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Kostprobe | 09.04.2023 Mit dem Cembalo zur Gipfeltour

Der französische Cembalist Jean Rondeau, ein großartiger Virtuose auf seinem Instrument, hat nun Werke aus verschiedenen Epochen eingespielt, die zumindest vordergründig einen didaktischen Zweck verfolgen. Die gute Nachricht: wunderschöne Musik! Die schlechte: Ohne Üben geht leider auch hier nichts …

Bildquelle: © Erato

Ganz oben auf dem Parnass, einem Berg in Griechenland, sitzt Apoll, der Gott der Kunst und des Lichts, Hahn im Korb. Um ihn herum neun ... nein, nicht Hennen natürlich, sondern die Musen, Hüterinnen der Künste und Wissenschaften, jede mit einem eigenen Ressort. Wer als Musiker oder Komponist auf Erden so erfolgreich sein will, dass auch er sich dieser erlesenen Runde anschließen darf und unsterblich wird, muss hart trainieren – am besten in kleinen Schritten. "Gradus ad Parnassum", also Weg auf den Parnass: So heißt ein musikalisches Lehrbuch aus dem 18. Jahrhundert, eine Art barockes Navigationssystem zur Vollkommenheit. Und "Gradus ad Parnassum" nannten Komponisten auch Sammlungen mit Stücken in ansteigendem Schwierigkeitsgrad.

Junger Wilder am Cembalo

Der französische Cembalist Jean Rondeau, Zauselbart, Strubbelfrisur und Hoodie, überrascht immer wieder durch seine atemberaubende Virtuosität, lässt das Cembalo voluminös aufrauschen und eröffnet völlig neue Klangwelten. Mit seiner neuen Einspielung "Gradus ad Parnassum" bricht er nun auf zur Gipfeltour. Mit Stücken, die den "Gradus ad Parnassum", also den Weg zum Fortschritt, didaktisch begleiten. Und wie Fans Alter Musik es von Jean Rondeau gewohnt sind, wirkt sein steiler Aufstieg eher wie ein gemütlicher Spaziergang, leicht und entspannt, selbstverständlich ohne Steigeisen oder Klettersicherung.

Schön sind die mehrheitlich stillen Rastplätze, an denen Bergführer Jean Rondeau zum Durchschnaufen einlädt: Neben kleinen Stücken von Palestrina oder des Barockkomponisten Johann Joseph Fux Ausschnitte aus dem "Gradus ad Parnassum" des Beethoven-Zeitgenossen Muzio Clementi beispielsweise, dem Schreckgespenst vieler Klavierschüler. Und weil wir gerade bei Beethoven sind: Er dachte sich ein Präludium aus, das den Spieler in dreieinhalb Minuten durch sämtliche Dur-Tonarten führt. Auch gut zum Üben.

Und nun die große Überraschung ...

Beethoven und Clementi auf dem Cembalo – bei so kleinen Kompositionen wie auf der Aufnahme geht das mit etwas Augenzudrücken. Aber dann, man glaubt es nicht, plötzlich Claude Debussy, der Inbegriff des Impressionismus. Zwar gibt es in Debussys kleinem Zyklus "Children's corner" auch einen "Gradus ad parnassum", eine schillernde, glühende pianistische Farbstudie. Doch hingetupft mit dem Klang eines Cembalos? Erstaunlicherweise kein Problem, wenn Jean Rondeau das Instrument bravourös leuchten und flirren lässt. Debussy hätte es gefallen.

Nach diesem gewagten Sprung über eine Schlucht geht’s vom Gipfel des Parnass wieder zurück ins Tal. Doch warum eigentlich? Jean Rondeau könnte doch einfach gleich oben bleiben, denn ihm gebührt längst ein Ehrenplatz am Stammtisch Apolls und der Musen.

Gradus ad Parnassum

Giovanni Pierluigi da Palestrina, Johann Joseph Fux, Joseph Haydn, Muzio Clementi , Wolfgang Amadeus Mozart, Ludwig van Beethoven, Claude Debussy
Jean Rondeau (Cembalo)
Label: Erato

Sendungsthema aus "Tafel-Confect" vom 9. April 2023, 12.05 Uhr auf BR-KLASSIK

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