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Kritik – "Die Walküre" an der Deutschen Oper Berlin Sie hat noch tausend Koffer in Berlin

Richard Wagner war ständig unterwegs – meist auf der Flucht vor Polizei und Gläubigern. Regisseur Stefan Herheim zeigt daher bei der "Walküre" an der Deutschen Oper Berlin Menschen im Transit. Mit dabei: der heimatlose Göttervater Wotan. Das gefiel nicht allen Zuschauern.

"Walküre" an der Deutschen Oper Berlin  | Bildquelle: Bernd Uhlig/Deutsche Oper Berlin

Bildquelle: Bernd Uhlig/Deutsche Oper Berlin

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Diesen Vergleich muss sogar Marlene Dietrich verlieren: Die hatte ja bekanntlich mal einen Koffer in Berlin und musste "darum nächstens wieder hin", aber die Walküre an der Deutschen Oper, die hat tausend Koffer in Berlin – und darum muss sie nächstens dringend weg. Schafft sie aber nicht, obwohl eine Hebebühne zum Einsatz kommt und auch jede Menge hilfreiche Statisten bereitstehen.

Koffer in alle Richtungen

Tatsächlich zeigen Regisseur Stefan Herheim und seine Ausstatterin Silke Bauer lauter Menschen im Transit, unterwegs von hier nach da. Berge von Koffern stapeln sich auf der Bühne, eigentlich nur Koffer, vorne, hinten und seitwärts und am Ende schweben sogar noch welche vom Himmel herab. Das war nicht unbedingt ein überdeutlicher Hinweis auf die aktuelle Migrationskrise, denn die Flüchtlinge von heute reisen ja selten mit einem Koffer übers Mittelmeer, sondern, wie dem Programmheft zu entnehmen war, vielmehr inspiriert von Richard Wagners unstetem Leben.

"Walküre" an der Deutschen Oper Berlin  | Bildquelle: Bernd Uhlig/Deutsche Oper Berlin Feuerzauber ohne Gänsehaut | Bildquelle: Bernd Uhlig/Deutsche Oper Berlin Der Komponist war in der Tat ständig auf der Flucht, erst vor der Polizei, dann vor Gläubigern und eifersüchtigen Ehemännern. Durch 16 Länder und 200 Städte soll Wagner angeblich gehetzt sein, bevor er in Bayreuth ein repräsentatives Zuhause fand. Aber was hat das mit der "Walküre" zu tun? Gut, auch der an den modernen Verhältnissen, vor allem am Vertragsrecht gescheiterte Göttervater Wotan hält sich in seiner Verzweiflung irgendwann für einen "Wandrer durch die Welt", einen Pilger in eigener Sache sozusagen. Aber auch das reicht schwerlich aus, um daraus ein Regiekonzept zu zimmern.

Überraschend viele Protestrufe gegen die Regie

Und so gab es denn am Ende auch überraschend viele Protestrufe aus dem Publikum, obwohl das nach sieben Monaten Zwangspause ja förmlich ausgehungert sein müsste nach Oper und eine entsprechende Dankbarkeit zu erwarten war – lockte in diesem Fall doch sogar ein groß besetztes Musikdrama von Wagner, mit voller Orchesterstärke. Das wird sich in diesem Jahr sicherlich nicht mehr irgendwo anders ergeben, und wer weiß, ob und wann es im nächsten Jahr möglich ist. Knapp 800 Zuschauer durften in den Saal, fast schon Verhältnisse wie bei den sehr risikofreudigen Salzburger Festspielen.

Szene aus Wagners "Walküre" an der Deutschen Oper Berlin, September 2020 | Bildquelle: © Bernd Uhlig/Deutsche Oper Berlin Eheprobleme: Fricka (li.) und Wotan | Bildquelle: © Bernd Uhlig/Deutsche Oper Berlin Was den Abend so zwiespältig machte, war das Fehlen einer zeitgemäßen, überhaupt einer politischen Interpretation der "Walküre". Immerhin hatte der Vorgänger-"Ring" von Götz Friedrich diesbezüglich Kultstatus (sage und schreibe 32 Jahre Laufzeit mit 52 Aufführungen!). Statt einer irgendwie zivilisationskritischen Deutung gab es jetzt viel Theater-Hokuspokus, teils starke, teils unfreiwillig komische Bilder, die allesamt um Richard Wagner und die Aufführungsgeschichte der "Walküre" kreisten.

Götter in der Versenkung

So kamen endlich mal wieder die germanischen Flügelhelme und eine kecke Brustwehr zum Einsatz, wie vor hundert Jahren, und ständig verschwanden Götter und Helden buchstäblich in der Versenkung, nämlich in einem Konzertflügel, der wohl signalisieren sollte, dass hier alle Ideen aus der Musik heraus entwickelt wurden. Das machte im ersten Aufzug noch was her, später wurde es zur Marotte und der berühmte Feuerzauber zum Schluss war leider optisch so misslungen, dass wirklich kein Gänsehaut-Effekt eintrat.

"Walküre" an der Deutschen Oper Berlin  | Bildquelle: Bernd Uhlig/Deutsche Oper Berlin Das Schwert soll es richten: Siegmund und Sieglinde mit "Kind" | Bildquelle: Bernd Uhlig/Deutsche Oper Berlin Wotan wackelte auf der erwähnten Hebebühne ins Bild, fuchtelte mit einem batteriebetriebenen Leuchtspeer, derweil hinter ihm eine Art Riesen-Bettlaken aufgezogen wurde, auf dem die projizierten Flammen doch sehr harmlos loderten. Alles viel zu puppenstubenhaft – oder zu krawallig, etwa, als die neun Walküren von blutüberströmten gefallenen Helden vergewaltigt wurden. Kein Wunder, dass die Statisten ihre Koffer nicht aus der Hand gaben und immer wieder recht gemütlich vorbei schlurften. Sehr plausibel dagegen der Einfall, der unglücklich verheirateten Sieglinde ein behindertes Kind anzudichten, das sie mit einem Schnitt durch die Kehle ermordet, weil es sie offenkundig bei der sexuellen Entfaltung stört – ein Verbrechen, über das die traumatisierte Frau natürlich nicht mehr hinweg kommt.

Umjubelte Lise Davidsen als Sieglinde

"Gediegen" wäre wohl die angemessene Bezeichnung für das Dirigat von Donald Runnicles. Er liebt keine scharfkantigen Kontraste und auch keine wilden Klang-Eruptionen, was den Sängern sehr zugute kam. Fein gearbeitet, sehr sorgsam ausbalanciert, aber eben auch vergleichsweise gemächlich führte er durch die Partitur. Unter den Solisten durfte sich die junge norwegische Sopranistin Lise Davidsen als ungemein spielfreudige Sieglinde verdientermaßen über großen Beifall freuen. Brandon Jovanovich ist äußerlich ein perfekter Siegmund und auch angenehm draufgängerisch: Er wagte stimmlich jedoch manchmal mehr, als er dann einhalten konnte.

Nina Stemme als Brünnhilde hat es leider inzwischen nicht immer leicht, ihre Stimme bei Lautstärkewechseln auf der Spur zu halten. Aus der jugendlichen Walküre ist sie unüberhörbar herausgewachsen. Der schwedische Bariton John Lundgren war als Wotan stimmlich deutlich zu passiv und charakterschwach, um wirklich zu überzeugen, was ähnlich auch für Andrew Harris als Hunding galt. Da fehlte einfach die diabolische Schwärze, auch aggressive Maskulinität. So blieb der Applaus in all diesen Fällen allenfalls freundlich bis pflichtbewusst. Und Richard Wagner? Der half zum Finale als männliche Hebamme bei der Geburt von Siegfried – und wurde dabei nicht mal ohnmächtig.

Sendung: "Allegro" am 28. September 2020 ab 6:05 Uhr auf BR-KLASSIK

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