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Zum Tod des Swing-Gitarristen Coco Schumann Shoah-Überlebender und meisterhafter Musiker

Die Nazis hatten den Swing verboten, doch er spielte ihn in seiner Heimatstadt Berlin. 1943 wurde der Sohn einer jüdischen Mutter denunziert und nach Theresienstadt deportiert. Er wurde ein "Ghetto Swinger" und überlebte Ausschwitz und seine Peiniger. Nun ist der Gitarrist Coco Schumann im Alter von 93 Jahren gestorben.

Der "Ghetto-Swinger" Coco Schumann | Bildquelle: ProTon Musikagentur

Bildquelle: ProTon Musikagentur

Der Nachruf zum Anhören

1936, als die Nazis wegen der Olympiade in Berlin vorübergehend etwas mehr Freiheit zuließen, lauschte ein 12-jähriger Zaungast gebannt dem Orchester des Schweizer Swingkönigs Teddy Stauffer, das im "Delphi" spielte, und verfiel dem heißen Jazz jener Tage. Der kleine Heinz Schumann schwärmte für den englischen Bandleader und Trompeter Nat Gonella und für zwei amerikanische Stars, mit denen er als erwachsener Mann selbst einmal jammen würde: Louis Armstrong und Ella Fitzgerald. Doch bevor es soweit war, musste er furchtbares Leid ertragen.

Schon als Teenager spielte Coco Schumann fast jede Nacht in den Berliner Clubs den verfemten und verbotenen Swing. Das war brandgefährlich. Razzien der Gestapo und der Reichsmusikkammer waren an der Tagesordnung. Wenn die Häscher nahten, warnten die Türsteher Musiker und Publikum mit Pfiffen. Dann wurde gekonnt von "I can´t give you anything but love" sofort zu "Rosamunde" gewechselt. Auf den Noten standen die Titel der englischen Stücke auf Deutsch, und Coco Schumann hatte den gelben Stern, den er tragen musste, weil seine Mutter Deutsche jüdischen Glaubens war, abgenommen. Trotzdem kam es immer wieder zu sehr heiklen Situationen, und weil der junge Gitarrist reichlich Chuzpe hatte, forderte er sie manchmal auch selbst heraus.

Die Musik als Zufluchtsort

Im März 1943 wurde Coco Schumann denunziert. Er kam nach Theresienstadt. Mehr als 120.000 Menschen jüdischen Glaubens kamen dort ums Leben oder wurden in die Vernichtungslager deportiert und ermordet. Trotz der fürchterlichen Zustände stellten hochkarätige gefangene Künstlerinnen und Künstler für ihre Leidensgenossen Musik- und Theateraufführungen auf die Beine. Die "Ghetto-Swingers" waren ein Teil des kulturellen Lebens - die Musik war für sie und ihr Publikum ein Zufluchtsort. Auch für Coco Schumann, der kurz nach seiner Ankunft Mitglied der Band wurde.

Im Sommer 1944 ordnete die SS-Filmaufnahmen an. Ein unbeschwertes, selbstverwaltetes Gemeinwesen sollte vorgegaukelt werden - Kunst und Kultur inbegriffen. Der namhafte inhaftierte Schauspieler und Kabarettist Kurt Gerron wurde als Regisseur zwangsverpflichtet. Kaum war der Film abgedreht, wurden alle Mitwirkenden nach Ausschwitz abtransportiert. Auch die "Ghettoswingers" fanden sich an diesem Ort des Grauens wieder. Sie mussten Lagerälteste, Kapos und SS-Männer unterhalten. Und sie mussten, wenn todgeweihte Häftlinge - darunter auch viele Kinder - zu den Gaskammern geführt wurden, "La Paloma" spielen. Bis heute ist das einst von Hans Albers gesungene Lied populär. Coco Schumann spielte es nach dem Krieg oft in Tanzbands. Zum Trotz, wie er 2012 in einem Interview des BR sagte. Als Ausdruck dafür, dass er noch da sei, seine Peiniger aber nicht.

Ich bin ein Musiker, der im KZ war und kein KZ-ler, der Musik macht.
Coco Schumann

Der "Ghetto-Swinger" Coco Schumann | Bildquelle: F. Bongers Bildquelle: F. Bongers Im Januar 1945 wird Coco Schumann nach Bayern deportiert, muss auf den Todesmarsch, der kurz vor Wolfratshausen endet, weil die Amerikaner da sind. Nach der Heilung einer schweren Flecktyphus-Erkrankung kehrt er nach Berlin zurück. Die Eltern haben überlebt, zuletzt versteckt und auch unterstützt von Deutschen, die keine Nazis waren. Drei Tage nach seiner Rückkehr findet Coco Schumann in den Trümmern der Stadt einen improvisierten Club, die "Ronny Bar". Hier wird Swing gespielt, und er trifft einige alte Freunde wieder, wie zum Beispiel den Pianisten Bully Bullahn. Seine schrecklichen Erfahrungen behält der Totgeglaubte für sich und beginnt wieder zu spielen.

Im zerbombten Berlin direkt nach dem Krieg ist Tanzmusik gefragt. Die spielt Coco Schumann bis Helmut Zacharias an seine Tür klopft. Mit dem klassisch ausgebildeten Geiger hatte er schon in der Nazizeit zusammengearbeitet. 1941 hatte Helmut Zacharias mit dem Titel "Schönes Wetter heute" eine erstklassiger Gypsy Swing Nummer an der Zensur vorbei auf Platte veröffentlicht. Dann wurde der Geiger zur Armee eingezogen. Nun überredete er Coco Schumann, wieder richtig Jazz zu spielen. Was zunächst nach einer recht brotlosen Angelegenheit aussah, nahm schon bald Fahrt auf: Sie traten in den Clubs der amerikanischen und englischen Besatzer auf und in einer eigenen Radioshow des NWDR. Das Berliner Pendant zu Django Reinhardts und Stephane Grappellis "Quintette du Hot Club de France" entwickelte seinen eigenen Sound und hatte schon bald auch große Lust auf Bebop.

Aufstieg im ambivalenten Nachkriegsdeutschland

Berliner Gitarrist Coco Schumann | Bildquelle: Coco Schumann Bildquelle: Coco Schumann Trotz der Aufbruchsstimmung, trotz des musikalischen Erfolgs - Coco Schumann wurde als bester Jazzgitarrist Deutschlands gehandelt - begann er sich im Nachkriegsdeutschland zunehmend unwohl zu fühlen. Immer mehr ehemalige Nazis gelangten wieder in Amt und Würden, viele Täter kamen ungeschoren oder mit geringfügigen Strafen davon, die überlebenden Opfer des Regimes mussten um Anerkennung und Entschädigungen kämpfen. Coco Schumann entschloss sich mit seiner Frau Gertraud, die wie er Shoah-Überlebende war, nach Australien auszuwandern. Auch dort gelang es ihm, musikalisch Fuß zu fassen. Er blieb vier Jahre, dann obsiegte die Sehnsucht nach den Eltern und dem Berliner Nachtleben, zu dem das in Melbourne kein Vergleich war.

Der Swing spielte in den kommenden Jahren in Coco Schumanns Bühnenleben eine untergeordnete Rolle. Der Gitarrist wirkte in einigen Filmen mit und spielte ab 1970 etliche Jahre auf Kreuzfahrtschiffen. Eine schöne Lebensphase, wenn auch künstlerisch vielleicht ein wenig eintönig. In den 60er-Jahren hatte Coco Schumann begonnen, eigene Stücke für seine Tanz- und Galabands zu schreiben. Eines davon weckte auch in den USA Begehrlichkeiten. Der Meister des dort populären "Exotica"-Stils, der auf Hawaii lebende Martin Denny, nahm Coco Schumanns Komposition "Exotique" in sein höchst erfolgreiches Repertoire.

Über die Vergangenheit sprechen

Als Coco Schumann 60 wurde, entschied er sich, keine Mucken mehr zu spielen, sondern nur noch die Musik, die ihm wirklich etwas bedeutete: also Jazz. Bis er 90 wurde, gab er noch Konzerte. Und er entschied sich auch dazu, über seine Vergangenheit als Überlebender der Shoah öffentlich zu sprechen. 1997 erschien seine Autobiographie "Der Ghetto-Swinger. Eine Jazzlegende erzählt“. 2014 wurde eine Sonderedition mit dem Titel "Solange ich Musik mache, habe ich keine Zeit alt zu werden" mit Zitaten von Coco Schumann, Fotos und einer "Best of"-CD beim Lichtig Verlag Berlin veröffentlicht. Ebenso die DVD "Refuge in Music, Musik als Zuflucht - Terezin/Theresienstadt", in der Coco Schumann neben der Pianistin Alice Herz-Sommer als Zeitzeuge auftritt. Am 14. Mai 2014 feierte der Gitarrist seinen 90. Geburtstag gemeinsam mit Freunden, Fans und Persönlichkeiten aus der Politik im Willy Brandt Saal im Schöneberger Rathaus. Nun ist er im Alter von 93 Jahren gestorben. Sein Vermächtnis bleibt bestehen, doch er wird uns fehlen.

"In memoriam Coco Schumann" am 30. Januar 2018 in ARD-alpha

22.45 Uhr: "Musik ist mein Leben" Der Swing-Gitarrist Coco Schumann.
Deutschland 2014. Von Andrea Roth

23.00 Uhr: alpha-Forum: Coco Schumann. Jazz-Musiker und Gitarrist.
Gespräch, 2009. Moderation: Sybille Krafft

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