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Dirigent Sir John Eliot Gardiner im Interview "Meine Arbeit als Musiker und Bauer ist europäisch"

Er ist Bio-Bauer und als Dirigent spezialisiert auf Historische Aufführungspraxis. Außerdem ist er als Engländer mit dem Thema Brexit konfrontiert. Sir John Eliot Gardiner steht heute Abend am Pult des Symphonieorchesters des Bayerischen Rundfunks und bringt zusammen mit der Sopranistin Anna Prohaska ein Programm zur Aufführung, das zwei große Komponisten gegenüber stellt: Haydn und Schumann. Was Gardiner über den Brexit denkt, verrät er BR-KLASSIK im Interview.

Dirigent John Eliot Gardiner | Bildquelle: picture-alliance/dpa

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Das Interview zum Anhören

BR-KLASSIK: Herr Gardiner, zwei Konzertarien und drei Symphonien: Wie ich Sie kenne, steckt da ein Plan dahinter.

Sir John Eliot Gardiner: Natürlich! Die Sturm-und-Drang-Symphonien von Haydn wurden nie genug gespielt. Sie sind so fabelhaft. Aber es braucht ein sehr gutes und flexibles Orchester, um die Werke in die Sonne zu bringen. In der Mitte dieses Sandwich-Programms steht "Berenice, che fai". Diese Szene und Arie von Haydn ist so theatralisch und entstand viel später, nach Mozarts Tod. Meiner Meinung nach ist ihre Wirkung viel theatralischer als viele Opern von ihm. Da gibt es Spannung und Biss.

Zwei Haydn-Symphonien voller Energie

BR-KLASSIK: Wenn Sie so ein Programm zusammenstellen, haben Sie sicher auch die Beziehung zwischen Haydn und Schumann im Kopf. Der hatte großen Respekt vor Haydn. Aber Schumann nannte ihn auch einen "gewohnten Hausfreund". Das klingt schon sehr nach der verharmlosenden Bezeichnung "Papa Haydn". Besteht nicht die Gefahr, ihn zu unterschätzen?

Sir John Eliot Gardiner: Ja, das ist ein Missverständnis. Haydn war ein radikaler Komponist. Die Tragödie in seinem Leben ist, dass er jahrelang bei Fürst Esterhazy in Eisenstadt war. Dort musste er jede Woche entweder ein neues Streichquartett oder eine neue Symphonie komponieren – und zwar immer für die gleichen Leute. Er war frustriert, und das spürt man. Als er nach Mozarts Tod nach London fuhr, wurde er gelobt und respektvoll behandelt. Plötzlich befand er sich in einem Kreis von Intellektuellen – die haben ihn viel mehr stimuliert. Die zwei Symphonien, die wir spielen, sind so feurig, kraftvoll, voller Energie und mit Leidenschaft. Das ist fantastisch.

Ich werde die Idee von Europa immer in meinem Herzen tragen.
Sir John Eliot Gardiner

BR-KLASSIK: Haydn ist jemand, der zwischen Wien und London zweimal hin- und hergereist ist. Sie tun das ununterbrochen zwischen London, Paris, Wien, Berlin und München. Beeinflusst der Brexit Ihre Arbeit als Künstler?

Dirigent John Eliot Gardiner | Bildquelle: picture alliance / Fred Toulet/Leemage Bildquelle: picture alliance / Fred Toulet/Leemage Sir John Eliot Gardiner: Das wird er, und ich bedaure es. Es kann katastrophal werden. Noch ist es unsicher, was passieren wird. Ich finde es mehr als traurig. Als Musiker und auch als Landwirt, als Bauer, ist es ein total disaster. Ich bin ein Europäer: Hier sind meine Wurzeln, meine Familie kommt aus Europa und meine Arbeit als Musiker und als Bauer ist kosmopolitisch und europäisch. Keine Grenzen: Man kann von Brüssel denken, was man will, vom common market und was sonst noch da an Regeln kommt. Aber die Idee von Europa ist so großartig! Ich werde das immer in meinem Herzen tragen.

Viele Künstler haben Angst vor dem Brexit

BR-KLASSIK: Es gibt Dirigenten, beispielsweise Simon Rattle, die sagen, dass es schwieriger wird, Musiker zu bewegen, nach England zu kommen. Sie fühlen sich unsicher und wissen nicht, wie es weitergeht. Spüren Sie das auch in der Arbeit mit Ihren Ensembles?

Sir John Eliot Gardiner: Absolut, davor habe ich auch Angst. Unser Orchestre Révolutionnaire et Romantique besteht aus Künstlern mit 15, 16 verschiedenen Nationalitäten. Wir proben normalerweise in London. Das können wir ändern, das ist nicht die Frage. Das Problem ist: Wenn wir in England spielen möchten, dann wird es schwierig mit Visa oder einer Arbeitserlaubnis.

Als Bauer ist es noch schlimmer.
Sir John Eliot Gardiner

BR-KLASSIK: Auch beim Zoll? Man ist vielleicht mit einem Truck voller Instrumente unterwegs und muss noch schnell zum nächsten Konzertort.

Sir John Eliot Gardiner: Das wird auch eine Katastrophe sein, aber als Bauer ist es noch schlimmer. Ich fürchte alles Unökologische und nicht Biologische, was aus Amerika kommt: "A chlorinated chicken" von Donald Trump. Das ist ein Albtraum.

BR-KLASSIK: Der Biobauer John Eliot Gardiner und sein Albtraum, das Chlorhühnchen. Kämpfen Sie noch und glauben Sie daran, dass man es noch verhindern kann?

Sir John Eliot Gardiner: Natürlich kämpfe ich. Und ich werde bis zu meinem Tode kämpfen.

Infos zum Konzert

Donnerstag, 23. Mai 2019, 20:00 Uhr        
München, Herkulessaal

Joseph Haydn

Symphonie Nr. 44 e-Moll, Hob. I:44 (Trauer-Symphonie)
"Berenice, che fai". Szene und Arie für Sopran und Orchester Hob XXIVa:10
Symphonie Nr. 52 c-Moll, Hob. I:52

Robert Schumann
"Ach neige, du Schmerzensreiche". Arie der Marguerite den Faust-Szenen
Symphonie Nr. 4 d-Moll, op. 120

Anna Prohaska (Sopran)
Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks
Leitung: Sir John Eliot Gardiner

Konzerteinführung: 18:45 Uhr

Sendung: "Leporello" am 23. Mai 2019 ab 16:05 Uhr auf BR-KLASSIK. 

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