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Arturo Toscanini zum 150. Geburtstag Maestro molto furioso

Tobsuchtsanfälle, zerrissene Partituren und zerbrochene Taktstöcke - Arturo Toscanini war berüchtigt für seine cholerische Anfälle. Doch wer den italienischen Maestro darauf reduziert, greift zu kurz. Denn es ging ihm strikt um eines: kompromisslose Werktreue. Am 25. März würde er 150 Jahre alt.

Toscanini bei einem Konzert mit den Wiener Philharmonikern im Wiener Musikverein | Bildquelle: dpa - Bildarchiv

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„Ihr Esel, ihr Dummköpfe“, brüllte Arturo Toscanini den Musikern bei der Probe ins Gesicht. Es waren nicht irgendwelche Musiker, vor ihm saßen die ehrenwerten New Yorker Philharmoniker. Sie kannten Toscaninis Launen schon aus vielen langen wie leidvollen Proben. Der kleine Italiener war berühmt für seine cholerischen Anfälle, die sich im Extremfall bis zur Handgreiflichkeit steigern konnten. Und es gab wohl kaum einen Orchestermusiker - so abgebrüht und routiniert er sonst auch gewesen sein mag - der angesichts des schäumenden Musik-Tyrannen nicht irgendwann einmal weiche Knie bekommen hätte.

Wenn du nicht endlich brav bist, kommt dich der böse Onkel holen!

Wenn Mitglieder der New Yorker Philharmoniker einst ihre ungezogenen Kinder zur Räson bringen wollten, besannen sie sich einer hundertprozentig wirkungsvollen Disziplinierungsmethode. Sie führten die renitenten Sprösslinge vor ihren Konzertsaal, die Carnegie Hall, und deuteten mit drohendem Zeigefinger auf eines der Plakate, auf dem ihr damaliger Chefdirigent Arturo Toscanini zu sehen war. Dann zischten sie: "Wenn du nicht endlich brav bist, kommt dich der böse Onkel holen!"

Wer hat Angst vorm Taktstock-Mann? 

Toscanini während seines letzten Konzerts am 4. April 1954 mit dem NBC-Symphonie-Orchester in der Carnegie Hall in New York | Bildquelle: dpa-Bildarchiv Bildquelle: dpa-Bildarchiv Dabei war es nicht das Aussehen des zwirbelbärtigen Maestros, das den gewünschten Erziehungseffekt bewirkte. Der Respekt vor Toscanini dürfte seine Ursache am heimischen Küchentisch gehabt haben. Hier hörten die Kids der Philharmoniker die Horrorstorys von zerrissenen Partituren und zerbrochenen Taktstöcken, hörten, wie sich die Musiker-Eltern ausließen über Toscaninis Gift und Galle spuckende Beschimpfungen, über seine Wut, Tobsucht und Raserei.

Wetter-Code: Alarmstufe Hurrikan

Als der Maestro in den 50er Jahren das NBC-Orchestra leitete, bediente sich dessen Management eines Wetter-Codes, um die Launen des unberechenbaren Chefs telefonisch verschlüsselt weiterzugeben. „Sonne, bewölkt, Regen, Gewitter“. Höchste Alarmstufe war „Hurrikan“. Sie bedeutete: „SOS. Der tobende Toscanini hat sich in seinem Dirigentenzimmer verschanzt. Rundfunk- und Fernsehübertragung sind in Gefahr!"

Toscanini als Halbgott in Schwarz

Toscanini dirigiert das NBC Symphony Orchestra am 5. März 1938 | Bildquelle: picture alliance/Everett Collection Bildquelle: picture alliance/Everett Collection „Es gibt keinen anschaulicheren Ausdruck für Macht als die Tätigkeit des Dirigenten“, hat der Literaturnobelpreisträger Elias Canetti einmal behauptet. Der Dirigent als Halbgott in Schwarz, als Symbol einer unerbittlichen Autorität. Blicken wir zurück in die Musikgeschichte, dann erkennen wir, der Mythos vom allmächtigen Maestro ist auf Toscanini gegründet. Bis Ende des 19. Jahrhunderts  waren Orchester meist unverbindliche Blattspiel-Truppen, erst der 1867 in Parma geborene Italiener schuf die Grundlage für den kompakten, technisch virtuosen Ensembleklang, den wir heute von jedem Spitzenorchester erwarten.

Mit Angst und Schrecken zur Höchstleistung

Drei Eigenschaften halfen Toscanini bei seiner Pionierarbeit: Sein fotografisches Gedächtnis, sein phänomenales Gehör - und seine eiserne Hand. In diesem Sinne waren Toscaninis eruptive Ausbrüche sicherlich mehr als nur Ausdruck eines cholerischen Charakters, sie waren auch das Mittel, um das Orchester auf Höchstleistung und Perfektion zu trimmen. Angst und Schrecken im Dienste der Musik? Die Methode mögen wir heute für zweifelhaft halten, dennoch gibt es auch etwas, was für den heißblütigen Südländer spricht: So meisterlich er auf dem Podium die diktatorische Geste beherrschte, so sehr verabscheute er die Diktatoren des wahren Lebens. Toscanini, einer der berühmtesten Künstler seiner Zeit, boykottierte Nazi-Deutschland und weigerte sich trotz Androhung von physischer Gewalt die italienische Faschistenhymne zu dirigieren. Auf der Bühne Tyrann, im Alltag Demokrat, das ist allemal besser als anders herum.

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