Helge Schneider. Seine Wurzeln liegen im Jazz und den spielte er im Dezember an einem speziellen Ort in Franken. Unsere Jazz-Redakteurin Beate Sampson war dabei und erlebte einen Star ohne Allüren, der Instrumente mit Seele liebt.
Bildquelle: Regina Kleinhenz
Oberthulba – aaah – klingt nach mythischer Sagenwelt. Könnte irgendetwas aus dem Nibelungenlied sein oder ein Ort im Land der Hobbits. Ist aber in der bundesdeutschen Realität eine kleine Marktgemeinde direkt an der A7 unweit von Bad Kissingen in Unterfranken. Daran angeschlossen: ein idealtypisches Gewerbegebiet. Dort kann man sein Auto waschen, praktische Dinge kaufen, einen Laster zum Beispiel, sich mit großen Wachhunden anfreunden oder die Nacht in einem Hotel Garni mit weit leuchtender Neonschrift verbringen. Letzteres am besten, nachdem man ein Helge Schneider Konzert in der Pianobühne Kleinheinz besucht hat.
Von außen ganz angepasster Flachbau, von innen: plüschiger Hort der Glückseligkeit für Fans von Rhythm'n'Blues, Boogie Woogie und Swingmusik. Eine gut ausgestattete Hausbar im Eck, Fotos an der Wand, die von rauschenden Konzertabenden künden; mit Paul Kuhn, Jimmy Smith und Freddy Cole zum Beispiel, viel fantasievolle Deko, Kaffee und Kuchen aufgebaut, cirka 360 Plätze um drei Seiten der Bühne verteilt.
Auf der herrscht, als ich an diesem wolkenverhangenen Dezembernachmittag in bester Roadmovie-Laune ankomme, geschäftiges Treiben. Mikros werden eingestellt, Kameras eingerichtet, und es wird in verschiedenen Versuchsanordnungen nach der optimalen Positionierung von Schlagzeug, Bass und Flügel gesucht. Mit von der Partie: das Team des Nürnberger Ü-Wagens, die zwei Kameramänner aus München, der Veranstalter, Aufbauhelfer und mittendrin: Helge Schneider, der überall mit Hand anlegt. Ernst, freundlich, konzentriert, null Allüre. Aaah - aufgeräumte Stimmung, alle befriedet, die Redakteurin freut sich.
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A serious man. | Bildquelle: BR
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Der muss weg! | Bildquelle: BR
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Liebe zum Detail. | Bildquelle: BR
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D-Flügel auf Halbmast | Bildquelle: BR
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Helge Schneider im Ornat | Bildquelle: BR
Noch 30 Minuten bis zum Einlass. Soundcheck super, alles klingt prima. Jemand sagt: Helge Schneider möchte lieber auf einem anderen Flügel spielen. Ein Scherz? Vielleicht, weil es hier so viele Flügel gibt in den anliegenden Verkaufsräumen? Er möchte ein Instrument mit mehr Seele, sagt er mir. Er habe es auch schon gefunden im Angebot. Das Instrument wird die Stimmung nicht halten, wenn es so kurzfristig auf die Bühne geschafft wird, sage ich. Ein Lächeln und: "Im Jazz darf das schon mal ein bisschen verstimmt klingen." Klar, plausibel. Aber nur, wenn ER das sagt. Und vielleicht dabei an Thelonious Monk denkt, oder an Erroll Garner, an die Musiker, die er bewundert und die auf verstimmten Klavieren Meisterwerke geschaffen haben. Ich glaube ihm, dass es dringend wichtig für ihn ist, auf einem Flügel zu spielen, der ihn inspiriert und werfe alle meine Grundsätze über Bord. Meine Kollegen tun das auch und wuchten für ihn den einen Flügel die Bühne hinunter und den anderen die Bühne hinauf. Kurze Anspielprobe - klingt doch gut! - Helge Schneider in bester Stimmung.
Das Publikum strömt, der Laden brummt, Vorfreude liegt in der Luft, viele strahlende Gesichter, alle Altersklassen sind vertreten. Das Setting wirkt auch jetzt fast familiär. Jubel für Helge, der im reich bestickten, türkischen Samtmantel auftritt. Er strahlt. Setzt sich an den Flügel, spielt den ersten Akkord. Out of tune. Kurzer Blickwechsel - sehe ich da leichtes Bedauern? - schicksalsergebenes Schulterzucken meinerseits und dann startet er mit "The Lady is a Tramp" in einen grandiosen Konzertabend.
Seine Improvisationskunst ist perfekt, aber nicht perfektionistisch. Fehler sind erlaubt, Risiko und scheinbares Scheitern auch in der alles übertrumpfenden Musikalität dieses Meisters des schrägen Humors. Helge Schneider erzählt seine ganz persönlichen Jazzgeschichten, macht Witze auf eigene Kosten, auf die seines Schlagzeugers und des Publikums, blitzt vor Vergnügen über jede gelungene Pointe und lässt mich die restliche Welt und streckenweise auch den sich in immer absurderer Weise verstimmenden Flügel vergessen.
Nach gut zweieinhalb Stunden und einer beseelten Fassung von John Coltranes "Naima" zum Abschluss ist das Konzert schneller, als man möchte, vorbei. Alle strahlen noch, aber Helge ist weg. Aber wir wollten doch noch ein Interview machen! Er lässt ausrichten, dass er sich kurz ausruhen möchte und in 45 Minuten ginge das, aber bitte im Hotel. In besagtem Hotel mit der Neonschrift im Gewerbegebiet, wo wir alle - Musiker, Crew und ein paar Fans - untergebracht sind. Wir verabreden uns in der Kegelbahn im Keller, ganz im Resopalplatten-Charme der 70er Jahre. Das war die Zeit, als Helge Schneider begann Jazz zu spielen, in die Clubs ging, Johnny Griffin, Eddie Harris, Dizzy Gillespie live sah. Davon erzählt er dann, aber auch von seinem Vater und dem Duke Ellington Bassisten Jimmy Woode, von der Seele eines Instruments und von seinem kurzen Klassikstudium. Danke für die besonders lange Minute, die er sich dafür und für uns genommen hat. Danach isst er in der Kneipe ein Käsebrot (sic!) und trinkt ein Bier. Ein gelungener Abend.
Helge Schneider hat den beseelten Flügel eine Woche nach dem Konzert gekauft, und wird ihn auf seiner „LASS KnACKEN OPPA“ Tournee spielen, die am 3. Februar in Osnabrück beginnt.