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Ungewöhnlicher Klangpoet Zum Tod des Komponisten Josef Anton Riedl

Josef Anton Riedl galt als einer der ungewöhnlichsten Komponisten unserer Tage. Als Lautpoet sowie höchst kreativer Veranstalter war er eine Institution der Neuen Musik in München und in aller Welt. Nach Informationen des Bayerischen Rundfunks verstarb Riedl am 25. März in Murnau.

Josef Anton Riedl | Bildquelle: Astrid Ackermann

Bildquelle: Astrid Ackermann

Zum Tod des Münchner Komponisten Josef Anton Riedl

Eine Würdigung von Helmut Rohm

Vielleicht ist es so, vielleicht ist es aber auch nicht so.

In vielfältigsten Varianten hat er diesen Satz aus Büchners Komödie Leonce und Lena immer wieder dekonstruiert und verschachtelt in seinem experimentellen Schaffen. Josef Anton Riedl, einer der ungewöhnlichsten Komponisten unserer Tage, als Klang-Geräusch-Gesten-Bild- Lautpoet sowie als höchst kreativer Veranstalter war er über ein halbes Jahrhundert lang eine Institution der Neuen Musik in München mit agitatorischer Strahlkraft in alle Welt hinaus.

Erinnerung an "Jo"

"Jetzt, da mich die Nachricht vom Tode Josef Anton Riedls ereilt, denke ich an den Freund, an die spontanen Begegnungen auf den Festivals, an die Einladungen nach Schäftlarn in großer geselliger Runde, unsere familiären Besuche in Murnau, denen "Jo" mit Besuchen in Freiburg und Berlin antwortete. Und ich denke dabei auch an seine Frau Rose, die 2008 verstarb. Beide zusammen bildeten für den Gast eine Herzlichkeit aus, die schwerlich übertroffen werden konnte. Roses Ruhe und Bedachtsamkeit, Jos Rastlosigkeit und Neugier verbanden sich zu einem Energiezentrum, von dem München als Stadt der Künste, die KlangAktionen und die musica viva unermesslich profitieren sollten. In dieser Stunde nun ist mir die Erinnerung an diese Freundschaft die allernächste." Winrich Hopp, Künstlerischer Leiter der musica viva

Nun ist es so. Jo, wie ihn die verschworene Schar seiner Freunde genannt hat, ist nun tot. In München geboren - wahrscheinlich - vielleicht - 1927, hatte er mit gegen den Strich gebürsteter Schlagzeug-Musik begonnen. Nach dem Krieg besuchte er die Musikhochschule, wurde von Karl-Amadeus Hartmann, von Scherchen und Orff gefördert. 1951 ein Schlüsselerlebnis konkreter Art: 

"Ich ging mit Freunden nach Aix-en-Provence zu einem Festival-Workshop und im Rahmen des Programmes trat Pierre Schaeffer auf, er stellte seine große bekannte Sinfonie eines Einsamen Menschen vor in zehn Sätzen. Die Unbekümmertheit und Frechheit beinahe, die da musikalisch zu Ausdruck kam, die hat mich so beeindruckt, so fasziniert, dass ich schon im Herbst darauf nach einigen Monaten nach Paris fuhr und Produktionen in seinem Studio mir anhörte."

Künstlerischer Leiter des Siemensstudios für Elektronische Musik

Tonband-Musik wurde Riedl wichtig. Die Klangwelt eines Edgar Varèse. In den späten 50ern konzipierte er das Siemensstudio für Elektronische Musik und wurde dessen Künstlerischer Leiter.

"Eigentlich war ja Karl Orff beauftragt worden, zu einem großen Jubiläumsfilm eine elektronische Musik zu machen, von Siemens bevollmächtigt, man wollte einen bekannten Namen haben, wollte aber auch die neue Technik verwendet haben. Und Orff sagte dann, Ich weiß jemanden, der ist natürlich ganz unbekannt, einen ganz jungen Typen, der könnte das machen, der hat da Kontakte in diese Richtung schon aufgenommen in Paris und auch in Köln."

Nie "normale" Musik

In seiner Münchner Veranstaltungsreiche "Klang-Aktionen" stellte Riedl Stücke keinen Komponisten nicht vor, die in der internationalen Welt der Neuen Musik Rang und Namen haben. Sein eigenes multimediales, Gattungsgrenzen sprengendes Schaffen aber lässt sich kaum auf den Punkt bringen. Jedenfalls hat er - wie sein Freund Dieter Schnebel es treffend sagte - nie "normale" Musik geschrieben.

Riedl erfand begeh- und bespielbare Skulpturen aus verschiedensten Glas-Elementen; Paper-Music-Geräusch-Welten, bizarr anmutende Laut-Gedichte für klatschende und stampfende Sprecher/Schreier - oder nur gezeichnete in spastischer Linienführung. Klangevents im Freien. Unerbittlich in seinem ästhetischen Anspruch, stets auf der Suche nach der nie da gewesenen Klang-Geräusch-Bild-Bewegungs-Licht-Erfahrung gastierte er mit seinen Ensembles im In- und Ausland. In seinen späteren Jahren auch der "musica viva" verbunden mit enzyklopädischem Wissen. International vernetzter Anreger, Förderer, Freund. 

Für mich ist alles offen …

"Also ich lass mich sehr, sehr stark, um auf neue musikalische Ausdrucksmöglichkeiten zu kommen, auf verschiedene Dinge ein, und lass mich überraschen. Im Grunde ist es ja so: wenn ich selber weiß, was draus wird, bin ich gar nicht mehr so sehr interessiert. Weil ich nie davon ausgehe, etwas für alle Zeiten fest zu machen. Sondern ich habe eine Erfahrung gemacht, und die freute mich, und jetzt fahre ich mit dieser Erfahrung fort. Das heißt, ich entwickle diese Erfahrung weiter. Es gibt eine neue Version. Und dann lass' ich es liegen. Eines Tages breche ich diese Version auf, und verwende Teile daraus für ganz was anderes wieder. Für mich ist alles offen …"

Sondersendung auf BR-KLASSIK

Zum Tod Josef Anton Riedl ändert BR-KLASSIK sein Programm und bringt am Dienstag, 29. März, um 22.05 Uhr in der Reihe Horizonte eine Wiederholung der Collage "Vielleicht ist es so" von Ulrich Müller, die dieser zum 80. Geburtstag des Komponisten verfasst hat. Einen Nachruf gibt es ebenfalls am Dienstag, 29. März, im Musikmagazin Allegro ab 6.05 Uhr.

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