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Kritik Uraufführung in Wien Lasst uns die Welt vergessen – Volksoper 1938

Zur Jubiläumssaison, ihrem 125. Geburtstag, hat die Wiener Volksoper ein "Backstage-Stück" in Auftrag gegeben, in dem es ihre eigene Geschichte erkundet: Den Theateralltag, vor allem die Theaterproben und schließlich Aufführung einer Operette in einer Zeit des politischen Umbruchs vor 85 Jahren. "Lasst uns die Welt veregessen" heißt das neue Stück, das jetzt in Wien uraufgeführt wurde. Mit berührendem Nachhall.

Szene aus "Lasst und die Welt vergessen"  | Bildquelle: © Barbara Pálffy/Volksoper Wien

Bildquelle: © Barbara Pálffy/Volksoper Wien

Was bedeutet so ein Umbruch bei Bühnenproben über den alltäglichen Ehrgeiz und die alltägliche Eifersucht unter Künstlern hinaus, wenn Angst vor gewalttätigem Terror besteht, wenn Kolleginnen ohne Schutz entlassen, wenn Rollen plötzlich umbesetzt, wenn der Regisseur, ja auch der Intendant sich nicht mehr gegenüber den rabiaten Weisungen des nationalsozialistischen Betriebsrats durchsetzen kann. "Was würdest du tun?“, wird immer wieder gefragt. "Auswandern? Und dabei die Eltern im Stich lassen? Trotz allem durchhalten? Sich verleugnen? Würdest du offenkundiges Unrecht tolerieren?"

Das Jahr 1938

In der Volksoper wurde im Frühjahr 1938 ein Stück des damals erfolgreichen Operettenkomponisten Jara Benes geprobt. "Gruß und Kuss in der Wachau" hieß es, und wurde auch schließlich zur Uraufführung gebracht, eine Revueoperette, die wohl Motive vom "Weißen Rössl" weiterzuführen scheint. Dampfer- und Autofahrten in einer Urlaubsgegend, Zahlkellner, die den Job schmeißen wollen und Datings über Zeitungannoncen.  Das "Weiße Rössl" war nach der Machtergreifung 1933 als schlimmes Beispiel der jüdischen Kitschoperette in Deutschland gebrandmarkt worden. Auch an der "Gruß und Kuss aus der Wachau"-Produktion der Wiener Volksoper waren zunächst viele jüdische Künstler beteiligt, etwa der viel beschäftigte, später im KZ ermordete Librettist Fritz Löhner-Beda oder der dann als Intendant in den USA sehr erfolgreiche Dirigent Kurt Herbert Adler.

Vom originalen Libretto keine Spur

Szene aus "Lasst und die Welt veregssen - Volksoper Wien 1938"  | Bildquelle: © Barbara Pálffy/Volksoper Wien Szene aus "Lasst und die Welt vergessen" an der Volksoper Wien 2023 | Bildquelle: © Barbara Pálffy/Volksoper Wien Das Libretto von "Gruß und Kuss in der Wachau" ist jedoch nur in einer nachträglich stark bereinigten Form erhalten. Vorgeführt werden nun in der Rekonstruktion der Volksoper 2023 die Proben, meist schnelle Durchläufe.  Auseinandersetzungen unter den Künstlers während der Proben hat Regisseur – und insofern auch Librettist der Backstage-Aufführung – Theu Bormans in Zusammenarbeit mit der Historikerin Marie Theres Arnbom pointiert vorgeführt. Zwischen den Szenen mit den Proben werden in kurzen Schlaglichtern auch die familiären Situationen des Ensembles, die dann auf einem Draht-Karussell sitzen,  beleuchtet (Bühne Bernhard Hammer). In Videoeinspielungen erscheint der historische Rahmen immer wieder als Hintergrund: der österreichische Kanzler Schuschnigg, Hitlers Einmarsch in Österreich, seine Rede am Heldenplatz, aber auch Ausgehungerte KZ-Häftlinge hinter Gittern.

Dirgentin Keren Kargalitsky instrumentiert und arrangiert

Was jedoch besonders berührt, ist die Komposition der aus Israel stammenden Dirigentin Keren Kargalitsky. Sie musste, da es von Benes nur einen Pariturauszug gab, selbst instrumentieren und fügte dabei einige neue, wohl jazzigere Farben hinzu, vor allem aber kontrastierte sie die Revueoperettenschlager immer wieder mit Musik von Arnold Schönberg, Gustav Mahler und im KZ komponierten Kompositionen von Viktor Ullmann.              

"Glücklich ist, wer vergisst, was doch nicht zu ändern ist“, singt man auch in der klassischen Operette, in der "Fledermaus“. Vergessen nicht als Verdrängung, sondern als bewusste Haltung, nämlich zu wissen, ja insgeheim zu trauern darüber, was man vergisst. "Der Himmel ist so blau, viel tausend Jahre lebe, der Zauber der Wachau“, dichtete der Librettist Fritz Löhner-Beda. Gegenübergestellt wird diesem Schlager Löhner-Bedas KZ-Lied aus Buchenwald, in dem er ermordet wurde. "O Buchenwald wir wollen trotzdem ja zum Leben sagen, denn einmal kommt der Tag, dann sind wir frei." Eine Operette, die weht tut. Die Aufführung schlug das Publikum wohl auch deshalb in ihren Bann, weil sie auch aktuelle existentielle Themen von Ausgrenzung und kriegerischem Ausnahmezustand berührt. Keren Kargalitsky hat erst nach dem 7. Oktober, also unter dem Eindruck des Terroranschlags der Hamas, die Musik komponiert und zusammengestellt.

Eine Bühne und Stimme für die Vergessenen, Vertriebenen und Toten

Man fühlt sich aber auch ein wenig an die Vergangenheitsbewältigung erinnert, die vor  35 Jahren einst Thomas Bernhards "Heldenplatz" im Burgtheater bewirkte. Und doch ist es, und das macht gerade die Brisanz von "Lasst uns die Welt vergessen" aus, keine innerösterreichische Auseinandersetzung. Ein niederländischer Regisseur, ein internationales großes Ensemble relativieren die Austriazismen. Alle vom Bühnenarbeiter bis zum Intendanten scheinen in dieser Inszenierung gleichgestellt, auch die Stars, die wie Hulda Gerlin, später als Hilde Güden bekannt (Johanna Arrouas), fliehen mussten oder wie Viktor Flemming (Ben Connor) im KZ umkamen. Als Bühnenmeister gibt Gerhard Ernst nach der Pause seine zynischen Kommentare zur Funktion des zweiten, an die Außenbezirke gelagerten Opernhauses.

"Lasst uns die Welt vergessen" gibt vor allem den Sängerinnen und Sängern,  die nicht mehr da sind, den Vertriebenen, den Toten, eine Bühne und eine Stimme. Besonders berührend, wenn in einem Liebesduett der Gesang der arischen Zweitbesetzung plötzlich vom ursprünglichen Sänger, der auf der Hinterbühne auf dem Weg ins KZ gezeigt wird, übernommen und weitergeführt wird, und das Urlaubsschiff auf der Wachau ein Schiff in den Tod wird.

Sendung: Leporello 15.12.2023 ab 16:05 Uhr

Kommentare (1)

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Donnerstag, 21.Dezember, 10:20 Uhr

Helga Nussbaumer

Volksoper

Dankeschön, sehr wichtig.
Nichts verdrängen.!!!

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