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Sergiu Celibidache zum 100. Geburtstag "Man will nichts, man lässt es entstehen"

Er hatte weltweit ein großes Publikum, und die Münchner liebten ihren "Celi". Doch die Reaktionen auf seinen Dirigierstil reichten von enthusiastischen Jubelstürmen bis hin zu verständnisloser Kritik. Denn Sergiu Celibidache eröffnete eine bis dahin noch nicht gehörte Klangwelt.

Sergiu Celibidache | Bildquelle: picture-alliance/dpa

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Celibidache dirigierte seit 1979 nur noch die Münchner Philharmoniker und formte das Orchester nach seinen Vorstellungen. Gab es in den ersten Jahren noch heftige Auseinandersetzungen während der Proben mit oft scharfen Tönen, so herrschte später der Ton sachlichen, herzlichen, fast freundschaftlichen Einvernehmens vor. Das eingespielte Team hatte ein gemeinsames Ziel, dem es alles Persönliche unterordnete.

Spezialisierung auf Bruckner

Die Bruckner-Symphonien wurden zu Celibidaches Spezialität. Insbesondere die späten Symphonien studierte er in seinen letzten Jahren immer wieder ein und stellte sie mit den Münchner Philharmonikern in Gastspielen auf der ganzen Welt vor. Für Celibidache war Bruckner der größte Symphoniker, denn sein Werk ermögliche trotz formaler Strenge das Erleben vom "Ende im Anfang" - für Celibidache ein wichtiger Wesenszug von Musik.

Die "Phänomenologie der Musik"

Sergiu Celibidache | Bildquelle: picture-alliance/dpa Bildquelle: picture-alliance/dpa Die Phänomenologie Edmund Husserls und der Zen-Buddhismus prägten Celibidache und seine Musikauffassung. Jegliches Ego des Interpreten solle aus der Musik verbannt werden. Lediglich die Musik solle im Hier und Jetzt erklingen. Auch gegen den Begriff "Interpretation" wehrte er sich, da er das Ego des Dirigenten impliziere. So erklangen die Werke unter seiner Leitung auf eine völlig neue und transzendente Weise in oft meditativ langsamen Tempi ganz ohne Effektascherei. Tausende interessierte Studenten, Musiker und angehende Dirigenten besuchten seine zahlreichen Lesungen, in denen Celibidache seine Theorie vermittelte.

Sergiu Celibidache - Musik ohne Kompromisse

"Eine Probe ist nicht Musik. Eine Probe ist eine Summe von unzähligen 'Neins'. 'Nicht so schnell! Nicht über dem Fagott! Nicht so laut! Nicht so flau! Nein, nicht so! Nein, nicht, nicht!' Wie viele 'Nicht' gibt es? Billionen. Und wie viele 'Ja'? Nur eins!" Sergiu Celibidache

Von Rumänien in die Welt

Geboren wurde Sergiu Celibidache am 11. Juli (bzw. am 28. Juni nach dem Julianischen Kalender) 1912 in Roman, im moldawischen Teil Rumäniens. Sein Vater war Offizier. Als er die Hochbegabung seines Sohnes erkannte, setzte er sich in den Kopf, dass dieser rumänischer Staatspräsident werden solle. Der junge Sergiu entschied sich stattdessen für die Musik. Da musste er sein Zuhause verlassen und verdiente sich als Pianist in einer Bukarester Tanzschule seinen Lebensunterhalt.

Sergiu Celibidache | Bildquelle: picture-alliance/dpa

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Kalenderblatt: 11. Juli 1912

Sergiu Celibidache wird geboren

An der rumänischen Universität Jassy studierte Celibidache zunächst Mathematik und Philosophie. Im Radio hörte er eines Tages ein Streichquintett des Komponisten Heinz Tiessen aus Berlin. Celibidache war so überwältigt, dass er selbst eines schreiben musste. Er schickte die Partitur an Tiessen, der umgehend und knapp antwortete: "Sofort nach Berlin kommen!" Dort studierte er dann Komposition und Dirigieren an der Musikhochschule sowie Musikwissenschaft und Philosophie an der Universität.

Der Feuerkopf bei den Berliner Philharmonikern

Sergiu Celibidache | Bildquelle: picture-alliance/dpa Bildquelle: picture-alliance/dpa Celibidache sah sich während der Studienzeit eher als Komponist. Jedoch seine Auftritte als Dirigent ließen schon früh aufhorchen. Gelegentlich trat er als Gastdirigent in der Hochschule und beim Rundfunk auf. Die Berliner Philharmoniker wählten Celibidache zu einem Dirigenten auf Zeit. Denn der Philharmonikerchef Wilhelm Furtwängler wartete auf seine Entnazifizierung und war mit einem Dirigierverbot belegt. Außerdem kam sein Vertreter Leo Borchard in den Nachkriegswirren unerwartet zu Tode. Für die Berliner Philharmoniker erwies sich Celibidache als Glücksgriff, und für Berlin war er eine der populärsten und faszinierendsten Erscheinungen der Nachkriegszeit. Fünf Jahre lang rang der "genialische Feuerkopf" (so stand es in der FAZ) mit den Musikern um Präzision und Klangschönheit. Nach 414 Konzerten übergab 1952 Celibidache dem wiederkehrenden Furtwängler ein Orchester in Hochform. Dabei war er kein bequemer Dirigent: Er neigte zu scharfer Kritik an Musikern, Interpreten und Kollegen und er war wegen seiner unberechenbaren Wutausbrüche gefürchtet. Seine überlangen Proben und völliges Desinteresse an Schallplattenproduktionen stießen immer mehr auf Widerstand.

Karajan toppte Celi

Nach Furtwänglers Tod 1954 war Celibidache der erste Anwärter auf die musikalische Leitung der Berliner Philharmoniker. Das Orchester entschied sich jedoch für den geschmeidigeren und Medien zugewandten Herbert von Karajan. Für Celibidache war das eine so herbe Enttäuschung, dass er sie zeitlebens nicht vergessen konnte. Folglich mochte er sich jahrelang nicht mehr an ein Orchester binden.

Höhepunkt der Karriere in München

Celibidache gastierte bei vielen Orchestern in Südamerika, Italien, Schweden, Dänemark, Frankreich und Japan, bis er 1979 Chef der Münchner Philharmoniker wurde. Aus einem zweitrangigen Orchester entwickelte sich binnen weniger Jahre ein Eliteorchester von Weltrang, mit dem er bis zu seinem Lebensende 1996 exklusiv verbunden blieb. Mit einer Ausnahme: Einer Einladung des Bundespräsidenten Richard von Weizäckers folgend, stand er 1992 einmal nach 38 Jahren wieder am Pult der Berliner Philharmoniker. Auch der Nachwelt bleiben Eindrücke der legendären Aufführungen erhalten, denn nach Celibidaches Tod am 14. August 1996 wurden erstmals Konzert-Mitschnitte auf CD veröffentlicht.

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