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Joe Henderson zum 80. Geburtstag State of the Tenor

Ein zierlicher Mann mit dichtem Bart und sanftem Blick: ein Leiser, ein Diskreter. Doch seine Töne am Tenorsaxophon gehörten zu den kraftvollsten und komplexesten. Am 24. April wäre Joe Henderson, der von Soul Jazz über Fusion und Popmusik fast alles gespielt hat, 80 Jahre alt geworden.

Saxophonist Joe Henderson am 24. August 1973 bei "Jazz in the Garden" im Skulpturengarten der Neuen Nationalgalerie, Berlin | Bildquelle: Bayerisches Jazzinstitut / Ludwig Binder

Bildquelle: Bayerisches Jazzinstitut / Ludwig Binder

Jazzmusiker sprechen oft über ihre Einflüsse. Welche Musiker haben sie besonders geprägt, waren wichtig für ihre musikalische Entwicklung, welche waren Vorbilder für sie? Woran haben sie sich orientiert? Einer wird fast immer, und nicht nur von Saxophonisten, genannt: Joe Henderson.

Er hat mit seinem Spiel, seinen Kompositionen und seinen Improvisationen den Jazz auf stille Art verändert. Sein Einfluss auf nachfolgende Generationen ist ähnlich groß wie der von John Coltrane oder Wayne Shorter. Bei Joe Henderson äußert sich die Einflussnahme aber subtiler.

Dicke Brille, kraftvoller Sound

Er war ein akribischer Arbeiter mit rundem, kraftvollem Sound, der sich ausschließlich dem Tenorsaxophon verschrieben hatte. Ein bedacht-virtuoser Improvisator, einer, der nicht ausschließlich aus dem Bauch heraus drauflos spielte. Der zierliche Mann mit sanftem Blick durch starke Brillengläser und einem Dickicht-Bart fand überlegt und überlegen Wege durch Harmonien und Strukturen, auf die sonst keiner kam.

Ludwig-Binder-Sammlung

Von 1965 bis zu seinem Tod 1980 arbeitete Ludwig Binder als freiberuflicher Fotograf. Einer seiner Schwerpunkte war Jazz. Von 1968 bis 1980 fotografierte er in Berlin die Stars der Szene. Sein Nachlass ist seit 1999 im Besitz des Bayerischen Jazzinstituts in Regensburg.

14 Geschwister

Joe Henderson kam am 24. April 1937 in Lima, Ohio, zur Welt. Er wuchs, zusammen mit fünf Schwestern und neun Brüdern, in armen Verhältnissen auf. Durch die Jazzplatten eines seiner Brüder wurde er auf die Musik aufmerksam und versuchte sich an Klavier, Schlagzeug und Saxophon. Von 1960 bis 62 war er bei der US Army und hatte die Gelegenheit, dort mit einem Quartett bei einer Talentshow aufzutreten. Er gewann diesen Army-Wettbewerb und wurde auf Welttournee geschickt. Zurück in den USA und nach Beendigung der Armeezeit zog er nach New York und seine Karriere ging steil bergauf.

Von New York nach San Francisco

Von 1963 bis 1968 wirkte er bei unterschiedlichen Aufnahmen für das Blue Note Label mit. "The Sidewinder" von Trompeter Lee Morgan, "Song for my father" von Pianist Horace Silver, "The Prisoner" von Pianist Herbie Hancock und seine eigenen Alben "Page one", "Inner Urge" oder "Mode for Joe" sind nur einige davon. Anfang der 70er Jahre spielte Henderson kurz bei der Soul-Rock-Band "Blood, Sweat & Tears" und zog nach San Francisco. Die Stadt sollte bis zu seinem Tod dreißig Jahre später seine Heimat bleiben.

1986 gab er im New Yorker Jazzclub Village Vanguard aufsehenerregende Konzerte, die auch auf CD erschienen sind. Unter dem Titel "State of the Tenor" definierte Joe Henderson zusammen mit Bassist Ron Carter und Schlagzeuger Al Foster die Art des Trio-Zusammenspiels neu. Freiraum, Konzentration, konkrete Linienführung, komplexe harmonische Erweiterungen, in all dem waren diese beiden Live-Alben das Maß aller Dinge zu dieser Zeit.

Für Billy, Antonio, Miles und George

In den 90er Jahren erschienen sehr erfolgreiche Alben, in denen sich Henderson den großen Komponisten des Jazz widmete - Huldigungen an Billy Strayhorn, Antonio Carlos Jobim und Miles Davis. Hendersons letzte Einspielung war Gershwins Oper "Porgy and Bess", bei der Chaka Khan und Sting jeweils ein Stück singen. All diese Jahre hindurch war Henderson auch immer weltweit in Konzerten zu erleben.

Er starb am 30. Juni 2001 in San Francisco an Herzversagen, herbeigeführt durch eine chronische Lungenerkrankung.

Das SFJazz Center, ein Jazz-Kulturort in San Francisco mit unterschiedlichen Bühnen, eröffnete 2014 das "Joe Henderson Lab", einen Spielort, an dem auch und vor allem geprobt, gearbeitet und Musik kreativ erdacht werden soll. - genau die richtige Hommage an einen, der mit leiser, konsequenter Arbeit Unerhörtes zuwege brachte.

 Radio-Tipp:

Musik unter anderem von Joe Henderson gibt es in der Sendung "Classic Sounds in Jazz" am Mittwoch, 26. April ab 19.05 Uhr auf BR-KLASSIK

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