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ARD-Musikwettbewerb 2017 - Fach Oboe Mit dicken Backen und strenger Jury

Als letztes der vier Fächer beim diesjährigen ARD-Musikwettbewerb haben am 2. September die Vorspiele im Fach Oboe begonnen. Insgesamt 39 junge Musikerinnen und Musiker sind angetreten, die Jury zu überzeugen. Wie entscheidend dabei die richtige Atemtechnik ist, hat Kathrin Hasselbeck untersucht.

Risa Soejima probt während des ARD Musikwettbewerbs mit ihrer Klavierbegleitung Betty Lee in einem Probenraum des Gasteigs in München. | Bildquelle: BR/Fabian Stoffers

Bildquelle: BR/Fabian Stoffers

"Oboe spielen ist wie ein Mini-Marathon." Dieser Vergleich geht mir nicht mehr aus dem Kopf. Er stammt von der kanadischen Oboistin Louise Pellerin, die in der diesjährigen Jury beim ARD-Musikwettbewerb sitzt. An drei Tagen spielen 39 Oboistinnen und Oboisten im Carl-Orff-Saal des Münchner Gasteigs vor, jeweils drei Werke, jeweils etwa eine halbe Stunde. Zwischen den Werken legen die meisten Kandidaten ungewöhnlich lange Pausen ein, gehen nochmal hinter die Bühne. Und zwischen den einzelnen Sätzen keuchen sie, als wären sie gerade ein vierstöckiges Treppenhaus hochgeeilt. Oder als wären sie eben einen Mini-Marathon gelaufen.

Der Atem ist Kern und Stütze des Oboenspiels

Die Oboe ist ein Blasinstrument. Schon klar, dass da der Atem eine wichtige Rolle spielt. Was mich fasziniert: Wie viel das Publikum davon mitbekommt. Da wäre zum einen das Keuchen zwischen den Sätzen. Aber auch, wenn mitten im Spiel Luft geholt wird, fällt mir bei den meisten Oboistinnen und Oboisten etwas auf. Sie atmen nicht einfach schnell und reflexhaft ein, sondern sie stoßen zunächst Luft aus, bevor sie dann einatmen - und das alles rhythmisch und in kürzester Zeit. Sie leeren erst die Lungen, obwohl sie ja Luft in die Oboe hineingeblasen haben. Doch durch das Rohrblatt, das Mundstück der Oboe, passt nur so wenig Luft hindurch, dass eben noch etwas übrig ist. Die Folge: rot anlaufende Gesichter, aufgeblähte Backen, zusammengekniffene Augenbrauen. Und die dritte und letzte Beobachtung zum Atem: Häufig bleibt gar keine Zeit zum Luftholen, weil die Phrase es nicht erlaubt, weil die Läufe zu schnell sind, weil es schöner klingt, wenn man durchspielt. In diesem Fall wenden Oboistinnen und Oboisten die sogenannte Zirkularatmung an.

Zirkularatmung ist reine Gewohnheit - wie Fahrradfahren.
Sergey Finoedov, Teilnehmer im Fach Oboe beim ARD-Musikwettbewerb 2017

Sergey Finoedov probt während des ARD Musikwettbewerbs in einem Proberaum des Gasteigs in München. | Bildquelle: BR/Fabian Stoffers Bildquelle: BR/Fabian Stoffers Vom Prinzip her funktioniert die Zirkularatmung wie Dudelsackspielen, halt nur ohne Luftsack. Das heißt: Gespeicherte Luft wird weiterhin ins Instrument geblasen, während gleichzeitig eingeatmet wird. Der Ton klingt derweil ununterbrochen weiter. Aber wo speichern Oboisten die Luft? Im Mundraum. Die Gesichtsmuskulatur spannt sich an und drückt den Luftstrom weiter ins Rohr. Hinten im Rachen schließen Gaumen und Zunge den Mundraum ab, so dass durch die Nase Luft geholt werden kann. Ich bewundere diese Technik. Sergey Finoedov, ein Teilnehmer aus Russland, lächelt nur abwinkend, als ich ihn darauf anspreche. Das sei reine Gewohnheit - wie Fahrradfahren. Nunja, beim Radeln kann man ja auch ins Schwitzen und Keuchen geraten.

Nie ohne die richtige Ausrüstung

Wie ein Sportler schleppen Oboisten allerlei Ausrüstung mit sich herum. Die meisten parken sie backstage. Doch es kommt auch immer wieder vor, dass einer auf die Bühne geht und erstmal anfängt, seine Hosentaschen zu leeren. Auf dem Flügel stehen dann: ein kleines Gläschen mit Wasser zum Befeuchten des Rohrs, ein Putztuch, Ersatzrohre, eine Packung mit Zigaretten-Papers. Wozu letztere gut sind, erklärt mir die georgische Wettbewerbsteilnehmerin Ketevan Tigashvili: "Ich benutze das für meine Zähne, denn die sind sehr scharf, und wenn ich viel übe, dann schneide ich damit im Mund die Haut auf. Deshalb lege ich das Papier einfach auf die Zähne, dann ist das angenehmer." Außerdem dienen die Papers dazu, Kondenswasser aus den Klappen herauszusaugen. Dazu wird das Papier zwischen Klappe und Korpus geschoben, die Klappe heruntergedrückt - fertig.

Das Klima bestimmt die Rohrwahl

Was steckt noch in Ketevans Oboentasche? Schnitzmesser, Zange, Schraubenzieher, sogenannte Zungen aus Metall oder Plastik, die man beim Schnitzen zwischen die zwei Rohrblätter schiebt - und ein rosa-lila Etui mit 16 fertigen, sauber aufgereihten, selbstgebastelten Rohren. Die bestehen aus einer Korkhülse, in der die Rohrblätter stecken, umwickelt mit Faden und Draht. Um beim Sportvergleich zu bleiben: Ein bisschen erinnert diese Sammlung an die kunstvollen, selbstgebastelten Köder von Fliegenfischern. Die Auswahl des richtigen Rohrs ist wichtig, denn jedes ist anders und reagiert unterschiedlich auf die Umwelt, aufs Klima. Das betrifft die Kandidaten, die aus klimatisch anderen Regionen anreisen, erwischt aber eigentlich alle. Denn pünktlich zum Vorspielbeginn hat  in München der Herbst eingesetzt: Wetterumschwung.

Klangfarbenvielfalt Oboe

Die Jury während des ARD Musikwettbewerbs im Carl-Orff-Saal des Gasteigs in München. | Bildquelle: BR/Fabian Stoffers Die Jury während des ARD-Musikwettbewerbs 2017 im Fach Oboe - im Carl-Orff-Saal des Gasteigs in München | Bildquelle: BR/Fabian Stoffers Es gibt verschiedene Antworten auf die Frage, warum eigentlich immer die Oboe den Kammerton a beim Stimmen des Orchesters angibt. Eine lautet: weil sie den reinsten Klang hat. Was ich daher nicht erwartet hatte, ist, welche Vielfalt an Klangfarben dieses Instrument mit sich bringt. Mal ähneln die Töne denen einer Flöte oder Klarinette, mal glaubt man eine Trompete zu hören und des Öfteren war ich an ein Akkordeon erinnert. Gerade bei den modernen, experimentellen Stücken, die beim diesjährigen Wettbewerb auf dem Programm stehen, - von Holliger, Doráti oder Silvestrini - hörte man Teekessel, Vogelgezwitscher, Gänseschnattern, Mäusefiepen oder Schiffshörner. Und immer wieder erscheint auch das Bild des Schlangenbeschwörers vor dem inneren Auge.

Strenge Jury

Schlangen galt es nicht zu beschwören, aber sieben Jurymitglieder. Und das war offenbar nicht so einfach. Schon beim ersten Teilergebnis hörte man viel "Was?"-Staunen und "Krass!"-Raunen. Denn da waren nach eineinhalb Tagen mit zwanzig Vorspielen gerade mal sechs Kandidaten weiter. Wer glaubte, jetzt kann es nur besser werden, der irrte: Am dritten Vorspieltag des ersten Durchgangs lag die Erfolgsquote bei Null. Keiner der zwölf hatte die Jury überzeugt. Von allen 39 schafften es gerade Mal zehn, also rund ein Viertel. Ihnen wünsche ich für den weiteren Wettbewerb: gute Rohre und viel Atem auf dem Weg zum Zieleinlauf.

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