BR-KLASSIK

Inhalt

Kritik - "The Fairy Queen" in Stuttgart Bieito setzt auf Komik statt Blut

Die Spannung vorab war groß - und alle Vorstellungen der neuen Inszenierung des für seine drastische Bildsprache bekannten Calixto Bieito in Stuttgart noch vor der Premiere ausverkauft. Nun hat der katalanische Regisseur viel Applaus bekommen. Für seine schrille Umsetzung des märchenhaften Shakespeare-Stoffes, in der er - ungewohnt - stark auf Komik setzt.

"One charming night gives more delight than a hundred lucky days" steht da in Leuchtschrift am Fuße des Orchesterpodests, das sich da auf der Drehbühne des Stuttgarter Staatstheaters um sich selbst dreht, um das Staatsorchester immer mal wieder auf die Szene zu befördern. Eine charmante Nacht ist Shakespeares Sommernachtstraum auch. Aber man weiß ja, wie dieser Liebesalptraum endet. Shakespeare hat vor allem auch in seinen Sonetten immer wieder danach gefragt, warum die Liebe - und damit der ersehnteste menschliche Zustand überhaupt - immer so entsetzliche Schmerzen verursacht. Eine Antwort darauf hat er nicht gefunden - und seine zumeist so schmerzvollen Komödien geschrieben.

Gewalt des Begehrens

"One charming night gives more delight than a hundred lucky days" also steht da wie ein drohendes Motto über dem ganzen Abend. Und spätestens wenn am Ende alle wie verlorene Geister über die Bühne torkeln, als: zerstörte Seelen, die an der Liebe zerschellten und der Gewalt des Begehrens auf den Leim gegangen sind, spätestens dann sehnt man sich nach den "hundred lucky days" und will nichts mehr von der einen "charming night" wissen.

Schon Henry Purcells Original-Fairy-Queen ist als sogenannte Semi-Oper mit seinen Schauspiel- und Tanzeinlagen und den musikalischen Maskenspielen ein merkwürdiger Genre-Bastard, der 100 Jahre nach Shakespeare dessen selbst schon ins Groteske auswucherndes Traumspiel noch einmal zu überspitzen wusste. Schon hier blieben nur Bruchstücke übrig: von den Geschichten von den zwei durcheinandergemixten Liebespaaren im Wald von Oberon und Titania und von Zettels Traum und der Eselsliebe.

Liebes-Konflikte mit Shakepeare Originalszenen

In seiner Stuttgarter Version nun hat der katalanische Regisseur Calixto Bieto diese Semi-Oper noch einmal mit Szenen aus Shakespeares Original-Sommernachtstraum zurückgemixt. So dass man in dieser Koproduktion des Stuttgarter Staatsschauspiels mit der Stuttgarter Staatsoper immerhin ansatzweise jene Konflikte wiedererkennt, die da heißen: Helena liebt Demetrius, Demetrius liebt Hermia, Hermia liebt Lysander, und wenn das Liebesgift verträufelt ist, lieben sich alle durcheinander - und Titania den Esel.

Doch eigentlich handelte dieses barocke Musical, in dem gesprochen und gesungen, getanzt und gevögelt wird, von der wilden Wahllosigkeit der Erotik schlechthin und von ihrer mörderischen Brutalität. Dazu hat Bieto drei Sänger und drei Schauspielerpaare ins Rennen geschickt. Natürlich den Unheil säenden Puck und den ganzen Chor noch dazu. Dass dabei die normierte Geschlechterkonstellation nur eine Variante ist, ist nur selbstverständlich.

Beigeisternder Mummenschanz mit Tiermasken

Man muß sich schon einlassen auf den Mummenschanz den Calixto Bieto da auf die Bühne zaubert und der sogar den Orchestermitglieder samt dem barockafinen Dirigenten Christian Curnyn groteske Tiermasken auf die Köpfe hext. Doch der für seine durchaus drastische Bildsprache bekannte und berüchtigte Regisseur beweist in diesem spukhaft-eruptiven Bilderbogen, der nicht zuletzt mit seinen bizarren Kostümen glänzt, zugleich ein großes Gefühl für die traurige Melancholie, die in der Sehnsucht nach Liebe und in ihrer Unerfüllbarkeit steckt. Und so schenkt Bieto den Stuttgartern passend zum Karneval einen Purcell-Shakespeare at its best. Das Publikum dankte es ihm mit großem Applaus.

    AV-Player