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Christian Thielemann - Sächsische Staatskapelle Dresden Mit Bruckner in München

"So kühn und keck bin ich nie mehr gewesen", kommentierte Anton Bruckner den Finalsatz seiner Ersten Symphonie. Christian Thielemann dirigiert das Werk am Mittwoch bei einem Konzert in der Münchner Philharmonie. Im BR-KLASSIK-Interview spricht er über die Herausforderung der Bruckner-Symphonie für den Dirigenten - und den deutschen Orchesterklang.

Christian Thielemann | Bildquelle: picture-alliance/dpa

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BR-KLASSIK: Kaum ist Bayreuth vorbei - da startet die reguläre Spielzeit. Nach den Daten zu urteilen, Herr Thielemann, war da kaum Urlaub drin. Sechs Mal haben Sie den "Tristan" in Bayreuth gemacht. Jetzt sind Sie schon wieder am Anfang einer Europatournee gemeinsam mit der Sächsischen Staatskapelle.

Christian Thielemann: Naja, es ist so: Wenn die Tournee vorbei ist, dann fahre ich vier Wochen in den Urlaub. Insofern verschiebt sich der bei mir nur. Und der Sommer in Bayreuth war punktuell sehr anstrengend - aber mit der Atmosphäre und allem Drumherum gar nicht so aufregend. Ich hatte ziemlich viel Zeit zwischen den Aufführungen und man kommt dann schon wieder in eine gewisse Entspannung und dann freut man sich auch auf die Aufführung: Ganz besonders, weil die Zusammenarbeit mit den Sängern und auch mit der Regie und allen anderen, die dabei gewesen sind, so rund lief.

BR-KLASSIK: Der "Tristan" ist  ja eines der anspruchsvollsten Werke, die man dirigieren kann. Das fordert Kondition. Wie bereiten Sie sich vor, um diese Kraftakte durchzustehen?

Thielemann dirigiert die Sächsische Staatskapelle im Großen Festspielhaus.  | Bildquelle: Matthias Creutziger Christian Thielemann dirigiert die Sächsische Staatskapelle. | Bildquelle: Matthias Creutziger Christian Thielemann: Das hat sehr viel mit geistiger Funktion zu tun. Und ich habe das Stück sehr oft dirigiert: sechzig, siebzig Mal. Dann hat man schon rote Warnlampen im Kopf, wenn man das Gefühl hat: Jetzt bist du schon zu weit gegangen für die Kräfte, die du später brauchst. Man kann sich das - wie auch bei einer längeren Bruckner-Symphonie - besser einteilen. Und dann kommt natürlich hinzu: Ich habe in Bayreuth schon 153 Aufführungen dirigiert, kenne das Orchester seit 18 Jahren. Viele Leute sind fast Jahr für Jahr dabei. Ich kann auf eine Zusammenarbeit zurückgreifen, die es mir erlaubt, mit weniger Bewegungen dasselbe oder sogar noch mehr herauszuholen. Das habe ich gerade in Bayreuth gelernt. Und da kann man sich ganz anders fokussieren als wenn man die Dinge das erste Mal macht und eigentlich nur vor einem riesigen Berg von Problemen zu stehen scheint. Leichter wird es nicht. Aber es wird übersichtlicher.

BR-KLASSIK: Eine gewisse Tradition hat es auch, dass Sie gleich im September mit der Sächsischen Staatskapelle in München gastieren und die symphonische Saison im Gasteig eröffnen. Tradition ist auch, dass das Programm immer eine Bruckner-Symphonie enthält, diesmal ist es Bruckners Erste Symphonie. Von diesem Werk gibt es ja zwei Fassungen - die meistens gespielte Linzer Fassung von 1866 und die 25 Jahre später vom Komponisten revidierte Wiener Fassung. Welche ist denn für Sie die schlüssigere?

Christian Thielemann: Da erwischen Sie mich jetzt so richtig … Ich komme gerade von der Generalprobe und dirigiere das Stück zum ersten Mal in meinem Leben. Nach meinen Informationen gibt es sogar drei Fassungen: zwei Linzer Fassungen, von denen die eine leicht gegenüber der Urfassung überarbeitet ist. Wir haben uns dafür entschieden, wirklich die allererste zu nehmen. Die wurde mir mal in Wien geschenkt. Und da dachte ich: Lasst uns doch einmal dem Bruckner in die Werkstatt gucken - und zwar ohne dass er noch etwas dran verändert hat. Da findet sich manche - nun, Unausgewogenheit zu sagen, wäre zu negativ. Aber er tastet sich so an die Steigerungen heran. Das finde ich unglaublich interessant, und es stellt den Dirigenten vor die Aufgabe, nochmal ganz genau über die Steigerung, die Länge, die Wege zu den Höhepunkten nachzudenken. Manches wirkt fast ein bisschen abrupt.

Aber es macht Spaß zu sehen, wie Bruckner die Symphonie, die er als erste hat gelten lassen, zu Anfang komponiert hat. Und deswegen spielen wir sie. Sie wissen ja, ich habe zu München ein sehr enges und gefühlsmäßig aufgeladenes Verhältnis. Es ist eine wunderbare Stadt; das sage ich auch als Berliner, ohne mich gleich wieder rechtfertigen zu müssen. Hier gibt es ein ganz tolles Publikum, und ich hatte eine herrliche Zeit - und habe eben auch viel Bruckner dirigiert. Mit der Dresdner Kapelle sind wir gerade dabei, einen Bruckner-Zyklus zu vollenden.

Was den Klang dieses Orchesters aber so einzigartig macht, ist das Gefühl für Rundheit.
Christian Thielemann über die Sächsische Staatskapelle Dresden

BR-KLASSIK: Im Zusammenhang mit der Dresdner Staatskapelle wird viel vom deutschen Orchesterklang gesprochen. Was macht für Sie denn den besonderen Klang Ihres Orchesters in Dresden aus?

Christian Thielemann: Es gibt ja verschiedene deutsche Klänge. Das wäre ein längeres Thema, über das man sprechen könnte. Bedenken Sie, es gibt Schumann und Mendelssohn, es gibt Strauss, es gibt Brahms… Und ich denke zum Beispiel, Mendelssohn und Brahms haben nicht so viel miteinander zu tun. Wagner und Strauss sind auch nicht immer deckungsgleich und Bruckner ist eben Bruckner. Also da müsste man mehr in die Tiefe gehen. Was den Klang dieses Orchesters aber so einzigartig macht, ist das Gefühl für Rundheit. Es ist auch gut, mit Ecken und Kanten zu spielen: das ist eine Geschmacks- und Einstellungsfrage.

Bei einem Bruckner allerdings allzu viele Kanten zu zeigen, ist gar nicht so gut, denn Bruckner denkt natürlich an die Orgel, und ein Orchester ist für ihn eine große Orgel mit vielen Registern. Es hat eben jenen Klang, der in einer Kirche entsteht: eine Rundheit ohne Verschwommenheit und Nebel, Klarheit mit einer weichen Konturierung. Das zu erreichen, ist gar nicht leicht. Und die Staatskapelle hat ein Gefühl dafür. Durch die Opern, die das Orchester regelmäßig spielt, ist es zudem auf spontane Flexibilität gut eingestellt - anders als Orchester, die nicht so viele Opern spielen. Trotzdem muss man natürlich unglaublich viel proben.

Die Fragen stellte Falk Häfner für BR-KLASSIK.

Sendung: "Leporello" am 4. September 2017 ab 16.05 Uhr auf BR-KLASSIK

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