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Das Jazz+ Festival in der Seidlvilla Der tiefe Blick in den Schalltrichter

Zum dritten Mal findet in der Schwabinger Seidlvilla in München das "Jazz+"-Festival statt. Internationale Stars des hochmodernen Jazz treten in Wohnzimmeratmosphäre auf - und BR-KLASSIK schneidet mit.

Trio Enemy mit Pianist Kit Downes, Bassist Petter Eldh, Schlagzeuger James Maddren | Bildquelle: Jazz+ Festival

Bildquelle: Jazz+ Festival

Die Seidlvilla ist einer der herausragenden Jazzorte Münchens. Seit mehr als 24 Jahren gibt es dort einmal im Monat improvisierte Musik. Klänge, die etwas wagen, Jazz abseits des Mainstreams, Musik die fordert, aber auch ganz viel gibt. Die Konzertreihe "Jazz+" hat ein Stammpublikum und immer wieder entdecken Neugierige die Konzerte in der Jugendstilvilla am Nikolaiplatz unweit der Glamourmeile Leopoldstraße. Zwar wurde "Jazz+" medial zwanzig Jahre fast völlig missachtet, aber die Konzertreihe hat überlebt und ist jetzt im Gespräch wie nie.
Zweimal konnte sie den Spielstättenpreis "Applaus" gewinnen und sie wird von der Stadt München und dem Bezirksausschuss gefördert, denn hier kann man Jazz in einem Rahmen erleben, den es in München sonst nicht gibt.

Ein parkartiger Garten mit hohen Bäumen, Bänken, sogar einigen Bienenkörben und einem kleinen Teich umgibt die Seidlvilla. Ein runder Turm schmückt das imposante, aber doch verspielt wirkende Gebäude. Innen gibt es hohe stuckverzierte Decken und holzvertäfelte Wände. Ein Flügel steht ebenerdig vor den rund 80 Stühlen, es gibt keine Bühne. In der ersten Reihe sitzend, kann man tief in den Schalltrichter der Saxophonisten blicken. Ganz nah und verbunden fühlt man sich hier mit den Musikern.

Ein Münchner Jugendstiljuwel

Die Seidlvilla, 1905 erbaut, wurde zunächst von Franziska Lautenbacher bewohnt. Sie war Erbin der Spatenbrauerei, und dementsprechend wohlhabend, um sich dieses kleine Märchenschloss im damals noch ländlichen Schwabing bauen zu lassen. Nach dem Tod der Besitzerin in den dreißiger Jahren, wechselten die Bewohner und Nutzer des Hauses ständig. Anfang der Siebziger Jahre kamen Gerüchte über den Abriss der Villa auf. Investoren wollten dort eine große Hotel-, Büro und Kaufhausanlage entstehen lassen. Die Münchner Bürger protestierten heftig, es ging lange Zeit hin und her und schließlich kaufte die Stadt das Anwesen.

Kurze Zeit wurde das Haus als Polizeirevier genutzt und eine Zeit lang war es beliebte Kulisse für Filmdrehs. Die Sexfilm-Reihe "Schulmädchen Report" wurde hier zum Teil gedreht. Seit 1991 ist die Seidlvilla ein Bürgerhaus und steht für ganz unterschiedliche Projekte offen. Seither gibt es hier Kunstausstellungen, Vorträge, Seminare, musikpädagogische Veranstaltungen und seit 1994 auch Jazzkonzerte.

Ehrenamtliche Höchstleistung

Schlagzeuger Martin Kolb engagierte sich seit Anfang der Neunziger im Seidlvilla Verein und durfte im Keller der Villa seinen Proberaum einrichten. Als Gegenleistung für die Nutzung der Räume, begann er ab 1994 Jazzkonzerte in der Seidlvilla zu organisieren, zuerst mit regionalen Bands, später mit Musikern aus ganz Europa, zuletzt sogar mit internationalen Stars. Und das alles ehrenamtlich.
Jeden zweiten Dienstag im Monat gibt es in der Villa ein Jazzkonzert und ein ganz gemischtes Publikum füllt die Räume: Schwabinger Kulturinteressierte, man möchte fast Bohème sagen, junge Jazzfans, Münchner Musiker und Seidlvilla-Freunde findet man dort. 2014, zum 20-jährigen Jubiläum der Konzertreihe, gab es ein erstes Festival. Der Erfolg war so groß, dass 2016 zum 25-jährigen Geburtstag des Seidlvilla-Vereins, Träger des Münchner Kulturortes, ein weiteres Festival organisiert wurde.

So international wie nie

Das dritte "Jazz+"-Festival in der Seidlvilla am 4. und 5. Mai 2018 ist wieder herausragend besetzt und so international wie nie zuvor. Musikerinnen und Musiker, die weltweit für Aufsehen sorgen und sicher nicht oft in so einem intimen Rahmen zu erleben sind, treten auf.

Saxophonistin Ingrid Laubrock | Bildquelle: Jazz+ Festival Ingrid Laubock | Bildquelle: Jazz+ Festival Die in Deutschland geborene Saxophonist Ingrid Laubrock lebt seit 2008 in New York und zählt zu den eigenständigsten und prägnantesten Stimmen des hochmodernen Jazz. Im Duo mit der kanadischen Pianistin Kris Davis spielt sie Eigenkompositionen, die sich völlig ergebnisoffen entwickeln können. Eine Musik, die frei und wild, aber auch in sich gekehrt und zerbrechlich sein kann.

Kaja Draksler und das Tobias Hoffmann Trio

Pianistin Kaja Draksler ist eine europäischen Überfliegerin der improvisierten Musik. In ihren Kompositionen und Improvisationen scheint Neue Klassische Musik durch, aber auch die Tradition der Jazz-Avantgarde, etwa von Klavier-Guru Cecil Taylor. Über ihn hat die aus Slowenien stammende Draksler ihre Abschlussarbeit an der Universität Groningen geschrieben.

Schräg, witzig und eigensinnig-groovend ist die Musik von Gitarrist Tobias Hoffmann. In der Kölner Szene aktiv, mischt er mit unterschiedlichen Bands die europäische Jazzwelt auf. Sein Trio präsentiert eine unterhaltsam-verquere Mischung aus Blues, Balladen und Stücken der Popsängerin Britney Spears.

Tobias Hoffmann, Gitarre, Frank Schönhofer, Bass, Etienne Nillesen, Schlagzeug | Bildquelle: Ludwig Olah Tobias Hoffmann Trio | Bildquelle: Ludwig Olah Der englische Pianist Kit Downes ist einer der aufstrebenden Jazzstars unserer Zeit. Im letzten Jahr war er beim Jazzfest Berlin an der Orgel der Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche zu erleben. An der Orgel kann man ihn auch auf der vorkurzem erschienen CD "Obsidian" hören. In der Seidlvilla tritt er im Trio mit dem Namen "Enemy" auf. Zusammen mit seinen britischen Mitmusikern Phil Donkin am Bass und Schlagzeuger James Maddren lotet er die Freiräume der Klaviertrio-Musik aus. Spreizende Sounds, elektrisierende Beats, hymnisch, dunkel, mitreißend. Eine Musik mit ansteckender Kraft.

Wie bei den vorangegangenen "Jazz+"-Festivals schneidet BR-KLASSIK alle Konzerte mit und sendet in insgesamt vier Jazztime-Sendungen Highlights.

Das "Jazz+"-Festival auf BR-KLASSIK:

Jazztoday am 7. Mai 2018
Freigeister in der Villa
Highlights vom dritten Jazz Plus Festival 2018 in der Münchner Seidlvilla mit Musik und Eindrücken der Konzerte vom 4. und 5. Mai mit dem Duo Ingrid Laubrock & Kris Davis, dem Tobias Hoffmann Trio, Kaja Draksler solo und Enemy
Moderation und Auswahl: Ulrich Habersetzer

BR Jazzclub am Freitag, 08. Juni 2018
Blues, Jazz und ein bisschen Schmalz
Das Trio des Gitarristen Tobias Hoffmann mit Bassist Frank Schönhofer und Schlagzeuger Etienne Nillesen und seinen schräg-groovenden Versionen von Jazzstandards und Popsongs aufgezeichnet beim "Jazz+" Festival in der Münchner Seidlvilla am 4. Mai 2018
Moderation und Auswahl: Ulrich Habersetzer

BR Jazzclub am Freitag, 13. Juli 2018

BR Jazzclub am Freitag, 14. September 2018

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