Eigentlich ist Puccinis "Tosca" ein Kammerspiel, eine Dreiecksgeschichte. Auf der Riesen-Bühne im Baden-Badener Festspielhaus hat es die Regie schwer - und auch Dirigent Simon Rattle fremdelt mit dem Pathos.
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Eine ziemlich paradoxe Angelegenheit, die Oper: Je größer die Bühne, desto kleiner der Spielraum für die Sänger. Denn es ist viel schwerer, über 20 Meter hinweg Spannung aufzubauen, als über zwei Meter. Je mehr Platz, desto eher können sich die Mitwirkenden buchstäblich aus den Augen verlieren, ja förmlich verlaufen. Je pompöser der Raum, desto sorgfältiger müssen die Sänger also proben, desto mehr Energie und Konzentration brauchen sie.
Das Festspielhaus in Baden-Baden gehört zu den größten Bühnen Deutschlands, hier sind also höchste Aufmerksamkeit und Präzision gefragt. Leider mangelte es daran bei der Premiere von Giacomo Puccinis "Tosca" erheblich. Offensichtlich hatte das überwiegend privat finanzierte Festspielhaus an den Proben gespart, oder Regisseur Philipp Himmelmann konnte den Sängern sein Konzept nicht vermitteln - jedenfalls irrten die Künstler weitgehend unmotiviert und fahrig über die monströse Bühne, liefen hektisch mal hier hin, mal dort hin, reckten altmodisch und unfreiwillig komisch die Arme un
d überließen sich ihrem Schicksal.
Marcelo Álvarez als Mario Cavaradossi | Bildquelle: © Monika Rittershaus Keine Sekunde war Star-Tenor Marcelo Álvarez der coole Sprayer, der er anscheinend sein sollte, so unbeholfen, wie er mit der Airbrush-Pistole hantierte. Bösewicht Scarpia huschte mitleiderregend tollpatschig im Bürostuhl herum und tippte auch mal unglaubwürdig eifrig in einen Notebook-Computer. Tosca, die unnahbare Diva, war hier eher ein orientierungsloses Schlagersternchen in einem knallroten Showkostüm: Die lettische Sopranistin Kristīne Opolais hatte mit ihrem Rollendebüt wenig Glück, zumal ihre Stimme gefährlich unbeweglich geworden ist. Bei der spektakulären Arie "Vissi d'arte" ("Ich lebte für die Kunst") - Höhepunkt jeder "Tosca"-Aufführung - blieben die Augen der Zuschauer jedenfalls trocken. Kein gutes Zeichen. Entsprechend viele Protestrufe gegen die Regie gab es am Ende.
Ausstatter Raimund Bauer hatte gigantische Kulissenteile entworfen, vor denen die Sänger zu Ameisen schrumpften. Im ersten Akt ragt das Portal der römischen Kirche Sant'Andrea della Valle in die Höhe, nach der Pause regiert der skrupellose Machthaber Scarpia vor einer überdimensionalen Videowand, auf der lauter Überwachungskameras zusammengeschaltet sind. "Viel hilft viel" war offenbar das Motto des Bühnenbildners, doch der Erkenntnisgewinn war gering - so langweilig sind Diktaturen normalerweise nicht. Kostümdesignerin Kathi Maurer hatte ebenfalls keine Ideen, die die Handlung irgendwie verdeutlicht hätten. Stattdessen viel Beliebigkeit.
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Szenenbild aus "Tosca" | Bildquelle: © Monika Rittershaus Nun ist in Baden-Baden immer das Orchester der eigentliche Star, denn zur Osterfestspielzeit kommen die Berliner Philharmoniker unter der Leitung von Simon Rattle. Natürlich beeindruckten sie einmal mehr mit ihrer souveränen Musikalität: Keine Wackler, keine Konzentrationsprobleme, jeder Einsatz absolut präzise. Und doch fehlte die Balance. Simon Rattle hatte in einem Interview völlig zu Recht darauf hingewiesen, dass Puccini ein schwieriger Fall ist. Entweder gerät er nämlich zu kitschig, oder zu kühl, zuckersüß oder staubtrocken. Da ist Mut zum Pathos gefragt, bekanntlich eine durch und durch italienische Tugend, und die ist nicht gerade Rattles Stärke. Er ist eher ein genauer Analytiker, ein sehr rationaler Dirigent, der atemberaubend transparente Klangbilder zaubern kann. Doch bei Puccini wäre gerade das Gegenteil gefragt: Opulenz, auch Schwärmerei. Schade, dass diese "Tosca" so gar nicht überzeugen konnte.
Premiere: 7. April 2017
Weitere Vorstellungen: 10., 13., 17. April 2017
Berliner Philharmoniker
Musikalische Leitung: Sir Simon Rattle
Kristine Opolais - Floria Tosca
Marcelo Álvarez - Mario Cavaradossi
Weitere Infos unter festspielhaus.de.
Sendungsthema aus "Piazza" am 8. April 2017, 8.05 Uhr auf BR-KLASSIK
Mitschnitt der Produktion: Ostermontag, 17. April 2017, 20.15 Uhr, ARTE