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Kritik - Uraufführung von "Wahnfried" in Karlsruhe Wagner-Clan in zwei Akten

Als fulminantes Spektakel brachte das Badische Staatstheater Karlsruhe die Geschichte des Wagner-Clans auf die Bühne. Die kontrastreiche und schillernde Musik dazu stammt vom israelisch-amerikanischen Komponisten Avner Dorman.

Szenenbild  "Wahnfried" am Badischen Staatstheater Karlsruhe | Bildquelle: © Falk von Traubenberg

Bildquelle: © Falk von Traubenberg

Bevor sich der Vorhang zu einem auf allen Ebenen fulminanten Spektakel hebt, gibt es gleich zwei - sehr unterschiedliche - Vorspiele. Das Badische Staatstheater liegt künftig direkt am Hermann-Levi-Platz. In einem von Intendant Peter Spuhler feinsinnig moderierten Festakt wurde ein schon 25 Jahre alter Plan endlich Realität. Levi war acht Jahre Hofkapellmeister in Karlsruhe, 1882 sorgte er in Bayreuth für die erfolgreiche Uraufführung von Wagners "Parsifal". Der Meister vom Grünen Hügel hatte freilich seine Probleme mit dem Juden Levi und meinte, dieser könne das (christliche) Stück nicht völlig durchdringen. Eine von Wagner vorgeschlagene Taufe lehnte Levi ab.

Nach der Zeremmonie zur Umbenennung des Theaterplatzes eilt man ins Große Haus zu einem zweiten Präludium: Gewerkschaftsvertreter fordern - zu Recht - Lohnerhöhungen und soziale Absicherungen, danach geht die "Wahnfried"-Uraufführung endlich los.

Wahnfried - Biografische Details und traumatische Momente

Auf der Bühne taucht bald erneut Hermann Levi auf, ein freundlich versöhnlicher Herr, der sich mit ihm eher skeptisch gesinnten Figuren wie Cosima und Richard auseinandersetzen muss und zudem an vehementem Selbsthass leidet. Levi reiht sich ein in das umfangreiche Personal, welches neben diversen Wagners etwa Konstantin Gorny - der den Revolutionär Bakunin mit realem und vokalem Feuerwerk gibt - oder Eleazar Rodriguez als großartig düstren "Meisterjünger" Hitler umfasst.

Szenenbild  "Wahnfried" am Badischen Staatstheater Karlsruhe | Bildquelle: © Falk von Traubenberg Bildquelle: © Falk von Traubenberg Die Librettisten Lutz Hübner und Sarah Nemitz wollen viel erzählen, von biographischen Details und Konflikten in der Sippe bis zu traumatischen Momenten - etwa Siegfried Wagners Leiden an seiner Homosexualität - reicht das Spektrum. Man echauffiert sich über eine frühe Form von Lügenpresse, vulgo: schlechte Berichterstattung, und kämpft um Erfolg, Ruf, künstlerische Wahrheit. Immer wieder verdichten sich die Sujets und Motive in einer Figur: nein, nicht im urdeutschen Gesamtkunstwerker Wagner, sondern im Briten Houston Stewart Chamberlain, der seine erste Frau Anna für Richards Tochter Eva links liegen ließ und ansonsten vorwiegend rechtes Gedankengut verbreitete. Die Vorherrschaft der arischen Rasse war für ihn reine Selbstverständlichkeit und sein fanatisches Streben, Deutsch zu werden, Deutscher zu sein, zeigt Regisseur Keith Warner in unter die Haut gehenden Momenten.

Zwischen Bayreuther Festspielhaus und Villa Wahnfried

Szenenbild  "Wahnfried" am Badischen Staatstheater Karlsruhe | Bildquelle: © Falk von Traubenberg Bildquelle: © Falk von Traubenberg Warner siedelt die Handlung auf der Bühne des Bayreuther Festspielhauses an. Wenn der berühmte, eigenwillig geraffte Vorhang aufgeht, schauen einen mal Zuschauer, mal Choristen-Statisten, dann plötzlich Mitwirkende einer "Meistersinger"-Inszenierung an. Bestuhlung und Design des Saales liegen irgendwo in der Mitte zwischen Festspielhaus und Villa Wahnfried, Richard Wagners Bayreuther Rückzugsort in der Stadt. Was ein bisschen krude klingt, passt tatsächlich wunderbar zusammen. Keith Warner hat ebenso ein Händchen für den überraschenden Knalleffekt wie fürs Feinfühlige, er verknüpft Konkretes und Surreales mühelos. Matthias Wohlbrecht als bösartig sonorer Chamberlain sieht sich nach anfänglichem Wohlfühlen bei Christina Nissen als Cosima und Agnieszka Tomaszewska als Eva zunehmend mit einem "Wagnerdämon" konfrontiert, der nach dem Tod des Meisters für Unruhe sorgt.

Avner Dorman setzt auf Kontrastwirkungen

Virtuos unruhig ist auch der vielseitig schillernde Soundtrack des 1975 in Tel Aviv geborenen Komponisten Avner Dorman. Da ist vieles zwar mit dem ganz großen Pinsel gemalt, doch behält Dorman stets die Übersicht und achtet auf schöne Kontrastwirkungen - aberwitzig Groteskes folgt oft abrupt auf intimere und meist kürzere Szenen. Dorman liebt Revuehaftes, Lautstärke und das Ausreizen des Orchesterapparats. Die Gesangslinien sind eingängig, aber nicht banal, Chor und Instrumentalsolisten agieren oft genau auf der Grenze zum Übersteuern. Wenn Chamberlain die angeblichen Vorzüge der arischen Rasse preist, klingt dies wie eine Tanznummer aus einer düsteren Operette - großartig! Justin Brown sorgt am Pult der Badischen Staatskapelle für Präzision, Dynamik, Kraft. Das Publikum jubelt. Ein toller Abend!

Premiere war am 28. Januar 2017. Alle Termine sowie weitere Informationen unter staatstheater.karlsruhe.de

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