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BMW Welt Jazz Award 2018 in München "Jazz moves" - Beweglich und bewegend

Die ungemeine stilistische Vielfalt des Jazz bildet sich seit 10 Jahren verlässlich im Konzept des BMW Welt Jazz Award ab – einem gut dotierten Wettbewerb im Format einer Konzertreihe. Zum Jubiläum trägt er ein Motto, das Stillstand ausschließt: „Jazz moves“. Jetzt stehen die Finalistenensembles fest.

Frank Farnun und Pauline Starke tanzen Charleston | Bildquelle: picture-alliance / akg-images

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Sein Publikum bewegt er emotional und intellektuell. Sich selbst bewegt der Jazz seit jeher in viele Richtungen auf der beständigen Suche nach mehr Tiefe und Ausdruck. Die kreative Kunst der Improvisation spielt dabei eine zentrale Rolle. Wild und frei kann sie sich entfalten oder in geschlossener Form swingend. Eines der wichtigsten Bewegungsmuster des Jazz war in dessen Anfängen seine Tanzbarkeit. Ragtime, Jitterbug, Jive, – ein lebensfrohes Vergnügen, geboren in der afro-amerikanischen Community. Die Jubiläumsausgabe des Wettbewerbs bezieht sich mit ihrem Motto "Jazz moves" auf diese Tradition. Ihre aktuellen Erscheinungsformen wurden in München bei sechs Matineekonzerten von Bands aus der Schweiz, aus Norwegen, Finnland, Österreich und aus Deutschland durchdekliniert.

Klaviertrio als Tarnung und eine "Small Big Band"

Die junge, bayerische Band LBT machte am 18. Februar den Auftakt. Als Klaviertrio getarnt lieferten die drei Musiker ein fast lupenreines Techno-Set  mit Jazzimprovisationen. Auch wenn das Publikum sich größtenteils aus der Elterngeneration von Leo Betzl, Maximilian Hirning und Sebastian Wolfgruber rekrutiert, und die letzte Rave-Party ein paar Jahrzehnte zurückliegen dürfte: die Grooves und die Musiker wurden bejubelt um 11 Uhr vormittags im lichtdurchfluteten Doppelkegel der BMW Welt in München, in der sich um den Konzertsaal herum fast alles um fahrbare Untersätze und Edelkarossen dreht. Nie zuvor hätten sie ein so aufmerksames Publikum gehabt, erzählen die drei später im Interview, das habe sich großartig angefühlt. In der darauffolgenden Woche sprach der finnische Trompeter Jukka Eskola nach dem Konzert seines Soul Trios darüber, wie ihn Musik aus den 1960er Jahren dazu inspirierte, seine Band zu gründen, und wie er es liebt mit ihr einen großen Sound zu kreieren – vor allen Dingen auch mit den Möglichkeiten der Hammond B3 Orgel, die Mikko Helevä spielt. Laut war diese „Small Big Band“ deswegen aber nicht. Das Trio setzte auf feine Nuancen – allen voran Schlagzeuger Teppo Mäkynen, der die Höhepunkte seiner Soli mit leiser Präzision gestaltete.

Kammermusikalische Weltmusik und noch eine Hammond B3

Das Tor zum Süden öffnete am 18.März das Schweizer Trio Puerta Sur mit der aus Buenos Aires stammenden Sängerin Marcela Arroyo, dem Geiger Andreas Engler und dem Bassisten Daniel Schläppi. Sie interpretierten Tango Nuevo Klassiker von Astor Piazzolla und traditionelle Tangos aus dem historischen Repertoire von Carlos Gardel, Roberto Goyeneche und Charlo in luftigen und dabei die Essenz der Originale einfangenden Arrangements. Diese kombinierte das Trio mit Musik aus anderen südamerikanischen Ländern und überraschte auch mit Chansons von Kurt Weill und einer Kurt Tucholsky Vertonung. Mit ihrer Weltmusik der subtilen Klänge und Rhythmen sorgten sie für eine stimmungsvolle, dritte Matinee des Wettbewerbs, und formulierten sein Motto „Jazz moves“ ganz kammermusikalisch und sachte bewegend aus. Eine Woche später schlug der Hammond B3 Orgel, dem vielstimmigen, holzverschalten Schlachtross des Jazz, eine weitere große Stunde in diesem Wettbewerb. Der Münchner Organist Andi Kissenbeck hat seine Band mit Tenorsaxophonist Karel Ruzicka jr., Gitarrist Torsten Goods und Schlagzeuger Tobias Backhaus nach einem Musikstil benannt, der in den 1960er Jahren in Spanish Harlem seine Anfänge nahm. Zu Son, Salsa und Montuno wurde dort getanzt, und als Soul, Funk und der Hardbop dazu kamen, war eine wunderbare, neue Partymusik geboren, für die zeitlose Kompositionen wie „The Sidewinder“ von Trompeter Lee Morgan oder „El Pinto“ von Perkussionist Joe Cuba ein schönes Beispiel sind. Auch Organisten wie Jimmy Smith, Don Patterson oder Brother Jack McDuff griffen diese Inspiration damals auf - allesamt Vorbilder für Andi Kissenbeck, der in seinen Kompositionen den Boogaloo progressiv auslegt. Großen Beifall gab es für die dynamisch packende und mit viel Feuer gespielte Musik, doch auch diese ungemein groovende Variante des Jazz konnte das Publikum nicht zum Tanzen bewegen.

Souliges zum Tanzen und ungeahnter Groove von zwei Streichern

Erst bei Band Nummer fünf im Wettbewerb gab es für einige kein Halten mehr. Der Grund waren die souligen Songs der norwegischen Sängerin Beate S. Lech, besser bekannt als Beady Belle. Ein Instrumentaltrio und zwei hervorragende Background-Sängerinnen hatte sie nach München mitgebracht, um das Repertoire ihrer einige Tage später erscheinenden, achten CD "Dedication" vorzustellen. Die Musik von Stevie Wonder, Donny Hathaway und Aretha Franklin habe sie schon als Kind geprägt, an diese Wurzeln kehre sie mit dem neuen Programm zurück, erzählte sie später im Interview. Ihr mitreißendes Konzert dürfte nur ein wichtiges Bewertungskriterium der Jury nicht erfüllt haben: die Band spielte definitiv keinen Jazz. Wie viel davon im Programm eines Streicherduos stecken kann, zeigte sich bei der letzten Auswahlmatinee am 22. April, als BartolomeyBittmann aus Wien mit Geige, Mandola und Cello auf das Motto "Jazz moves" abhoben, und Matthias Bartolomey und Klemens Bittmann dabei schlicht grenzenlose Musik machten, befeuert von einer befreiten Virtuosität. Die Grooves ein wahres Rhythmuskaleidoskop vom Jig bis zum Technobeat, die vielfarbigen Sounds konsequent akustisch, durch reine Spieltechnik geschaffen, die Klangsprache von zartester Poesie bis zu archaischer Wucht reichend. Dazu wunderbar swingende und harmonisch überraschende Geigensoli in der Tradition eines Didier Lockwood. Ein spannender Abschluss der Auswahlphase des Wettbewerbs war das, hingerissen und begeistert das Publikum.

Die Ersten und die Letzten

Die vierköpfige Jury mit ihrem Vorsitzenden, dem Münchner Kulturjournalisten Oliver Hochkeppel, hat nun entscheiden,  welche zwei Bands im Finale am 9.Juni um den mit 10.000€ dotierten ersten und den mit 5000€ dotierten zweiten Preis spielen werden: Das Trio LBT, das den Wettbewerb eröffnet hat, und das Duo BartolomeyBittmann progressive strings vienna, das den Abschluss der Matineekonzertreihe spielte. An wen der Publikumspreis geht – ein Wellness-Wochenende plus Auftritt auf Schloss Elmau - wird auch beim Finale verkündet. Das Konzert beginnt um 19 Uhr und findet im Auditorium der BMW Welt statt.

Beate Sampson | Bildquelle: BR/ Ralf Wilschewski

Bildquelle: BR/ Ralf Wilschewski

Einschätzungen im BR-KLASSIK-Gespräch

Eine Drehscheibe für Trends

Im Finale wurde in der Geschichte des Wettbewerbs schon manch überraschende Entscheidung gefällt, bei der häufig die Qualität zweier schwer vergleichbarer Ensembles gegeneinander abgewägt werden musste. Wer gewinnt, hing bei den 60 Bands aus 18 Ländern, die in den letzten 10 Jahren teilgenommen haben, deutlich erkennbar nicht vom jeweiligen Bekanntsgrad ab. Newcomer oder eher unbekannte Acts und bekannte Namen stehen gleichermaßen auf der Liste der Preisträger. Ausgezeichnete Interpretinnen wie die Sängerinnen Maria de Fatima und Indra Rios-Moore, der Gitarrist Manu Codija und der Schlagzeuger Ari Hoenig, von denen man zuvor nur wenig gewusst hatte, ebenso wie das Trio [em], Nils Wogram's Root 70, Matthias Eick, "Hildegard lernt Fliegen" und Renaud Garcia-Fons – allesamt Größen des zeitgenössischen Jazz. Und auch diesmal wird es sicher wieder spannend werden.

Auf BR-KLASSIK halten wir sie weiterhin über die Konzerte beim BMW Welt Jazz Award auf dem Laufenden.

Die nächste Sendung zum BMW Welt Jazz Award



Jazztime am Montag, 11. Juni , 23.05 Uhr
"And the winner is...."

Sendungen zum BMW Welt Jazz Award auf BR-KLASSIK bisher:

Jazztime am Montag, 26. Februar, ab 23.05 Uhr
Jazztime am Montag, 26. März, ab 23.05 Uhr
Jazztime am Montag, 23. April, ab 23.05 Uhr

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