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Kostprobe | 06.06.2021 Virtuose Violinsonaten aus Wien

Zum Dahinschmelzen – die süddeutsche Barockmusik verlangt einen ganz speziellen satten und süßen Klang. Die Geigerin Nina Pohn hat ihn – und überrascht auf ihrer Debüt-CD mit einem geheimnisvollen Manuskript, hinter dem sich prominente Barockkomponisten verbergen.

CD-Cover: Minoriten-Codex - Virtuose Violinsonaten aus Wien | Bildquelle: © Querstand

Bildquelle: © Querstand

Dieser Anfang ist ein Statement, eine Fanfare, ein Ausrufezeichen. Wer seine Debüt-CD so beginnt, mit einem dreiminütigen Solo, ohne Begleitung, ohne Netz und doppelten Boden, beweist Mut und Selbstbewusstsein. Die junge Geigerin Nina Pohn hat diesen Mut. Und sie hat noch mehr: Ausdruckskraft, Gestaltungswille, Virtuosität natürlich, Stilsicherheit und diesen warmen, satten, süßen Geigenklang, den die süddeutsche Barockmusik braucht. Und: sie bringt Neugier mit auf ein unbekanntes Repertoire.

Violinsonaten aus dem Hochbarock

Das Repertoire: sieben fesselnde Violinsonaten aus dem Hochbarock, fünf davon Ersteinspielungen, alle aufgezeichnet in einem kostbaren Codex aus dem Wiener Minoriten-Kloster. Die meisten Stücke sind anonym überliefert, was aber nicht heißt, dass hier bloß ein paar musikbegeisterte Mönche am Werk gewesen wären. Im Gegenteil: technische Raffinessen und die häufige Anwendung der Skordatur, der gezielten Umstimmung der Geigen-Saiten, lassen Berühmtheiten der damaligen Zeit als Komponisten vermuten: Johann Jakob Walther, Nicolaus Adam Strungk oder Heinrich Ignaz Franz Biber.

Masterarbeit über den Minoriten-Codex

Beim Linzer Biber-Wettbewerb hat Nina Pohn mit dieser Musik schon einen Preis gewonnen. Die Geigenstudentin aus Oberösterreich, Mitglied von Ensembles wie Ars Antiqua Austria oder dem L'Orfeo Barockorchester, hat auch ihre Masterarbeit über den Minoriten-Codex geschrieben, die alten Noten kopiert, ediert, spielbar gemacht. Neben Virtuosen-Kabinettstückchen gibt es dabei auch eine himmlisch weitschweifende Meditation über den Choral "Wie schön leuchtet der Morgenstern" zu bestaunen - einer der Höhepunkte der CD.

Historische Korrektheit

Akribie und Fantasie gehören für Nina Pohn hörbar zusammen. Historische Korrektheit ist ihr wichtig, sie legt die Geige bei den älteren Stücken am Schlüsselbein an statt unterm Kinn, sie lässt sich von Martin Riccabona auf einer kleinen Kirchenorgel aus dem frühen 18. Jahrhundert begleiten, während Peter Trefflinger mit seinem Violone das vollklingende Fundament beisteuert. Aber Freiheit, Spiellust, ja Humor sind ihr genauso wichtig, wie zum Beispiel diese Sonate über den Kuckucks-Ruf beweist.

Eine Entdeckung

Optimierbar ist allenfalls das biedere CD-Cover, bei dem die drei jungen Musiker ihre Instrumente etwas unmotiviert über eine Wiese tragen. Und statt die Sonaten brav nach ihrer Nummerierung im Manuskript anzuordnen, hätte man auch über eine musikalisch sinnvollere CD-Dramaturgie, zum Beispiel einem Wechsel von Dur und Moll oder von anspruchsvollen und leichtgewichtigeren Sonaten, nachdenken können. Das ändert aber nichts daran, dass dieses Debüt-Album vom Repertoire wie von der Interpretation her eine Entdeckung ist.

Minoriten-Codex - Virtuose Violinsonaten aus Wien

Nina Pohn, Martin Riccabona, Peter Trefflinger
Label: Querstand

Sendungsthema aus "Tafel-Confect" vom 6. Juni 2021, 12.05 Uhr auf BR-KLASSIK

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