollender bezeichnet. Von diesem Sohn der Familie eines befreiten Sklaven, der bei der Eisenbahn arbeitete, weiß man kein genaues Geburtsdatum: Er soll zwischen Juni 1867 und Januar 1868 zur Welt gekommen sein. Als Kind erhielt er Geigen- und Klavierunterricht. Schon als Jugendlicher spielte er in Kneipen Klavier, unterrichtete selbst auch Mandoline und Gitarre, arbeitete zugleich bei der Eisenbahngesellschaft. Von den späten 1880er-Jahren an verdiente er sein Geld als reisender Musiker. Nicht selten mit Auftritten, die bevorzugt in Kirchen oder Bordellen stattfanden, denn das waren die Orte, an denen schwarze Musiker Jobs fanden.

1894 ging er nach Sedalia (Missouri), spielte in schwarzen Clubs Tanzmusik, unterrichtete Klavier und begann, eigene Stücke zu schreiben. Seine beiden berühmtesten Stücke, der "Maple Leaf Rag" und "The Entertainer" entstanden 1899 und 1902, ersteres noch in Sedalia, letzteres aber bereits in St. Louis, seinem nächsten Wohnort. 1907 zog Joplin dann nach New York City, um einen Produzenten für ein Opern-Projekt zu finden.

Ragtime: musikalisches Spiel mit Wiedererkennungseffekten

"The Favorite" Plakat Scott Joplin | Bildquelle: © Rue des Archives/RDA/Süddeutsche Zeitung Photo Bildquelle: © Rue des Archives/RDA/Süddeutsche Zeitung Photo Seine Ragtime-Stücke sind einprägsame Miniaturen von einer Dauer, die meist drei Minuten kaum überschreitet und nur im Ausnahmefall an etwa fünf Minuten heranreicht. Oft haben sie einen A-, B-. C- und D-Teil, alle stets sehr einprägsam, wobei der C-Teil oft in der Tonart der Subdominante steht (also etwa in F, wenn die Grundtonart C-Dur ist). Das liest sich wie graue Theorie, aber die Musik klingt äußerst mitreißend, gerade weil das Bauschema so effektsicher ist. Der erste Abschnitt des "Entertainers" hat ein Grundthema, das nur vier Takte einnimmt und das in einem Gesamtabschnitt von 16 Takten einmal variiert, einmal wiederholt und einmal von einer herausgelösten Sequenzbildung zu einem Schluss geführt wird. Das zeigt, woher die besondere Einprägsamkeit dieser Stücke kommt: Sie sind ein Spiel mit ständigen Wiedererkennungs-Effekten. Zugleich aber haben sie Zutaten, die mit dem Blues verwandt sind, nicht zuletzt viele chromatische Wendungen sowie auch die rhythmischen Akzentverschiebungen. Und daher ist Ragtime-Musik ein völlig unverkennbarer Stil geblieben.

Ragtime als Vorläufer des Jazz

Scott Joplin lebte auch vom Verkauf der Noten seiner Kompositionen. Der Verleger John Stark hatte Joplin einst in einem Club in Sedalia (Missouri) gehört, in dem Joplin einige Jahre als Hauspianist arbeitete. Dieser Club hieß "Maple Leaf Club" und lieferte den Namen für eines von Joplins bekanntesten Stücken - deren Noten von Stark verlegt wurden. Auf dem Titelblatt der "Entertainer"-Notenausgabe von 1902 steht: "A Rag Time Two Step By Scott Joplin, composer of Maple Leaf Rag". Im Unterschied zu Jazz-Stilen wie dem Harlem Stride Piano sind Ragtime-Stücke in der Regel durchkomponiert, sehen also im Normalfall keine Improvisationen über einem Akkordschema vor. Deshalb wird Ragtime meist als Vorläufer des Jazz bezeichnet.

Im letzten Viertel des 20. Jahrhunderts war Ragtime eine besonders beliebte Musik bei Folk-begeisterten Jugendlichen - und zwar nicht unbedingt in den Originalfassungen für Klavier, sondern hauptsächlich in Gitarrenbearbeitungen. Schon in den 1920er- und 1930er-Jahren haben Blues-Musiker wie "Blind Blake" und "Blind Boy Fuller" den Ragtime-Stil auf die Gitarre übertragen. Das haben amerikanische Gitarristen wie etwa Stefan Grossman und europäische Musiker wie Sammy Vomacka, Werner Lämmerhirt vor allem in den 1970er-Jahren fortgeführt. Und damit wiederum auch die Folk-nahe Liedermacher-Szene beeinflusst.

Viele Werke gehen verloren - einige werden wiederentdeckt

Scott Joplin | Bildquelle: picture-alliance/dpa Bildquelle: picture-alliance/dpa Scott Joplin schrieb nicht nur Ragtimes, sondern versuchte sich auch an einer Oper, einem Musical und einer Symphonie. Doch die Werke sind bis auf eine Ausnahme verschollen. Seine erste Oper "The Guest of Honour" stammt von 1903. Doch wegen unbezahlter Rechnungen wurde die Partutur konfisziert und ging in der Folge verloren. Die zweite Oper "Treemonisha" von 1911 ist erhalten geblieben; doch sie war ein Misserfolg, sowohl in einer Teilaufführung einer Tanz-Compagnie auf der Bühne als auch in einer konzertanten Aufführung mit Joplin selbst am Klavier im Jahr 1915 im Lincoln Theater in Harlem, New York. Danach war "Treemonisha" Jahrzehnte lang völlig vergessen.

Doch 1970 wurden die Klaviernoten inklusive Gesangsstimmen wiederentdeckt, 1971 gab es eine konzertante Aufführung, unter anderem mit der Jazzpianisten Mary Lou Williams und dem Klassik-Interpreten Joshua Rifkin. 1972 schließlich folgte die Uraufführung einer Orchesterfassung mit dem Atlanta Symphony Orchestra in Atlanta, Georgia. 1976 erhielt Scott Joplin posthum den Pulitzer Prize für die Oper, die die Lebensumstände der Afro-Amerikaner in einem Gebiet ehemaliger Sklavenfelder zum Thema hatte: mit einer 18-jährigen Titelheldin, die lesen gelernt hat und die afroamerikanische Community vom Wert der Bildung überzeugt.

Scott Joplin stirbt 1917 in der Nervenheilanstalt

Scott Joplin war dreimal verheiratet, von seiner ersten Frau wurde er geschieden, seine zweite Frau starb mit nur 20 Jahren. Scott Joplin selbst wurde 1916 dement infolge einer Syphilis-Erkrankung und starb am 1. April 1917. Seine Musik hat eine nachhaltige Faszination, von der Joplin selbst zu Lebzeiten, vor allem nach dem Misserfolg der Oper "Treemonisha", höchstens ahnen konnte - denn schon er selbst bezeichnete sich als "King of rag time writers".

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