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Vokal-Virtuose Andreas Schaerer Jazz unter der großen Perücke

Der Schweizer Andreas Schaerer ist ein Sänger mit schier unbegrenzten Möglichkeiten - und ein Komponist, dessen kreativer Kosmos immer weiter expandiert. Mit dem Orchestra of the Lucerne Festival Academy hat er auf der CD "The Big Wig" sein erstes orchestrales Programm eingespielt.

Porträt Uta Sailer | Bildquelle: BR / Ralf Wilschewski

Bildquelle: BR / Ralf Wilschewski

Interview mit Andreas Schaerer zum Anhören

Mit seinem Sextett "Hildegard Lernt Fliegen" kultiviert Andreas Schaerer schon seit 2005 eine ganz eigenständige Musikform. Sie bewege sich zwischen Kammerjazz, Spelunken-Chansons und Kollektivimprovisation, meinte er einmal. Der außergewöhnliche Mix ist auf vier CDs und zwei DVDs dokumentiert und in seiner mitreißenden Art auf Festivals und Clubbühnen ausgiebig gefeiert worden: in Europa, in Russland - wo die Band auch eine ihrer CDs aufgenommen hat -, in China, Südafrika und Südamerika. Die Musiker der "Hildegard", die übrigens nicht Frau, sondern Schiff und ideales Vehikel für die grenzenlose Fantasie ihrer Crew ist, sind auch bei der symphonischen Exkursion ihres Bandleaders mit von der Partie: die drei Bläser Andreas Tschopp, Benedikt Reising und Matthias Wenger, der Kontrabassist Marco Müller und der Schlagzeuger Christoph Steiner.

Impressionen von den Proben mit dem Orchestra of the Lucerne Festival Academy

Wilde Imagination

Er habe beim Schafe hüten als Kind damit begonnen, die Welt innerhalb und außerhalb seines Kopfs akustisch widerzugeben, meint der 1976 geborene und im Wallis aufgewachsene Andreas Schaerer. Im Lauf der Zeit hat er dafür vokale Techniken entwickelt, die man so nicht einmal von seinem frühen Idol Bobby McFerrin kennt, mit dem er zwischenzeitlich immer wieder einmal aufgetreten ist. Wie er kann auch Andreas Schaerer verblüffend echt klingende Trompeten-, Posaunen- oder Bassklänge einsetzen und bruchlos durch alle Stimmregister vom tiefen Bariton bis in die Sopranlage jagen. Er beherrscht aber zudem noch Mouthpercussion mit allen Finessen - zum Beispiel: komplexe Rhythmen und Melodien gleichzeitig singen-, weiß so ziemlich alle Alltagsgeräusche zu imitieren und Klänge hervorzuzaubern, die man sonst nur aus den Sprechblasen von Comics kennt. All diese Fähigkeiten braucht er, um die wilde Imagination, die aus seinen Kompositionen und den - oft von seiner Frau Brigitte Maria Wullimann geschriebenen - Texten spricht, angemessen akustisch bebildern zu können. Dabei schlüpft er in eine ganze Reihe selbst ausgedachter Rollen - ein erstaunliches Sammelsurium schräger Charaktere: vom Mad Math Professor über den "Zeusler" bis zum Zwitterwesen "Don Clemenza", das ihm möglicherweise beim Betrachten des Films "Der Pate" in den Sinn gekommen ist.

Hildegard lernt Fliegen: Don Clemenza

"Überjazz" mit klassischem Orchester

Andreas Schaerer "The Big Wig" | Bildquelle: ACT Music "The Big Wig" - Cover der CD | Bildquelle: ACT Music Als "fleischgewordene Staatsoperette" firmiert Andreas Schaerer im Band-Info von "Hildegard Lernt Fliegen". Dabei sind gesangliche oder darstellerische Exaltiertheiten kein Selbstzweck, sondern Bestandteil der höchst unterhaltsamen, penibel durchdachten und dabei reichlich Freiräume für umwerfende Improvisationen bietenden Programme. Die Energie des genialischen Masterminds, das einst ohne Klassik und ohne Jazz, dafür aber mit den Beatles und Bob Dylan, Jimi Hendrix und Led Zeppelin aufwuchs (wenn es nicht gerade Schafe hütete…), ist gewaltig. "Überjazz" könnte man die Musik nennen, die er von dieser Basis ausgehend entwickelt hat. Hier werden keine Kompromisse gemacht - da hält sich Andreas Schaerer an Frank Zappa, vor dessen künstlerischer Haltung er bis heute in die Knie geht, wie er im Booklet einer seiner CDs schreibt. Ein Überzeugungstäter also, dem es mit seiner Haltung auch gelang, ein junges klassisches Orchester für seine ungewöhnlichen Arrangements und das Improvisieren zu begeistern. Die rundum gelungene und bejubelte Uraufführung des Programms "The Big Wig" beim Lucerne Festival wurde aufgenommen und gefilmt, und ist nun beim Label ACT auf CD und DVD erschienen.

Ein hochmusikalischer Balanceakt

Der im Jahr 2015 mit dem Echo Jazz als "Sänger des Jahres international" ausgezeichnete Musiker ist neben "Hildegard" aktuell noch mit sechs weiteren Besetzungen unterwegs. Auch dort besticht die höchst präzise Intuition, mit der er sich ins Geschehen einfügt oder es anführt. Ein hochmusikalischer Balanceakt, der an Spannung nichts zu wünschen übrig lässt, gelingt ihm so auch in Duos mit dem Bassisten Bänz Oester und dem Schlagzeuger Lucas Niggli, mit den vier Saxophonisten des ARTE Quartetts, im Trio mit dem Gitarristen Peter Rom und dem Trompeter Martin Eberle, im Quartett "Out of Land" mit Saxophonist Emile Parisien, Akkordeonist Vincent Peirani und Pianist Michael Wollny, und im Quartett "A novel of anomaly" mit Akkordeonist Luciano Biondini, Gitarrist Kalle Kalima und Schlagzeuger Lucas Niggli.

„A novel of anomaly“ 2015

Andreas Schaerer und "Hildegard Lernt Fliegen" mit "The Big Wig" auf Tour

6. Mai 2017
Offbeat Festival Basel mit "The Orchestra of the Lucerne Festival Academy"
7. Mai 2017
Jazzfestival Schaffhausen mit "The Orchestra of the Lucerne Festival Academy"
19. Mai 2017
Nikolaisaal Potsdam mit dem Filmorchester Babelsberg
3. August 2017
Kulturarena Jena mit den Jena Philharmonikern

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