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Beate Sampson im Gespräch mit Rebecca Trescher Wie die Corona-Krise die Jazzszene trifft

Im November 2019 hat die Nürnberger Klarinettistin und Komponistin Rebecca Trescher ein Künstler*innenstipendium an der Cité des Arts in Paris angetreten. 300 Menschen aus 60 Ländern arbeiten dort in Ateliers an ihren Projekten. Für die 1986 geborene Musikerin, die schon fünf Alben unter eigenem Namen herausgebracht hat, war es eine spannende Zeit, die ihr viel Inspiration und Erkenntnisgewinn gebracht hat. Sie endete abrupt am 25. März. Wir wissen warum. Am 17.April haben Rebecca Trescher und Beate Sampson lange telefoniert. Hier ein Protokoll ihres Gesprächs.

Rebecca Trescher  | Bildquelle: Ludwig Olah

Bildquelle: Ludwig Olah

Beate Sampson im Gespräch mit Rebecca Trescher

Wie die Corona-Krise die Jazzszene trifft

Beate Sampson: Womit hast du dich gerade beschäftigt, als klar geworden ist im März, dass es zu diesem shut down kommt und dass du möglicherweise mit dem, was du gerade machst, nicht mehr weitermachen kannst?

Rebecca Trescher: Ich war ja noch mitten in meinem Stipendium in Paris in meinem Atelier und dachte, ich kann da komponieren und meine letzten sechs Wochen in Paris eigentlich noch genießen und nutzen. Und das erste war eigentlich, dass dort viele Konzerte abgesagt wurden, dass man nicht mehr rausgehen konnte, dass sich einfach alles geändert hat. Und das ging eigentlich innerhalb kürzester Zeit. Als dann noch klar wurde, dass die Grenzen geschlossen werden zwischen Deutschland und Paris, dachte ich echt "Oh Mann", wenn's mich hier erwischt, mit Corona, mit 300 Künstlern aus 60 verschiedenen Ländern. Und dann komme ich nicht zurück nach Deutschland. Mich kann niemand besuchen. Das war schon so ein bisschen beunruhigend. Ich dachte schon erst ich bleib da, aber dann war klar, okay, die ganze Cité International des  Arts muss eigentlich in Quarantäne und in einer Nacht und Nebelaktion hat mich meine Mutter dann mit dem Auto sonntagabends noch geholt. Ich bin dann alles zurückgefahren und wir  sind dann morgens um halb sechs noch über die Grenze gekommen. Ab acht waren ja dann auch die Grenzen dicht, und man hätte in Quarantäne gehen müssten. Also, ich hab´ den Absprung noch auf den letzten Drücker geschafft.

Beate Sampson: Und wie war es für deine Kolleg*innen dort vor Ort, die eben aus aller Herren Länder dorthin gekommen sind? Hattet ihr Kontakt untereinander, gab´s da noch andere, die versucht aus der Situation heraus zu kommen?

Rebecca Trescher: Also wir haben alle noch an unseren künstlerischen Projekten gearbeitet. Aber wir waren wirklich regelmäßig in Gesprächen, was wir machen sollen, weil überall so eine Unruhe war. Und jetzt zum Beispiel die ganzen Künstler aus Skandinavien, die sind schon alle ziemlich früh abgereist, weil klar war, in Skandinavien müssen eh alle in Quarantäne und kommen nicht mehr zurück. Also, es sind sehr, sehr viele abrupt abgereist. Was für uns auch schlimm war, weil es irgendwie gar kein Abschiedsfest mehr ergeben konnte. Oder eine Verabschiedung oder irgendeine Abschlusspräsentation von den ganzen Arbeiten. Also, es war wirklich unschön. Und ich sag mal, ich war aber trotzdem irgendwie immer noch ein bisschen optimistisch und wollte eigentlich nicht weg. Und ich war mit einem anderen Komponisten aus Berlin im regen Austausch. Und er wollte eigentlich auch nicht zurück. Wir haben uns oft beraten und sind dann auch noch dageblieben. Und manche haben gesagt, okay, sie stellen sich darauf ein. Sie bleiben hier in Quarantäne, sie reisen auf keinen Fall ab. Aber das waren wirklich sehr wenige. Die meisten sind wirklich schon gegangen. Und dann, nachdem irgendwie auch alle Ateliers um mich herum gelehrt wurden und alle abgereist sind, habe ich mich mit dem Berliner Kollegen kurzgeschlossen und gesagt, okay, ich glaube, wir sollten wirklich raus. Vor allem, als dann Macron gesagt hat, die Grenzen werden dichtgemacht. Und jetzt haben wir so eine große WhatsApp Gruppe, wo 50 Leute oder so drin sind, mit denen wir eigentlich viel zusammen gemacht haben. Und da sind wirklich noch fünf, sechs in der Cité. Jetzt gibt es dort auch diese krasse Ausgangssperre, dass man zwischen 10 und 19 Uhr gar nicht mehr rausgehen kann. Da sind viele echt am Durchdrehen. Und das Problem ist, dass man eigentlich gerade gar nicht mehr rauskommt. Also, ein Kollege aus Köln wollte zurückreisen und musste dann erst nach Brüssel und dann von Brüssel nach Köln. Und es hat irgendwie 18 Stunden gedauert. Also wirklich jetzt rauszukommen, schaffen viele gar nicht mehr. Wobei viele jetzt auch ihr Stipendium verlängert haben. Da haben sich die ganzen Ministerien sehr kooperativ wohl gezeigt, damit manche Künstler einfach da noch, wenn jetzt das Stipendium Ende März oder Ende April zu Ende gegangen wäre, noch länger bleiben können. Wobei viele eigentlich nicht wollen, weil sie wirklich eingesperrt sind und isoliert und das soziale Umfeld natürlich auch nicht da ist.

Beate Sampson: Wie ist es denn für dich selbst? Besteht da die Möglichkeit, dass du - wenn diese Krise überwunden ist - noch einmal dorthin kommst?

Rebecca Trescher: Ja, auf jeden Fall. Ich war auch im Austausch mit denen. Und es ist natürlich für die ganze Cité auch eine neue Situation. Kompletter Ausnahmezustand. Und die ganzen Stipendiaten, die jetzt im Mai anreisen wollten, die werden jetzt alle erst mal nicht kommen. Das heißt, es werden viele Ateliers freistehen. Sie sagen, es gibt sicherlich eine Möglichkeit, vielleicht im Sommer oder im Herbst, nochmal die sechs Wochen nachzuholen. Wobei, es weiß niemand, wie sich das alles entwickeln wird. Aber ich bin schon oft noch sentimental. Weil es eben auch so ein abrupter, unschöner Abschluss war. Im Dezember und Januar war diese ganze Streiksituation in Paris. Ich hatte echt viel erlebt und mitgenommen, viele Ausnahmezustände erlebt. Und deshalb  würde ich umso mehr eigentlich gern noch mal diese sechs Wochen genießen können. Aber wann das sein wird und ob es realisierbar ist, weiß irgendwie aktuell niemand. Aber ich hoffe natürlich schon noch mal nach Paris zu gehen.

Beate Sampson: Bitte erzähl mir doch noch ein bisschen von deiner Zeit in Paris. Vielleicht beginnend damit, was das für ein Stipendium ist, was du dort gemacht hast, und mit wem du dich für einen künstlerischen Austausch zusammengetan hast. Es klingt alles sehr spannend, was du bisher gesagt hast. Und dass du traurig darüber bist, dass es keinen Abschluss gegeben hat, lässt darauf schließen, dass da einfache sehr schöne, persönliche Bande geknüpft wurden.

Rebecca Trescher: Ja, auf jeden Fall. Also das Cité Stipendium, Cité  International des Arts, die Siedlung der Künstler, ist eine Einrichtung, dieStudios mit Wohn und Arbeitsmöglichkeiten eben bietet, und man kann sich ausschließlich auf seine Kunst und seine Visionen und dem kreativen Schaffen widmen. Und man wohnt mit 300 Künstlern verschiedener Sparten aus 60 Ländern in einem gewaltigen Gebäudekomplex gleich neben Notre Dame, also im Künstlerviertel Marais mittendrin. Das ist wirklich ein melting pot der Kulturen und Inspiration. Wirklich großartig. Man kann sich da sozusagen in München beim Bayerischen Staatsministerium für Wissenschaft und Kunst bewerben, für diese Stipendien an der Cité und da hat jedes Land Studios, also Wohnungen und jedes Bundesland dann auch noch mal Wohnungen. Da ich in Bayern wohne, vermittelt mich dann das Bayerische Staatsministerium an die Cité. Und die sprechen sich dann unter den Bundesländern ab, wer wann geht und welche deutschen Ateliers frei sind.  Ich habe im Goethe Atelier gewohnt.

Beate Sampson: Und wie war nun diese Zusammenkunft, das Aufeinandertreffen mit anderen Künstler*innen. Waren das alle eher junge Menschen oder auch durch alle Altersklassen?

Rebecca Trescher: Und ich habe eigentlich eher zu den jüngeren gehört. Also es waren wirklich viele auch, die so wie eine Art Sabbatical gemacht haben, also Professoren oder so, und die dann für ein paar Monate an der Cité waren. Viele auch, die regelmäßig an die Cité kommen, also jedes Land hat er auch so ein bisschen seine eigenen Rhythmus. Die ersten Wochen waren auch wirklich schwierig. Du kommst an, du hast alle Freiheiten hier. Du hast hier eine Wohnung, du bekommst ein monatliches Geld. Und jetzt mach´ mal, so auf die Art. Am Anfang hab ich mich total einsam gefühlt. Und es gibt auch nicht so einen Meeting Point, wo man sagt, da kann man sich treffen, sondern man muss wirklich selbst anfangen, Kontakte zu knüpfen. Da auch jeder unterschiedlich ankommt, ist der eine schon mehr integriert und der andere weniger. Es gibt open studios, das bedeutet, dass Künstler einfach ihre Wohnung öffnen für die Öffentlichkeit, um ihre aktuellen Arbeiten zu präsentieren. Da gibt es einen Stundenplan, wer wann sein open studio macht. Und da habe ich wirklich dann einfach geschaut am Anfang, um Kontakte zu knüpfen. Der Schwerpunkt ist schon, muss man sagen, bei der bildenden Kunst. Es gab wirklich viele bildende Künstler und relativ wenige Musiker und Komponisten. Das hat mich am Anfang auch so ein bisschen verunsichert. Und ich war erst mal so ein bisschen suchend und unsicher, weil man ein bisschen erschlagen ist von dieser Größe auch. Ich war aber dann auch in einem Französischkurs. Und so nach drei, vier Wochen habe ich mich so ein bisschen eingelebt, sag ich mal und hab dann auf einmal gemerkt:  wow, wie privilegiert ich bin und wie genial das einfach ist, und dann auf einmal konnte auch anfangen zu arbeiten. Am Anfang habe ich wirklich erstmal mein Studio eingerichtet, musste mich orientieren und war erst mal so ein bisschen "Öh, was mach ich hier eigentlich?" So eine kleine Sinnkrise. Und auf einmal ja, hat es klick gemacht, sag ich mal, und es war irre. Es war schon eine tolle Zeit und auch dann möglich, auf Künstler zu treffen aus der ganzen Welt, ob jetzt aus Sri Lanka, Indonesien, Südkorea, Neuseeland, Zürich, Moskau, Virginia, New York, Peru, Kolumbien, Ljubljana, Bukarest. Also, es war wirklich Wahnsinn. Wenn man jemanden kennengelernt hat, hat man gleich um´s Eingemachte geredet. Also, irgendwie saßen alle im selben Boot. Und alle hatten eine gleiche Vision, nämlich sich seiner Kunst zu widmen und sich da weiterzuentwickeln und sein Profil zu schärfen. Das war schon toll. Und egal, woher man kam: man hatte ja überall die gleichen Probleme oder Sorgen. Also, es war menschlich ganz toll und auch generell in der Stadt zu spüren: Es gibt so viele Künstler auf einem unglaublich hohen Niveau. Da war ich oft geflasht, dieses krasse Level von allen Kunstschaffenden. Aber man hat nirgends eigentlich Missgunst oder so gespürt, sondern alle waren total supportive. Es war wirklich toll.

Beate Sampson: Bevor du nach Paris gegangen bist, hatten wir ja mal über deine Erwartungen, die du daran hast, gesprochen. Und auch über dein Interesse an einer Zusammenarbeit mit Tänzer*innen. Und jetzt hast du gerade gesagt, es begann nach dieser Orientierungsphase eine irre Zeit. Was ist da passiert in dieser irren Zeit?

Rebecca Trescher: Jeder Künstler dort bekommt so eine Art VIP-Karte, mit der man zu allen Museen am freien Eintritt hat. Das heißt, wir sind ganz viel einfach in den Louvre, ins Musee d'Orsay, in ganz viele Museen gemeinsam, aber auch oft alleine gegangen. Und das Tolle war halt durch diesen Pass: man musste nie warten und konnte, auch wenn man jetzt irgendwie komponiert oder geübt hat, einfach mal ´ne Stunde kurz ins Museum gehen und dann wieder heim und an seiner Arbeit weitermachen. Also, das war auf jeden Fall eine ganz neue Erfahrung, dass, wenn man irgendwie arbeitet und dann kurz rausgeht und Pause macht in Anführungszeichen, dass man so eine krasse Inspiration und auch Input bekommt. Und auch so der ganze Hype auf den Straßen,so was Impulsives hab ich noch nie erlebt. Ich war nicht in New York, ich war in Berlin und schon mal in größeren Städten. Aber wirklich Paris. An sich ist es einfach krass, auch diese ganzen Kontraste zu spüren zwischen Arm und Reich. Es ist wirklich eine Weltstadt, das heißt, ich habe auf der einen Seite wirklich die ganze Kunst aufgesogen, die ganzen Museen und habe dann natürlich für mich, weil ich Jazzmusikerin bin, schon die ganzen Jazzclubs auch aufgesucht und bin auf sehr viele Konzerte gegangen. Ich habe auch einige Leute kennengelernt natürlich auf vielen Sessions, war am Konservatorium, habe auch den Ricardo del Fra kennengelernt, der dort der Jazzabteilungsleiter ist und Bassist. Und bin natürlich auch in die Philharmonie gegangen und zu Radio France. Ich habe mir viel musikalischen Input geholt. Dadurch, dass ich in der Cité gewohnt habe, bin ich manchmal auch mit Tänzern oder Choreografen zu irgendeiner Ausstellung gegangen oder zu irgendeiner Performance. Das heißt, der Input war enorm, und ich glaube, das Ganze verdauen und das Ganze verarbeiten, das kommt jetzt erst so. Alles im Nachhinein. Manchmal hatte ich das Gefühl: Oh, ich muss aufpassen, dass ich nicht zu rastlos werde, dass man trotzdem bei sich bleibt und auch sich abgrenzt. Thema Abgrenzung. Ja, das habe ich schon auch bisschen lernen müssen, dass man kann nicht überall sein kann, sondern dass man auch schauen muss, was will ich eigentlich machen? Dass man wirklich auch um sich auf seine Arbeit fokussieren kann, ein Stück weit.

Beate Sampson: Genau, damit man sich eben auch nicht verliert in all den Menschen und Eindrücken, denen man begegnet. Hast du dort auch schon - inspiriert von diesem bunten Umfeld - begonnen zu komponieren? Oder auch mal konkret mit jemandem aus dem Tanzbereich zusammengearbeitet?

Rebecca Trescher: Ich habe sehr viel komponiert, klar und habe mich inspirieren lassen. Ich habe einen Paris Zyklus geschrieben mit dem Titel "The Spirit Of The Streets". Da habe ich zwei Teile jetzt schon fertig komponiert. Ich bin einfach sehr viel spazieren gegangen, gerade auch während dieser Streikzeit, wo einfach keine Metro, keine öffentlichen Verkehrsmittel gefahren sind. Generell bin ich sehr viel durch´s Arrondissement geschlendert und habe mir die Stadt so erschlossen. Und es hat mich sehr inspiriert. Ich habe schon gemerkt, ich kann schon viel, aber ich will noch so viel mehr forschen, dass ich eigentlich meine Kraft und meinen Fokus ins Musikmachen gesteckt habe und jetzt erst mal die Interdisziplinarität ein bisschen zurückgesteckt habe, weil ich gemerkt habe, ok, da ist eine Tänzerin aus Berlin, bei der ich beim open studio war und wir uns im regen Austausch befanden. Aber mit ihr jetzt was zu starten - was ist das Ziel, ist das zielführend, so viel Energie reinzustecken? Jede reist nachher zurück, wie ist sowas realisierbar? Wir haben uns oft untereinander ausgetauscht, auch mit bildenden Künstlern. Man hat jetzt interdisziplinär mal vielleicht ein kleines Stück oder spontan mal was bei einem open studio präsentiert. Aber in einem halben Jahr wirklich was zielführendes zusammen aufzubauen, was realisierbar ist, da ist die Zeit zu kurz. Und es ist auch einfach jeder auf eine Art dann auch zu sehr mit sich selbst beschäftigt. Oder man hat selbst so viel sich vorgenommen, was man machen will, wo man sich dann auch wieder abgrenzen muss, und Prioritäten setzen muss. Natürlich bin ich jetzt viel mit Leuten in Kontakt. Und wer weiß, was sich noch irgendwann entwickeln wird. Aber dort habe ich an meinen Sachen gearbeitet, bin raus, habe mich inspirieren lassen, war viel im Austausch mit anderen, aber bin dann immer wieder in mein Atelier zurückgekehrt und habe mich da auch auf eine Art verkrochen. Und das haben eigentlich alles so gemacht. Das fand ich auch toll. Alle haben irgendwie ganz klar ihr Ding gemacht, und jeder hat auch echt viel gearbeitet. Es war jetzt nicht Urlaub und - blöd gesagt - auf viele Partys gehen. Klar ist man auch mal zusammen ausgegangen und hat das Leben genossen. Aber jeder war sehr fleißig und jeder wusste, glaube ich auch, wie privilegiert man ist, dass man jetzt diese Chance hat, sich wirklich seinen Visionen zu widmen.

Beate Sampson: Wie kann ich mir das vorstellen im Atelier Goethe? Wie war das ausgestattet? Musstest du Rücksicht auf die Nachbarn nehmen?

Rebecca Trescher: Das war wirklich von der Cité sehr gut arrangiert. Ich konnte von acht bis 22 Uhr laut sein, wie ich wollte. Das war irgendwie gar kein Problem. Die Musiker, die Komponisten, die da waren, waren so verteilt, dass sie jetzt nicht alle nebeneinander sind. Und ich hatte ein Klavier. Also, das wurde mir gestellt. Es war sehr spartanisch eingerichtet. Ich hatte ein sehr großes Zimmer, wo ich gelebt habe, und einen Tisch zum Essen und Arbeiten. Und eine Riesenfensterfront. Es war sehr, sehr hell da, aber dann wirklich so eine kleine Schlaf Nische, das war eher ein Feldbett. Eine kleine Kochnische und ein kleines Bad. Also, es hatte schon jeder seine Privatsphäre. Aber generell ist die Cité sehr heruntergekommen und auch das Goethe Atelier ist, ich sag mal, ja, einfach alt, in die Jahre gekommen und eigentlich komplett renovierungsbedürftig. Das war auch der erste Schock, als angekommen bin und dachte "Oh Gott, ich bin im Gefängnis oder im Kloster". Ja, man wird komplett aus der Komfortzone rausgerissen, und man hat auch davor keine Fotos gesehen. Ich dachte schon okay, es wird sicherlich nicht superluxuriös, vor allem mitten in Paris. Da ist wirklich liegt der Fokus darauf, dass man mitten in Paris ist, mitten in Marais wohnt, was ja unglaublich ist. Aber dass die Wohnung, sag ich mal, so abgefuckt ist, hätte ich nie gedacht. Und das war wirklich so. Ich dachte "Oh Gott, wie soll ich das aushalten?" Aber dann arrangiert man sich. Alle sitzen im gleichen Boot und Leute, die aus dem Iran kommen oder aus dem Irak für die war es echt super. Da dachte ich dann auch "okay, entspann dich mal Rebecca, du hast hier eine Riesenchance." Und jetzt ist es halt so. Man muss auch mal Kompromisse machen und kann nicht alles haben wie hier in Deutschland. Wie privilegiert man ist und wo es so selbstverständlich ist, dass man einen Backofen hat oder gute Herdplatten oder einen Wasserkocher. Das hatte ich dann auf einmal alles nicht mehr und bin war total verwirrt und unsicher und dachte "Oh Gott, das halte ich nicht aus". Aber es war alles wunderbar. Es hat alles super geklappt.

Beate Sampson: Es klingt wie eine totale Chance zu wachsen - in jede Richtung. Und sich dabei auch befreien zu können von der Vorstellung: es muss um mich herum schön sein, damit ich kreativ sein kann.

Rebecca Trescher: Ja, auch zu spüren und zu sehen vor der Cité: der Eingang ist so überdacht, und  Abends kamen immer ganz viele Obdachlose, so 30, 40 Stück. Die durften immer bis morgens um sieben da nächtigen. Das heißt, sie sind abends um sechs gekommen, und morgens mussten sie um sieben eben gehen. Und dass man auch immer, wenn man abends einfach gekommen ist, durch dieses Elend laufen musste. Und ich dachte auch immer "O Mann, ich hab doch ein Super Atelier, ich muss nicht hier liegen", und da hab ich ein paar Obdachlose dann kennengelernt, und sie haben gesagt, sie haben eine 40/ 50 Stundenwoche, arbeiten oft im Tourismus oder sonst wo, aber können sich halt keine Wohnung leisten und übernachten dann hier. Sie verstecken ihre Matratze irgendwo an der Seite an der Straße tagsüber. Die sind froh, dass sie hier vor der Cité übernachten können. Und am Wochenende fahren sie dann raus zu ihren Familien. Aber sonst unter der Woche arbeiten sie. Sie haben ihren Job und leben auf der Straße. In Nürnberg oder auch in Berlin erlebt man so ein bisschen die Obdachlosigkeit. Aber hier in Nürnberg kaum. Und dass ich das jeden Tag gesehen habe, das hat mich am Anfang auch richtig runtergezogen und fertiggemacht. Und da habe ich auch dann gemerkt ja, und ich wohne hier in meinem Goethe Studio, und es ist eigentlich super und habe mich am Anfang beschwert über irgendwelche materialistischen Sachen, was einfach total bescheuert ist. Und einfach diese Kontraste zu spüren in Paris war krass. Einerseits diese vielen Menschen, die auf der Straße leben, wirklich auch im Zelt auf dem Gehweg, die sich häuslich auf den Straßen mitten in Paris einrichten. Und dann sieht man diese pompösen Gebäude, die krassen Museen, die Restaurants, wo die Touristen sitzen und ihren Gin Tonic und ihr Bier für elf Euro trinken. Das war wirklich krass, diese Kontraste zu sehen. Wobei ich jetzt mit vielen Leuten auch gesprochen habe, Künstlern aus Amerika, die haben mich fast ausgelacht und gesagt „Geh mal nach L. A., da ist es viel, viel schlimmer.“ Also, es war für alle bedrückend. Wir haben auch viel über diese Situationen gesprochen. Aber ganz viele aus nichteuropäischen Ländern haben gesagt, das ist doch normal. Und das ist hier noch völlig okay. Es war für mich eine krasse Erfahrung.

Beate Sampson: Das ist eine Erkenntnis, die wirklich über das hinausführt, was man aus seinem eigenen, behüteten Umfeld kennt. Jetzt bist du gut befüllt zurück, in einer Situation, in der wir zu einer maximalen Vereinzelung angehalten sind. Was kannst du hierfür aus deiner Pariser Zeit herausziehen?

Rebecca Trescher: Also, aktuell genieße ich meine Situation schon sehr. Ich genieße die Ruhe und irgendwie auf eine Art auch die Entschleunigung. Auch, dass ich mich hier total sicher fühle, weil das deutsche Gesundheitssystem einfach super ist. Ich habe eine sehr schöne Wohnung mit Terrasse, wo ich mich frei bewegen kann. Also, das ist wirklich etwas, wo ich sehr glücklich, das ich wieder zurück bin und sehe das Ganze jetzt aktuell auch als eine Chance. Ich komme zu Dingen. Ja, man hat einfach Zeit, Sachen nachzugehen, Prioritäten zu setzen und zu sagen, das wollte ich schon lange mal machen. Und daran arbeite ich jetzt und für mich. Ich sag ich mal, ich bin freiberufliche Musikerin. Ich gestalte meinen Alltag wirklich sowieso frei und autark und autonom. Ich lebe nicht in vorgegebenen Strukturen in Anführungszeichen. Das heißt, ich muss mich selbst strukturieren und bin oft in einer prekären Situation. Das heißt, für mich ändert sich aktuell gar nicht so viel, weil ich eh meine Sachen zu tun habe und machen muss. Und ich sag mal, jetzt im April wäre ich noch in Paris gewesen. Das heißt, dass sind jetzt keine Konzerte ausgefallen. Im Mai hatte ich einige Sachen, die jetzt eben alle abgesagt wurden. Und auch im Juni. Das heißt, aktuell genieße ich sogar die Situation, die Ruhe. Aber es ist einfach eine Frage der Zeit, wie lange es geht. Und natürlich ist es dann manchmal beunruhigend, wie man einfach auch finanziell über die Runden kommt. Aber ich habe ein Polster noch für zwei, drei Monate, wo ich mir jetzt mal gar keine Sorgen machen muss. Alles Weitere wird sich zeigen, und da versuche ich auch mit einer gewissen Gelassenheit und Entspanntheit der Situation entgegen zu schauen und merke auch, dass viele Leute sich schon solidarisch zeigen und mit anpacken. Zum Beispiel, dass meine Vermieterin mich angerufen hat und gesagt hat, ihr Künstler habt es ja jetzt richtig schwer. Und ich möchte auf die Miete vom April verzichten und bitte überweist auch keine Nebenkosten und so. Und dann haben wir erst gesagt, das können wir nicht annehmen. Aber haben wir uns dann entschieden, doch das zu machen. Und ja, wir müssen jetzt einfach für unsere Riesenwohnung für einen ganzen April gar nichts bezahlen. Das ist schon toll, dass es so etwas gibt,

Beate Sampson: Das klingt sehr gut. Du hast in Paris begonnen einen Zyklus zu schreiben mit den Straßenszenen. Bist du da jetzt schon am Weiterarbeiten?

Rebecca Trescher: Ja, da schreibe ich weiter, aber versuche auch ein bisschen für small combo zu schreiben. Einfach so ein bisschen. Ich schaue gerade, was kommt. Und dadurch, dass man jetzt gar keinen Zeitdruck hat, arbeite ich gerade auch irgendwie an verschiedenen Baustellen, analysiere auch ganz viel, bin noch inspiriert von den philharmonischen Konzerten auch in Paris, wo ich Liturgien von Messiaen gehört habe, die mich total geflasht haben, wo ich jetzt oft ein bisschen Partituren studiere und viel Musik höre. Und da  mich wirklich drauf einlasse und manchmal einfach auch genieße, auch nichts zu machen, um das nachwirken zu lassen. Dass man die strenge Taktung oder jetzt muss ich das machen, dass man da so ein bisschen losgelöst ist, und einfach merkt okay, wenn's nicht klappt, dann mach ich es halt Morgen, weil morgen steht auch nichts im Kalender, um übermorgen auch nicht.

Beate Sampson: Wir hatten ja, bevor du nach Paris gegangen bist, auch mal darüber gesprochen - als wir deine letzte CD "Where we go" vorgestellt haben - , dass du einen Teil deiner Kompositionen auch für klassisches Orchester arrangiert hast. Es klingt so, als ob du in diese Richtung weitergehen möchtest.

Rebecca Trescher: Sehr ja, auf jeden Fall. Ich habe ja drei Werke schon für Orchester, plus so ne kleine Bigband Besetzung, so eine kleine Metropole Orchestra Besetzung geschrieben, die ich im Gasteig ja dann auch aufgeführt habe, bei meinem Master Abschluss Komposition Konzertabend. Und es hat mir eine Riesenfreude gemacht und für diesen symphonischen Klangkörper, da bin ich auf jeden Fall gerade dran am Arbeiten, und möchte eigentlich langfristig ein komplettes Programm haben. Das finde ich toll. Meine Idee ist eigentlich, Symphonieorchester plus Jazz Combo zu haben. Und ich glaube, das passt eigentlich auch zu meiner Musik. Also einerseits diesen großen Klangkörper, und trotzdem bin ich aktuell auch inspiriert von meiner Pariser Zeit dieses, dass sich als Klarinettistin vielleicht auch eine small Combo Kompositionen präsentieren möchte, wo ich wieder mehr spiele und einfach kleine Lead sheet Stücke komponiere, wo man mit Kollegen in der Combo die zusammen erarbeitet. Diese zwei Gegenpole habe ich mir gerade vorgenommen so ein bisschen auszuchecken.

Beate Sampson: Das wollte ich dich als nächstes fragen: Rebecca Trescher als Klarinettistin ist schon auch ein Strang, den du weiterverfolgen möchtest, oder?

Rebecca Trescher: Ja, auf jeden Fall verfolge ich das weiter, und es ist auch ein sehr wichtiger Teil von mir. Aber der Fokus ist schon auf der Komposition. Das war auch spannend. Da habe ich mit vielen Komponisten in Paris darüber gesprochen, eben mit vielen klassischen. Ich war die einzige Jazzkomponistin und für die war das total so "Was? Du spielt es auch noch ein Instrument?" Entweder man macht ein Instrument oder macht Komposition. Aber beides? Es wirklich spannend, ihnen zu erklären, ja als Jazzmusiker, wenn man komponiert, dass man da einfach für seine Projekte komponiert und dann meistens auch selbst mitspielt. Dass das einfach andere Schwerpunkte hat, aber das ich mich trotzdem mehr als Komponistin sehe denn als Instrumentalistin. Aber trotzdem möchte ich es mir nicht wegdenken. Und klar ist es oft schwer: komponiere ich jetzt fünf Stunden oder übe ich fünf Stunden. Oder wie organisiert man sich? Und vor allem, um so mehr man ins Detail hinein zoomt?

Beate Sampson: Auf die nächste Zukunft blickend: schaust du jetzt, ob ausfallende Konzerte im Herbst oder Anfang 2021 nachgeholt werden können? Begibst du dich hinein in die Akquise?

Rebecca Trescher: Ja, das ist eine schwierige Frage und auch ein komplexes Geflecht natürlich gerade auch in der aktuellen Situation. Natürlich überlege ich mir, wie geht's weiter und ist es gerade sinnvoll, Akquise zu machen, gerade in den Zeiten? Ich glaube aktuell habe ich mich davor gedrückt und habe mich einfach meiner Kunst gewidmet und einem künstlerischen Output. Das hat auch aktuell mal Priorität. Aber ich habe mir eigentlich vorgenommen, nach Ostern schon regelmäßig dafür wieder was zu machen. Wie das genau aussieht, weiß ich aktuell nicht. Ich hab's ja auch ein bisschen ausgelagert. Ich habe jemand, der vier Stunden die Woche für mich arbeitet und mir in dem Bereich hilft, uns sehr viel unterstützt. Wir haben jede Woche auch ein Telefonat, wo wir uns austauschen. Und die Bookerin sagt auch es ist total schwierig gerade. Sie weiß auch nicht, wie sinnvoll es ist, das zu machen, weil alles, was jetzt abgesagt wird, da bekommt derjenige vielleicht einen neuen Termin Anfang 2021 und jetzt neue Sachen auszumachen, da sind viele Veranstalter nicht so erfreut, jetzt da gleich sich auf Termine festnageln zu lassen. Es ist nicht so einfach. Aber ich bin trotzdem optimistisch und glaube, kontinuierlich da ein bisschen dranzubleiben und Akquise zu machen, ist schon wichtig. Und ja, da wird es auch Wege geben. Und ich glaub, die erste Unruhe oder Unsicherheiten und Stresssituationen von Veranstaltern so sind auch überstanden. Und jetzt muss jeder damit handeln. Und ich hoffe, dass es einfach weitergeht und dass ich noch ein paar Konzerte irgendwie ausmachen kann. Für mich sind ein wichtiger Teil auch die GEMA Tantiemen. Das heißt für Konzerte, die jetzt nicht stattfinden, dass dann erst ein Jahr später die Tantiemen ausgeschüttet werden, und das fällt dann auch alles weg. Wir Künstler werden das schon auch noch zeitversetzt sehr stark spüren.

Beate Sampson: Das ist ja die große Befürchtung, neben der Befürchtung, dass Veranstaltungsorte die Krise nicht überstehen könnten. Die nächsten Monate werden zeigen, wie sehr die Kultur mitgenommen werden wird als hohes Gut und unterstützt wird wie alle anderen lebenswichtigen Bereiche.

Rebecca Trescher: Ja, auf jeden Fall, und ich glaube trotzdem, dass es auch eine Chance ist. Dass vielleicht für Kulturschaffende oder auch für andere Berufsfelder, ich sag mal, einflussreiche Menschen da vielleicht ein bisschen mehr Einblick in solche Berufe bekommen und auch mehr Empathie entwickeln und vielleicht dann auch wirklich versuchen, dann wirklich was zu verändern. Dass wirklich jetzt auch eine Chance ist, in manchen Bereichen politisch anzugreifen und zu sagen, da ändern wir nachhaltig was und knüpfen da jetzt irgendwo an, dass es vielleicht nach der Krise auf eine andere Art und Weise weitergeht, weil sie da vielleicht jetzt  sensibilisiert wurden und man nicht immer im Alltagswahnsinn gewisse Sachen wegdrückt oder dafür keine Zeit hat, sondern jetzt man sich eigentlich besinnen muss, was es eigentlich wichtig und was brauchen wir Menschen zum Überleben? Blöd gesagt. Und das ist so facettenreich und so wichtig, dass da auch Leute, die da so viel dazu beitragen, dass die oft gar nicht bemerkt werden oder gar nicht klar ist, wieviel sie eigentlich geben und eigentlich keine Wertschätzung dafür bekommen. Und dass sich da nachhaltig was ändert, das wünsche ich mir schon. Also das hoffe ich, dass man nicht nachher zurück in den gleichen Trott fällt und ja, dass für Menschen, die in prekären Situationen arbeiten wie im sozialen Bereich oder auch Kulturschaffende, dass da vielleicht ein bisschen mehr ein Gleichgewicht hergestellt wird. Das wäre  so mein Wunsch.

Beate Sampson: Das ist die Chance, die ich auch sehe, und von der ich sehr hoffe, dass wir sie als Gesellschaft und auch, dass die politische Ebene sie sehr nutzen wird. Vielen Dank für dieses Gespräch.

Rebecca Trescher: Danke dir!

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