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Festival MPHIL 360° Gergiev, der Marathondirigent

Einen ganzen Sonntag lang steht Valery Gergiev im Rahmen des Festivals MPHIL 360°am Pult zweier Orchester - kein Problem für den Marathondirigenten, wie er im Gespräch mit BR-KLASSIK verrät.

Valery Gergiev | Bildquelle: Alexander Shapunov

Bildquelle: Alexander Shapunov

BR-KLASSIK: Herr Gergiev, das 360°-Festival der Münchner Philharmoniker hat ein sehr breit gefächertes Programm von A wie Alexander Skrjabin bis hin zu Z wie Zauberflöte. Sie sprechen damit natürlich das traditionelle Publikum an, aber sie wollen auch junge Leute ins Publikum holen. Glauben Sie das ist der Weg, dass man das Programm an das Publikum angleicht oder ist es eher so, dass die Musiker sich in Richtung Publikum bewegen müssen?

Valery Gergiev: Das ist eine gute Frage. Wir respektieren unser traditionelles Publikum sehr. Aber wir möchten eben auch andere Menschen ansprechen, vor allem jüngere. Dabei denken wir an die, die normalerweise keine Konzerte besuchen. Und an die, die sich bisher noch nicht für klassische Musik interessiert haben. Wenn wir es schaffen, diese Leute mit außergewöhnlichen Angeboten ein erstes Mal ins Konzert zu holen, dann kommen sie vielleicht ein zweites Mal. So werden sie zum Publikum von morgen. Die Zukunft ist für alle Institutionen ein wichtiger Aspekt. Etwas ungewöhnliche und manchmal auch sehr ungewöhnliche Programme können Menschen anlocken. Vor allem, wenn die Konzertkarten günstiger sind. Manche Konzerte könnten gratis angeboten werden. Für die Zukunft wünsche ich mir, daß sehr viele Kinder dieses Festival besuchen. In dieser Beziehung dürfen wir nicht an den finanziellen Gewinn denken. Stattdessen muß man sehen, warum es gut ist, 2.000 Kinder im Konzertsaal zu haben. Alles ist gut daran, und deswegen sind wir motiviert, dieses Projekt weiter zu entwickeln.

Festival MPHIL 360°

Vom 13. bis zum 15. November veranstalteten die Münchner Philharmoniker ihr Festival 360° in München. Nach dem Eröffnungskonzert am Freitagabend in der Philharmonie gab es am Samstag ein "Musikfest für alle". In den vier Sälen des Gasteig fanden zwölf Stunden lang Konzerte aus den Bereichen Pop, Jazz und Brass statt. Am Sonntag stand dann der Chefdirigent der Münchner Philharmoniker, Valery Gergiev, gleich fünf Mal hintereinander am Pult und dirigierte nacheinander die fünf Klavierkonzerte von Sergej Prokofiev. Die Solisten waren Herbert Schuch, Denis Matsuev, Behzod Abduraimov, Alexei Volodin und Olli Mustonen.

BR-KLASSIK: Das ist ja an sich noch nichts so ungewöhnliches. Viele Orchester versuchen, jungen Publikum heranzuziehen. Was meiner Ansicht nach jetzt wirklich ungewöhnlich ist, dass das alles unter einem Deckmantel passiert. Die Münchner Philharmoniker machen an sich verschiedene Projekte. Wie haben Sie denn die Musiker dazu bewegen können, so herauszukommen aus ihrem traditionellen Verständnis?

Valery Gergiev: Das zeigt unser ganzes künstlerisches, emotionales und menschliches Potential. Ich habe sehr viele Jahre in St. Petersburg dirigiert. Wir haben dort ungefähr 1.000 Konzerte im Jahr gespielt und davon einen sehr großen Teil für Kinder. Aus der Erfahrung in St. Petersburg habe ich gelernt, wie wir hier gemeinsam mit dem Team unterschiedliches Publikum zusammenbringen können: Älteres, mittelaltes und junges Publikum. Aber auch traditionelles Publikum und Menschen, die noch nie ein Konzert besucht haben. Wenn sie feststellen, dass Skrjabins Prometheus aus der Feder eines russischen Komponisten stammt, und dass es dazu eine farbige Show gibt, dann werden sie vielleicht neugierig. Vielleicht mögen sie Lichteffekte. Wahrscheinlich kennen sie Skrjabin nicht, aber sie können mit Lichteffekten etwas anfangen und wissen vielleicht etwas über die griechische Mythologie. Wir dürfen unsere Türen nicht verschließen und nur für die Menschen spielen, die sich teure Eintrittskarten leisten können. Und dann so tun, als wäre alles andere nicht unser Problem. Stattdessen sagen wir, wir wollen so viele Menschen wie möglich einladen. Deshalb veranstalten wir diese fünf kurzen Konzerte an einem Tag. Wenn dazu viele Leute zum ersten Mal kommen, haben wir unser Ziel erreicht. Das wäre meine Hoffnung.

BR-KLASSIK: Fünf Konzerte an einem Tag. Mit zwei verschiedenen Orchestern: drei Mal spielt das Mariinsky Orchester, zwei Mal die Münchner Philharmoniker. Wie ist das denn für Sie? Gibt es da rein musikalisch einen großen Unterschied, wenn Sie vor dem Mariinsky Theater Orchester stehen oder vor den Philharmonikern stehen?

Valery Gergiev: Das Mariinski Orchester ist es gewohnt, sehr lange Wagner-, Berlioz- oder Mussorgsky-Opern zu spielen. Wenn sie um 19.00 Uhr anfangen, spielen sie manchmal bis 23.00 Uhr. Sie kennen lange Aufführungen. Die Münchner Philharmoniker sind sehr dynamisch, sehr konzentriert, sehr ernsthaft und sehr diszipliniert. Alle haben verstanden, dass wir etwas Außergewöhnliches veranstalten. Vielleicht werden die Leute sagen, dass es viele Konzerte waren. Aber sie werden auch neue Künstler und neue Kompositionen kennengelernt haben. Und das in einer interessanten und unterhaltsamen Atmosphäre. Das Publikum will sich nicht langweilen. Darin besteht die einzige Gefahr. Langweile ist schlecht.

BR-KLASSIK: Die fünf Klavierkonzerte von Prokofjew sind dann nicht nur etwas für Prokofjew-Freaks. Wo würden Sie denn Prokofjew einsortieren? Seine Musik ist ja manchmal sehr apokalyptisch. Was nimmt man davon mit?

Valery Gergiev: Das wird ein sehr symphonisches / theatralisches Erlebnis werden. Vor allem das 5. Klavierkonzert ist sehr theatralisch. Man kann diese Atmosphäre eines Maskenballs, eines Faschingsballs förmlich spüren. Es ist wirklich sehr spannend. Alle fünf Klavierkonzerte an einem Stück zu hören, wird ein ganz außergewöhnliches Ereignis.

BR-KLASSIK: Ein paar Tage nach dem Festival machen Sie sich auf den Weg zu einer Asien-Tournee. Sie haben kaum Zeit, sich zu erholen. Brauchen Sie das gar nicht?

Valery Gergiev: Auf unserer Asientournee gibt es mindestens vier spielfreie Tage. Ich habe dieses Jahr im August einen sehr erholsamen Urlaub verbracht. 20 Tage lang habe ich nichts mit Konzerten oder Reisen zu tun gehabt. Ich konnte mich zu Glück gut erholen. Dies ist mein erstes Jahr in München, daher bin ich sehr motiviert. Ich denke also nicht in erster Linie daran, mich zu erholen. Als erstes denke ich an die Freude auf die gemeinsame Arbeit mit dem Orchester und auf unser Publikum zu Hause und im Ausland. Diese Tournee in Asien wird unsere erste außerhalb Deutschlands sein. Wir spielen in Japan, Südkorea und in Taiwan. Sie Leute dort sind alle mit den großen Orchestern vertraut. Sie haben hervorragende Konzertsäle, was sehr wichtig ist. Wir können uns also nicht nur auf das Publikum freuen, sondern auch auf die Akustik. Ich bin sehr optimistisch. außerdem arbeite ich gerne hart und detailliert. Wir nutzen unsere Zeit sehr gut, um alles gründlich zu erarbeiten und zu diskutieren. Wir bereiten uns sehr ernsthaft vor. Ich mag seriöse Institutionen und ich arbeite sehr gern mit den großen deutschen Orchestern.

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